OLG-Präsident Werner Richter im Interview „Wir wollen weiterhin Top-Juristen gewinnen“

Düsseldorf · Der neue OLG-Präsident sieht die Nachwuchsgewinnung für die Justiz als eine seiner zentralen Aufgaben für die kommenden Jahre. Auch die Digitalisierung will er weiter vorantreiben.

 Werner Richter in seinem Büro im Oberlandesgericht

Werner Richter in seinem Büro im Oberlandesgericht

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Wie waren die ersten Wochen im neuen Amt?

Werner Richter An meinem ersten Tag bin ich hier außerordentlich herzlich empfangen worden, was mich sehr gefreut hat. Glücklicherweise gab es im November und Dezember schon mehrere Veranstaltungen, bei denen ich im Bezirk des Oberlandesgerichts aber vor allem auch hier im Haus die Gelegenheit hatte, viele Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen. Ein Beispiel ist das große gemeinsame Weihnachtsbaumschmücken, das traditionell zu Beginn der Adventszeit im Foyer des Oberlandesgerichts stattfindet.

Und in Ihrem Büro haben Sie sich auch schon gut eingerichtet?

Richter Meine Vorgängerin Anne-José Paulsen hat das Büro sehr geschmackvoll eingerichtet, und ich habe bisher nur wenig verändert. Nur ein Bild habe ich aufgehängt, das mir meine ehemaligen Kollegen zum Abschied geschenkt haben. Es zeigt das Justizministerium am Martin-Luther-Platz. Wenn man näher herantritt, erkennt man, dass das Motiv aus vielen Portraits der Mitarbeiter zusammengesetzt ist. Natürlich habe ich mich aber vorher erkundigt: Die Kollegen hier im Hause hatten keine Bedenken, dass jetzt ein Bild des Ministeriums im Büro des Präsidenten hängt.

Sie waren lange Leiter der Abteilung Z im Justizministerium und nicht als Richter tätig. Konnten Sie inzwischen wieder in Ihre Robe schlüpfen?

Richter Schon in der zweiten Woche habe ich meine erste Sitzung geleitet und mich sehr darüber gefreut, auch wieder als Richter tätig zu sein. Meine Tätigkeit im Ministerium habe ich allerdings gar nicht als so weit entfernt von meinem eigentlichen Beruf empfunden. Denn unter anderem war es dort meine Aufgabe, insbesondere die personellen Grundlagen für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in der Rechtsprechung zu organisieren. So habe ich beispielsweise maßgeblich an dem neuen Richter- und Staatsanwältegesetz mitgearbeitet. Nun ist es für mich besonders reizvoll zu sehen, wie sich diese Dinge in der Praxis umsetzen lassen.

Ihre Vorgängerin war im Gericht und in der Stadtgesellschaft sehr beliebt. Ist das eine Bürde, oder öffnet es Ihnen Türen?

Richter Frau Paulsen genießt einen herausragenden Ruf. Jeder, der Sie kennt, weiß warum. Ihre 16-jährige Amtszeit war ja nicht nur wegen ihrer Dauer so besonders, sondern vor allem wegen der Art, wie sie das Amt ausgefüllt hat. Das öffnet durchaus Türen bei den vielen Themen, die uns in nächster Zeit beschäftigen werden. Ihr Amtsnachfolger zu sein, sehe ich daher auch nicht als Bürde, sondern eher als Herausforderung.

Welche Aufgaben stehen auf Ihrer Liste ganz oben?

Richter An erster Stelle steht für mich das Thema Nachwuchsgewinnung. Wir wollen weiterhin Top-Juristen als richterliche Kolleginnen und Kollegen gewinnen. Als zweite große Herausforderung steht das Thema der Digitalisierung der Justiz an. Und als Drittes Thema etwas Grundsätzliches: Wir müssen uns aktiv der Aufgabe widmen, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken.

Warum steht es um dieses Vertrauen nicht so gut?

Richter Ich glaube, dass es eine Daueraufgabe ist, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, denn wir dürfen nicht davon ausgehen, dass dieses Vertrauen selbstverständlich und anstrengungslos zu haben ist. Mit dem Rechtsstaat ist es ein wenig wie mit der Gesundheit, deren Wert häufig erst dann geschätzt wird, wenn sie beeinträchtigt ist. Wir müssen den Bürgern immer wieder erläutern, welche Aufgaben die Justiz bewältigt und wie wichtig eine gut funktionierende Justiz für das Allgemeinwohl ist. Es ist für ein gesellschaftliches System ganz wesentlich, dass eine Institution besteht, die neutral und unabhängig Konflikte entscheidet und für Rechtssicherheit sorgt.

Und das Thema Digitalisierung?

Richter Zum Januar 2018 haben wir in NRW flächendeckend den elektronischen Rechtsverkehr an den Gerichten eingeführt. Das bedeutet, dass wir empfangsbereit für elektronische Eingänge der Rechtsanwälte sind. Wir wünschen uns, dass dieser Übermittlungsweg von den Rechtsanwälten noch häufiger genutzt wird. Ab Anfang 2019 wollen wir am Landgericht in Düsseldorf und hier am Oberlandesgericht im Zuge eines Pilotprojektes deshalb selbst damit beginnen, Schreiben an Anwälte digital zu versenden. Am Landgericht Krefeld gibt es zudem ein Pilotprojekt zur elektronischen Akte. Zwei Zivilkammern arbeiten bereits ausschließlich mit Akten in elektronischer Form und nach nicht überraschenden, kleineren technischen Anfangsschwierigkeiten läuft es nach der Einschätzung der Kollegen dort gut.

Die Nachwuchsgewinnung hatten Sie schon zu Ihrer Amtseinführung zu einem wichtigen Thema erklärt. Woher kommt der Mangel?

Richter In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Jura-Absolventen mit zweitem Staatsexamen um rund 40 Prozent zurückgegangen – es gibt also schon insgesamt viel weniger Kandidaten. An dem prominenten Wirtschaftsstandort Düsseldorf konkurrieren zudem eine Reihe großer Wirtschaftskanzleien, Versicherungen und Unternehmen um die Top-Juristen, die wir auch gerne für den Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf gewinnen würden.

Was können Sie in diesem Wettbewerb bieten? Sicherlich nicht mehr Geld...

Richter Wir bieten eine wertvolle, sinnstiftende Aufgabe verbunden mit sachlicher Unabhängigkeit und einer hohen Verantwortung für menschliche Schicksale. Außerdem sind die Tätigkeitsfelder für Richter in der Justiz ausgesprochen vielfältig und attraktiv. Der Einsatz in einem hochspezialisierten wirtschaftsrechtlichen Spruchkörper ist beispielsweise ebenso möglich, wie im Straf- oder Familienrecht. Die Auswahlmöglichkeiten sind wirklich sehr reizvoll und nicht nur dadurch entsteht eine große Arbeitszufriedenheit.

Die Gehälter in den Wirtschaftskanzleien bleiben dennoch ein Faktor...

Richter Die Justiz wird die Differenz zwischen den Gehältern einiger Top-Kanzleien und der Richterbesoldung sicherlich nicht schließen können. Der finanzielle Rahmen ist sicher auch ein Gesichtspunkt – aber die Erfahrung zeigt, dass sich nicht wenige Juristen mit den eben genannten Argumenten für den Richterberuf entscheiden, die zuvor mehrere Jahre in einer großen Kanzlei gearbeitet haben.

Wo wollen Sie dann nachbessern, um künftig noch mehr Nachwuchs zu gewinnen?

Richter Wir müssen versuchen, junge Juristen schon frühzeitig für den Richterberuf zu interessieren. Dazu sollten wir nicht nur in der Referendarausbildung sondern auch schon in der Universität ansetzen. In der vergangenen Woche hatte ich zu diesem Thema bereits ein Gespräch mit der Dekanin der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich Heine Universität. Wir möchten die Beziehungen zwischen Universität und Justiz weiter vertiefen – auch, indem wir als Justiz in der universitären Ausbildung präsenter werden. Das ist für uns wichtig, denn anders als etwa in Köln mit den „zuliefernden“ Universitäten Köln und Bonn steht der großen Nachfrage nach Top-Juristen hier in Düsseldorf eine verhältnismäßig geringe Zahl an Absolventen gegenüber. Die juristische Fakultät der HHU ist zwar fein, aber relativ klein. Und die Erfahrung zeigt, dass Berufseinsteiger heute eher dort bleiben wollen, wo sie studiert haben.

Wo wir beim Thema Köln sind: Sie haben in Ihrer Antrittsrede selbst darauf hingewiesen, dass Sie auch diese Stadt gut kennen... wie erleben Sie die vermeintliche Rivalität der Städte?

Richter Ich bin in Opladen geboren und wohne nach einer Zeit in Köln nun auch wieder dort. Meine 30 Berufsjahre habe ich jeweils etwa zur Hälfte in Köln und in Düsseldorf verbracht und kann sagen, das Verbindende ist viel stärker ist als das Trennende. Dazu gehören die rheinische Offenheit der Menschen und die große kulturelle Vielfalt. Ich besuche zum Beispiel gerne klassische Konzerte sowohl in der Kölner Philharmonie als auch in der Tonhalle. Auch finde ich die Stadtentwicklung in Düsseldorf sehr gelungen. Der Rheinufertunnel, dessen 25-jähriges Bestehen gerade gefeiert worden ist, hat die Rheinuferpromenade unheimlich bereichert und ermöglicht ein ganz anderes Stadterlebnis. Auch der Abriss des Tausendfüßlers und die dementsprechende Umgestaltung der Innenstadt haben der Stadt sehr gut getan.

2019 soll es einen vierten Staatsschutzsenat am OLG Düsseldorf geben – kommt er?

Richter Ja, die Einrichtung des vierten Staatsschutzsenates ist für Januar 2019 vorgesehen. So sind wir für einen möglicherweise steigenden Bedarf im Bereich der Staatsschutzverfahren gut vorbereitet und können dementsprechend flexibel reagieren.

Reicht der Hochsicherheitstrakt in Hamm dann noch aus, oder müssen Sie anbauen?

Richter Wir beobachten die Entwicklung der Verfahren sehr genau, auch im Hinblick auf die räumlichen Kapazitäten. Konkrete Planungen für einen Erweiterungsbau am Kapellweg bestehen derzeit nicht, zumal wir erst im letzten Jahr hier an der Cecilienallee einen Sitzungssaal modernisiert haben. Der Saal ist unter anderem mit modernster Technik, Dolmetscherkabinen und Trennscheiben ausgestattet worden. Weniger sicherheitsrelevante Verfahren können hier gut verhandelt werden. Die übrigen Verhandlungen werden jedoch weiterhin am Kapellweg stattfinden.

Justizminister Biesenbach hat das Thema der „Commercial Courts“ angestoßen, um die Wirtschaftsgerichtsbarkeit zu stärken. Ist diese Idee gut?

Richter Ich bin der Auffassung, dass die Justiz gute Angebote machen muss, auch um bedeutende Wirtschaftsverfahren, die in jüngster Zeit häufiger vor den Schiedsgerichten verhandelt werden, wieder zur ordentlichen Gerichtsbarkeit zurückzuholen. Gerade an einem so bedeutenden Standort wie Düsseldorf besteht ein konkreter Bedarf dafür, dass Verfahren mit großer wirtschaftlicher Bedeutung und sehr hohen Streitwerten von hochspezialisierten Richtern kompetent und zügig ohne langen Instanzenzug – falls gewünscht auch in englischer Sprache – verhandelt und entschieden werden. Dafür könnte ein Senat bei dem Oberlandesgericht eingerichtet werden, der dann erstinstanzlich zuständig wäre. So würde man den Instanzenzug verkürzen und schneller zu abschließenden Entscheidungen kommen. Die notwendigen Gesetzesänderungen auf Bundesebene dazu werden derzeit diskutiert. Düsseldorf wäre als Standort ideal, da die Kolleginnen und Kollegen unseres Hauses auch in diesem Bereich eine hohe Fachkompetenz besitzen und viele hochspezialisierte Anwaltskanzleien hier ansässig sind.

Sie haben dem Oberbürgermeister schon zugesagt, auch in der Stadtgesellschaft sichtbar zu sein. Haben Sie schon überlegt, wo Sie sich einbringen möchten?

Richter Wie bereits erwähnt, möchte ich zum einen die Beziehungen zur Düsseldorfer Universität vertiefen. Zum anderen möchte ich auch Beziehungen pflegen und Projekte fortführen, die Frau Paulsen in ihrer Amtszeit begonnen hat. Den bereits bestehenden engen Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Düsseldorf möchte ich weiter ausbauen. Auch die guten Beziehungen zur Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf möchte ich fortführen. Gemeinsam mit Frau Paulsen habe ich außerdem die Idee eines Childhood-Houses für Düsseldorf entwickelt. In dieser Einrichtung sollen Kinder durch ein multidisziplinäres Team aus Ärzten, Psychologen und Juristen im Fall von Missbrauch – oder auch nur dessen Verdacht – Hilfe erhalten. Ein Ziel ist dabei, den Kindern eine mehrfache Befragung zu ersparen, insbesondere um sie vor einer Retraumatisierung zu bewahren.

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