Polizeipräsident zieht Bilanz „Wir sind auf einem guten Weg“

Düsseldorf · Überfälle auf Gleichaltrige, serienweise Autoaufbrüche – immer wieder machten in den vergangenen Wochen junge Straftäter Schlagzeilen. RP-Redakteurin Stefani Geilhausen sprach mit Polizeipräsident Herbert Schenkelberg über Jugendkriminalität in Düsseldorf.

Überfälle auf Gleichaltrige, serienweise Autoaufbrüche — immer wieder machten in den vergangenen Wochen junge Straftäter Schlagzeilen. RP-Redakteurin Stefani Geilhausen sprach mit Polizeipräsident Herbert Schenkelberg über Jugendkriminalität in Düsseldorf.

Wie groß ist das Problem Jugendkriminalität in Düsseldorf?

Schenkelberg Wir haben wie jede Großstadt eine hohe Belastung, keine Frage. Von 22 803 Tatverdächtigen, die wir im vergangenen Jahr ermittelten, waren 4998 jünger als 21 Jahre. Und von denen sind 184 Intensivtäter.

Was verstehen Sie unter intensiv?

Schenkelberg In Düsseldorf verstehen wir darunter junge Menschen, denen wir im Kalenderjahr mehr als fünf Taten, davon mindestens eine Gewalttat, nachweisen können.

Heißt das, die anderen 4814 sind harmlos?

Schenkelberg Absolut nicht. Jemand, der zum Beispiel vier Gewalttaten begeht, ist nach dieser Definition kein Intensivtäter, aber trotzdem sehr ernst zu nehmen. Und wir haben auch mit einer ganzen Reihe Jugendlicher zu tun, die einen hohen Anteil an der Kriminalität haben, aber nur über einen gewissen Zeitraum straffällig werden. Die nennen wir Episodentäter, und auch sie spielen eine große Rolle. Bei ihnen gibt's aber auch eine erfreulich geringe Rückfallquote.

Was erwartet einen solchen Täter, wenn er "erwischt" wird?

Schenkelberg Seit 2006 arbeiten wir sehr erfolgreich mit dem Projekt "Gelbe Karte". Da wird wenige Tage nach der Tat eine Sitzung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe einberufen und dem Jugendlichen deutlich gemacht, was er riskiert. Das ist kein Prozess, sondern eine Chance, mit einem blauen Auge und ein paar Sozialstunden davonzukommen. Kurz gesagt: eine direkte Rückmeldung mit einer Bewährungschance — und die nehmen viele wahr, wie die niedrige Rückfallquote zeigt.

Wieviele Täter haben seit Projektbeginn Ende 2006 schon Gelb gesehen?

Schenkelberg 130. Und wir werden dieses erfolgreiche Projekt unbedingt weiter ausbauen.

Aber nicht für Intensivtäter?

Schenkelberg Nein, bei diesen Tätern ist es dafür zu spät. Die Beschäftigung mit Intensivtätern ist deutlich aufwändiger. In der mit der Stadt gemeinsam einberufenen Sicherheitskonferenz haben wir regelmäßige Fallkonferenzen vereinbart, in denen Fachleute von Polizei, Jugendamt, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und vom Jugendgericht über jeden einzelnen dieser Täter beraten.

Ist das nicht die eigentliche Aufgabe einer Jugendgerichtsverhandlung?

Schenkelberg Ich denke nicht, dass ein Gericht das so leisten kann. Dort geht es um eine einzelne Tat. Bei uns geht es um den Täter, um seine Persönlichkeit, sein Umfeld, familiären und schulischen Hintergrund. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen wird für jeden ein individuelles Konzept erarbeitet, in dem zwei Punkte entscheidend sind: Repression — also Strafe — und Hilfsangebote, vom Schulabschluss bis zum Drogenentzug.

Wie viele Angebote werden gemacht?

Schenkelberg Das kann man pauschal nicht sagen. Genau um dies für den Einzelnen festzulegen, sind die Fallkonferenzen ja da. Wenn man merkt, die Angebote fruchten nicht, plädiere ich durchaus für konsequente und auch harte Strafen. Bislang gab es zwei Fallkonferenzen — und danach gingen zwei Intensivtäter in U-Haft, weil alles Andere kein Ergebnis gezeigt hat.

Woran messen Sie Erfolge?

Schenkelberg Ich erwarte eine Verbesserung der Kriminalitätsbelastung, und die ist gegeben, wenn ein Intensivtäter keine Gewalttaten mehr begeht. Oder statt 20 Delikten nur noch zwei. Ideal wäre, wenn er seine kriminelle Karriere beendet.

In Frankfurt sind zwei jugendliche U-Bahn-Schläger nicht in Haft gekommen und haben nun wieder zugeschlagen. Da war von Kuscheljustiz die Rede. Haben wir eine?

Schenkelberg Das will ich so nicht sagen. Ich gebe keine Ferndiagnose zu dem Frankfurter Fall ab, weil ich die Einzelheiten nicht kenne. Ich würde mir aber wünschen, dass die Justiz ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit offensiver erklärt.

In Frankfurt sah ein Gericht keine Wiederholungsgefahr.

Schenkelberg Nichts ist schwieriger, als Prognosen abzugeben. Wir brauchen keine härteren Gesetze. Aber bessere Prognosen. Und zu verlässlicheren Prognosen tragen die Fallkonferenzen bei.

Der Düsseldorfer Süden scheint besonders stark belastet, wenn man die Polizeiberichte der letzten Wochen liest. Ist das so?

Schenkelberg Nicht wirklich. Die meisten Straftaten begehen Jugendliche in der Innenstadt. Auffallend ist aber, dass ein überwiegender Teil der Tatverdächtigen in südlichen Stadtteilen wohnt.

Woran liegt das?

Schenkelberg Die Wohngegend ist, vor allem bedingt durch die städtebaulichen Sünden der frühen 70er Jahre, eher unattraktiv. Das führt dazu, dass sich hier viele sozial schwache Familien und gesellschaftliche Randgruppen ansiedeln. Da kommen mangelnde Schulbildung, Arbeits- und Perspektivlosigkeit in geballter Form zusammen. Das sorgt vor allem bei Jugendlichen für enormen Frust, der sich in Kriminalität entladen kann.

Wie könnte die Sicherheitskonferenz Einfluss auf "Bausünden" nehmen?

Schenkelberg Das Instrument hat ein sehr hohes Entwicklungspotenzial. Das sollte man nutzen, wenn man mit gesamtgesellschaftlichen Mitteln Kriminalität verhüten will. Da wäre durchaus denkbar, auch Stadtplaner ins Boot zu holen.

Wer sind die Opfer der jungen Täter?

Schenkelberg Vor allem Gleichaltrige.

Aber es sind hauptsächlich Senioren, die Angst vor Jugendbanden haben.

Schenkelberg Natürlich gibt es auch die alte Dame, der die Handtasche geraubt wird. Aber es gibt sie eben seltener. Ich will nichts verharmlosen, aber die Zahlen belegen, dass die Wirklichkeit anders aussieht, als sie wahrgenommen wird. Wir nehmen dieses subjektive Unsicherheitsgefühl durchaus ernst. Diese Diskrepanz zur Realität ist auch für uns ein Problem — für das ich, offen gesagt, keine Lösung weiß. Andererseits habe ich inzwischen auch schon viel positives Feedback aus dem Süden bekommen, weil wir dort die Polizeipräsenz enorm verstärkt haben.

Obwohl es um die Wachenschließung heftige Debatten gab.

Schenkelberg Wir haben keine Wachen geschlossen, sondern uns neu organisiert. Im Übrigen sind Wachen nicht gleichbedeutend mit Sicherheit. Nehmen Sie den Bolker Stern — das ist der Kriminalitäts-Schwerpunkt der Stadt, und die Altstadtwache liegt gleich nebenan. Und er ist videoüberwacht. Aber Fakt ist: Durch die Neuorganisation haben wir zwei Einsatztrupps Präsenz gewonnen, von denen einer permanent im Süden unterwegs ist.

Bei der Verkehrspolizei gibt es klare Vorgaben: die Zahl der Schulunfälle senken, soundsoviele Raser stoppen — gibt es so etwas auch für die Kriminalität?

Schenkelberg Unser strategisch formuliertes Ziel heißt: die Kriminalität reduzieren, vor allem die Delikte, vor denen Menschen Angst haben, also Wohnungseinbrüche und Straßenkriminalität wie Raub, Autoaufbrüche und Körperverletzungen. Das sind Bereiche, in denen Jugendliche überwiegend auffallen. Also setzen wir genau da an. Und ich bin überzeugt, dass unsere jetzigen Maßnahmen uns an dieses Ziel führen. Wir sind auf einem guten Weg.

Stabile Besetzung im Streifendienst

Sie sind bei der Neuorganisation mit dem Ziel angetreten, 50 Beamte mehr auf die Straße zu kriegen. Heute hat zum Beispiel der neu geschaffene Einsatztrupp (ET) im Süden statt 20 nur noch 16 Leute. Hat sich der Aufwand dafür wirklich gelohnt?

Schenkelberg Unbedingt. Dass im Lauf eines Jahres ein Abschmelzprozess stattfindet, dass Beamte den Dienstort oder die Dienststelle wechseln oder in den Ruhestand gehen, ist normal. Das ist in jedem Unternehmen so. Bei uns werden solche Stellen dann aber erst im September neu besetzt, wenn das Ausbildungsjahr zu Ende ist.

Aber seit dem Auffüll-Termin am 1. September 2007 war der Schwund schon recht groß.

Schenkelberg Stimmt. Das lag daran, dass das Land im vergangenen Jahr durch die Umstrukturierung der Landespolizeibehörden viele attraktive neue Stellen geschaffen hat, für die sich auch von uns qualifizierte Beamte beworben haben. Hätten wir uns nicht unsere eigenen Ressourcen geschaffen, hätte uns dies viel schwerer getroffen.

Inwiefern?

Schenkelberg Heute kann ich garantieren, dass der Wach- und Wechseldienst von dieser Fluktuation nicht betroffen, sondern stets voll besetzt ist. Der Wach- und Wechseldienst ist unsere Feuerwehr, die müssen immer voll einsatzbereit sein. Und das ging vor der Neuorganisation oft an die Substanz, wenn Kollegen ausschieden, bevor der Ersatz kam. Der Streifendienst hat für mich immer absolute Priorität.

Das heißt, nach dem 1.September sind die ET wieder voll besetzt?

Schenkelberg Ich bin sicher, dass man auch im Innenministerium unsere Anstrengungen anerkennt, mehr Beamte auf die Straße zu bringen. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir genügend Personal zugewiesen bekommen, um die entstandenen Lücken auffüllen zu können.

(RP)
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