“wir schlafen nicht” wird im Schauspielhaus uraufgeführt Zombies in der McKinsey-Welt

Düsseldorf (dto). Sie hetzen von einem Kick-Off-Meeting zum anderen, immer eine baldige Deadline vor Augen, ihre Devise lautet "Up or Out." Sie sind Unternehmensberater, Online-Redakteure oder Key Account Manager und schlafen nicht – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn. Überdreht und todmüde geistern sie durch Kathrin Rögglas neues Stück "wir schlafen nicht", das am 7. April im Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere feiert und einen entlarvenden Blick auf den "Homo Oeconomicus" wirft. Was passiert mit den Leuten, wenn sie ihre Sprache bis zu 16 Stunden am Tag der betriebswirtschaftlichen Logik von Effizienz und Leistung unterwerfen? Diese Frage beschäftigte die 33-jährige Autorin aus Österreich in rund 30 mehrstündigen Interviews, die sie mit Führungskräften aus der Consulting- und benachbarten Branchen führte. Kathrin Röggla kondensierte das umfangreiche Doku-Material erst zu einem Roman und anschließend für die Bühne zu einem Konzert aus sechs Stimmen. Entstanden ist ein Live-Mitschnitt der "schönen neuen Arbeitswelt", ein Textgewebe aus einer Kunstsprache, in dem die Figuren im Konjunktiv und in der dritten Person von sich und ihrem Job sprechen und nicht mehr in der Lage sind, aus ihrer strategischen Rhetorik auszusteigen. Für das Schauspielhaus ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeitswelt nicht neu. Regisseur Burkhard C. Kosminski inszenierte bereits die Werber-Satire "39,90" von Frédéric Beigbeder und bringt nun "wir schlafen nicht" auf die Bühne. Den Kontakt zu Kathrin Röggla schuf Dramaturg Ingoh Brux, der schon länger eine Vorliebe für die Romane der Autorin ("Abrauschen", "Irres Wetter", "really ground zero") hatte. "Mir gefiel, dass eine Autorin mal nicht die üblichen Beziehungskrisen und Befindlichkeitskrisen darstellt und psychologisiert, sondern sich an gesellschaftspolitische Themen wagt", erklärt Brux, der auch die Theaterfassung des Romans für das Schauspielhaus anregte. Für Regisseur Kosminski war der lokale Bezug zu Düsseldorf als wichtigem Standort der Consulting-Branche ausschlaggebend. Schließlich sitzen führende Unternehmen wie McKinsey und Boston Consulting vor Ort. "Feldforschung" in der ArbeitsweltGenau dort betrieben Regisseur, Dramaturg und Schauspieler vor den Bühnenproben "Feldforschung", um ein Gefühl für das Funktionieren der Key Account Manager, IT-Supporter oder Online-Redakteure vor dem Hintergrund von Globalisierung und Neoliberalismus zu bekommen. "Unser erster Eindruck: Hier sprechen die Leute tatsächlich wie in den Texten von Röggla", erinnert sich Kosminski noch immer mit Erstaunen. Und Dramaturg Brux war "schockiert über die Art und Weise, wie die perfekte Rhetorik das Gegenüber sofort in die Defensive drängt". Die erste Reaktion auf der Gegenseite: Man tat die Texte von Kathrin Röggla erst einmal als "Schwachsinn" ab, und drohte mit anwaltlichen Konsequenzen, schließlich werden "McKinsey" und "Boston Consulting" im Stück namentlich genannt und mit einem unbequemen Spiegelbild konfrontiert. Überidentifikation mit der Arbeit, Konkurrenzdruck und Burn-Out – dass die Themen des Stücks bewegen können, steht wohl außer Zweifel. Ob das der dramaturgischen Umsetzung auch gelingt, wird sich zeigen. Der statische Text mag sich auf den ersten Blick eher als Hörspiel denn als Bühnenwerk eignen. Regisseur Kosminski zeigt sich eine Woche vor der Premiere dennoch optimistisch. Er habe ein bloßes Aneinanderreihen von Stimmen vermieden und setzt auf ein "kreatives Bühnenbild" sowie die absurd-komischen Effekte einer echt-künstlichen Sprache. Wer sich einen ersten Eindruck von den "schlaflosen Workaholics" verschaffen will, hat dazu noch vor der Premiere bei einer Lesung Gelegenheit. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Romans ist die Autorin mit Schauspieler Leopold von Verschuer am 4. April im Schauspielhaus zu Gast.

Von MAIKE SCHULTE

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