Düsseldorfer Geschichten Ziegel aus dem Ofen direkt zum Bau

VON MICHAEL BROCKERHOFF · Die Ziegelproduktion war Jahrzehnte lang ein bedeutender Industriezweig in Düsseldorf. Die reichen Lößlehm-Vorkommen beispielsweise am Gallberg waren der Stoff für die Ziegel, die die wachsende Großstadt für Neubauten dringend brauchte. Das letzte Relikt der einst blühenden Wirtschaft, ein Ringofen der Ziegelei Sassen, wurde saniert und erzählt Industriegeschichte.

 Peter Henkel (l.) sowie Gaby und Peter Schulenberg erklären im Gewölbe des Brennganges die Technik des Ringofens. Zu erkennen sind die Deckenöffnungen für den Kohlenstaub, der mannshohe Zugang zum Beschicken und Herausholen der Ziegel und der niedrige Fuchsgang für die Rauchgase.

Peter Henkel (l.) sowie Gaby und Peter Schulenberg erklären im Gewölbe des Brennganges die Technik des Ringofens. Zu erkennen sind die Deckenöffnungen für den Kohlenstaub, der mannshohe Zugang zum Beschicken und Herausholen der Ziegel und der niedrige Fuchsgang für die Rauchgase.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Ein Bodenschatz brachte die wachsende Großstadt Düsseldorf rasch nach vorn: das große Vorkommen an Lößlehm auf Düsseldorfer Stadtgebiet. Er war in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert Gold wert, lieferte er doch den Stoff für Ziegelsteine, die millionenfach für den Bau neuer Fabriken und Wohnhäuser dringend benötigt wurden. Und der Baustoff war leicht zu haben. Meterdicke Lößlehmschichten, die sich Jahrtausende lang seit der letzten Eiszeit aufgetürmt hatten, lagen direkt unter der Erdoberfläche oder erhoben sich als Hügel. Der Lehm wurde abgebaut und direkt am Ort in zahlreichen Ziegeleien zu Steinen geformt und gebrannt. An diese Industrie erinnern heute nur noch sorgfältig restaurierte Teile eines Ringofens, in dem bis in die 1960er Jahre hinein am Rand des Gallbergs Ziegel gebrannt wurden.

"Glücklicherweise ist es gelungen, wesentliche Teile des Ringofens der Firma Sassen zu erhalten", sagen die Fachbeiräte für Archäologie und Denkmalschutz, Gaby und Peter Schulenberg. Zusammen mit Mitgliedern des Förderkreises Industriepfad Düsseldorf-Gerresheim und Vereinen aus Gerresheim hatten sie jahrelang dafür gekämpft, dass das Industriedenkmal nicht vermoderte. Denn der Ringofen Sassen, so der Historiker Peter Henkel vom Förderverein "ist das einzige Relikt dieses Industriezweiges." Und der war seit den 1890er Jahren prägend für diesen Teil von Gerresheim. Bis zu acht Ziegeleien produzierten dort gleichzeitig bis zu 30 Millionen Ziegel pro Jahr. Dafür bauten sie die Gallberg-Hügel, eine bis zu 20 Meter hohe Wand aus Lößlehm, ab.

Wenn auch die Industrie-Anlagen fast völlig von der Bildfläche verschwunden sind, im Gedächtnis vieler Gerresheimer haben sich Erinnerungen an die Ziegelproduktion gehalten. Für sie ist der Ringofen daher ein wichtiger Identifikationspunkt. Das hat auch Andreas Gräf, Leiter von Hochtief-formart, der Wohnungsbausparte des Bau-Konzerns, erfahren: "Mieter und Käufer von Wohnungen unseres neuen Viertels sind froh über die historischen Bezüge. Durch den Ringofen bekommt die Siedlung ihren unverwechselbaren Charakter."

Bei der Vermarktung der etwa 200 Wohnungen spielt der Ringofen daher eine wichtige Rolle. Deshalb war Hochtief auch bereit, den Ringofen für eine sechsstellige Summe zu sanieren und zum Zentrum der Siedlung zu machen. Die Bereitschaft für die Sanierung mag aber auch in der Geschichte des Konzerns liegen. "Die Gründer des Unternehmens hatten ihr Baugeschäft im Jahr 1896 durch eine Feldbrand-Ziegelei und einen Ringofen in Eschborn bei Frankfurt erweitert", erzählt Gräf. Wie in Düsseldorf war der Abbau des Lößlehms eine Goldgrube für den Bau, war ein Ringofen Symbol für eine florierende Wirtschaft.

Deshalb ist Gräf auch froh, dass in den beiden restaurierten Abschnitten des Ringofens die Technik der Ziegelproduktion zu sehen ist. Ohne kundige Führer wie Gaby und Peter Schulenberg kann der Laie aber die Spuren nur schwer deuten in dem - natürlich aus Ziegel - gemauerten Brennkanals des Ofens, ein im Rund gebautes Gewölbe. Beispielsweise die Funktion der Öffnungen in der Decke. "Durch die Öffnungen wurde Kohlenstaub geschüttet, Brennstoff für das Feuer, in dem die Ziegel gebrannt wurden", sagt Peter Schulenberg.

Ein Detail der ausgeklügelten Technik eines Ringofens. Zu ihr gehörte schon die ovale Bauweise, durch die die 18 Brennkammern für Ziegel wie in einem Ring hintereinanderlagen. "Das Feuer konnte ununterbrochen von Brennkammer zu Brennkammer wandern, gesteuert unter anderem durch das Einfüllen des Kohlenstaubs", erklärt Peter Schulenberg.

Das wandernde Feuer gab den Takt für die Arbeit vor, "es saß den Arbeitern im Nacken", erzählt Peter Schulenberg. 24 Stunden lang loderte es in einem Abschnitt des Brennkanals, einer sogenannten Kammer. Bei mehr als 1200 Grad härtete es die Ziegel. Danach wanderte es eine Kammer weiter. Die folgenden Arbeitsschritte schildert Peter Schulenberg einprägsam:

Als Erstes entfernen die Arbeiter die dünne Ziegelwand, mit der der Zugang zur Kammer zugemauert war, damit das Feuer kontrolliert brennen konnte. Mit Schubkarren holen sie, gebückt durch den niedrigen Zugang, die heißen Steine heraus und bringen sie zu den Lagerstätten. Zwischen 15 000 und 20 000 Stück sind es pro Kammer.

Die leere Kammer befüllen die Arbeiter sofort wieder mit Rohlingen. Sie stapeln sie "auf Luft", legen sie quer zueinander und lassen Zwischenräume, in der die Luft zirkulieren kann. Der Kohlenstaub, der für den Brennvorgang durch die Deckenlöcher eingeschüttet wird, verteilt sich dort, das Feuer kann die Steine rundherum brennen. Ist eine Brennkammer gefüllt, mauern die Arbeiter sie wieder zu und trennen sie im Inneren außerdem mit einer Papierwand ab. Die verbrennt, wenn das Feuer auf seinem Rundweg durch den Ofen wieder an der Kammer angekommen ist.

Das Feuer macht nicht automatisch seine Runde, "sondern wird durch raffinierte Kamin- und Lüftungstechnik gesteuert", erzählt Peter Schulenberg. Die Vorrichtungen, die beim Teil-Abbruch des Ofens sichtbar geworden sind, geben Aufschluss: Nicht weit vom Ausgang der Kammer ist knapp über den Boden ein Rauchgaskanal zu sehen. "Fuchsgang wird er genannt und führt unter dem Brenngang hindurch zum Abzugsschacht zum Kamin", erklärt Schulenberg und lässt mit seinen Schilderungen die Maloche der Arbeiter deutlich werden. Mit einer sogenannten Glocke, einem massiven Eisenkegel mit etwa 40 Zentimeter Durchmesser, verschließen die Heizungsmeister das Ende des Fuchsgangs im Kaminschacht.

Nur mit einem Flaschenzug können sie vom Schürboden über dem Brenngang aus regulieren, wie dicht die Glocke den Fuchsgang verschließt. Je mehr sie ihn öffnen, desto mehr Luft wird durch den Zug zum Kamin angesogen, desto stärker brennt das Feuer in einer Kammer. So halten die Heizungsmeister, von den Arbeitern kurz Brenner gerufen, die Temperatur auf den erforderlichen 1200 Grad. Sie müssen sich dabei völlig auf ihre Erfahrung verlassen, an der Helle der Glut oder an den Flammen erkennen, ob der Brennvorgang in Ordnung ist. Hilfsmittel wie Thermometer gibt es nicht.

Sechs Jahre lang etwa gehen zukünftige Brenner mit den erfahrenen Meistern auf dem Schürboden mit, bis sie eigenständig das Feuer steuern können. Bei Temperaturen von 45 bis 50 Grad müssen sie die Glocke anheben oder senken sowie Kohlenstaub einlassen. "Wegen der harten Arbeitsbedingungen waren die Arbeiter meist ausgemergelt, nach etwa 30 Berufsjahren war ihre Gesundheit ruiniert", sagt Gaby Schulenberg. Zudem mussten die Arbeiter 14 bis 15 Stunden schuften, hatten nur ärmliche Unterkünfte in Räumen mit bis zu acht Schlafstellen in einem Raum und bekamen einen sehr geringen Lohn. Und von dem wurden noch die Kosten für die Ziegel abgezogen, die fehlerhaft gebrannt waren.

Die Arbeiter mussten daher so präzise wie möglich die Ziegel herstellen und die Technik des Ringofens nutzen. "Die Ausschussquote lag bei nur einem Prozent", erklärt Schulenberg. Ein Grund dafür war die Möglichkeit, mit den warmen Rauchgasen die gestapelten feuchten Ziegelrohlinge vorzuwärmen, bis nach etlichen Tagen das Feuer die Brennkammer erreichte.

Dieser Zusammenhang ist beim Gerresheimer Ringofen nicht mehr abzulesen, weil nur zwei Segmente erhalten wurden. "Es tat im Herzen weh, als der Bagger kam und die Gewölbe einriss", erinnern sich die Schulenbergs, die die Sanierung und den teilweisen Abriss mit geplant und überwacht hatten. Sie trösten sich jedoch mit dem Vorteil, den der Teil-Abriss brachte: "Durch den Ofen wurde gleichsam ein Schnitt gemacht, der innere Aufbau und die Technik sind daher genau zu erkennen." Deshalb eignet sich die Anlage bei Gerresheim auch für eine Ausstellung. Durch Gittertüren ist das Innere zu sehen, Hinweistafeln informieren über Details. Zugänglich wird die Ausstellung allerdings erst sein, wenn die neuen Wohnhäuser rund um das Industriedenkmal stehen.

Der Ausstellungsraum ist Startpunkt des Industriepfads Düsseldorf-Gerresheim, der quer durch den Ortsteil bis zur ehemaligen Glashütte führt und an insgesamt 20 Stationen die Geschichte der Industrie erzählt. "Der Ziegelindustrie sind insgesamt vier Stationen gewidmet", berichtet Peter Schulenberg. Nur wenige hundert Meter vom Ringofen entfernt wird auf die ehemalige Ziegelei Jorissen hingewiesen. Deren Ringofen ist zerstört, dafür sind aber die Grundmauern der anderen Gebäude erhalten, die zu einer Ziegelei gehören: Maschinenhaus mit Lehmmühle, Ziegelpresse für die Rohziegel und Trockenschuppen für die gebrannten Ziegel. Zu sehen sind auch Spuren für die Transportanlage für die Loren, auf denen der Lehm des Gallbergs herangebracht wurde.

Für die Ziegelproduktion wurde der Lößlehm des 20 Meter hohen Gallbergs scheibchenweise abgetragen, auch direkt hinter der Ziegelei Sassen. Die kahlen Lehmwände sind ein Paradies für seltene Insekten, sie stehen deshalb unter Naturschutz. Ein Stück der kahlen Wand ist eine weitere Station des Industriepfades. Eine vierte sind die Teiche rund um den Pillebach, die in den ausgebeuteten Lehmgruben entstanden sind. "Durch die Industrie entstand Natur aus zweiter Hand", sagt Peter Schulenberg. Sie ist so wertvoll, dass sie unter besonderem Schutz steht.

So profitierte Düsseldorf gleich zweimal durch die Ziegel-Industrie, bekam schöne Erholungsgebiete und wertvollen Baustoff Ziegel. Der hat auch das Stadtbild geprägt. Nicht von ungefähr sind viele Gebäude - Wilhelm-Marx-Haus, Ehrenhof, neuer Stahlhof, Matthäikirche oder Wohnviertel an der Kaiserswerther Straße - mit Ziegelsteinen gebaut, so Architekt Niklaus Fritschi, Vorsitzender des Förderkreises. "Manche sprechen sogar vom Düsseldorfer Architektur-Stil Backstein-Expressionismus."

(RP)
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