Anja Steinbeck und Gregor Berghausen "Wir holen die größten Talente in die Stadt"

Düsseldorf · Der Verein zur Förderung der Wissensregion Düsseldorf will neue Brücken zwischen Hochschul- und beruflicher Bildung bauen. Die Uni-Rektorin und der IHK-Hauptgeschäftsführer erklären, wie sie das erreichen wollen.

 IHK-Geschäftsführer Gregor Berghausen und Anja Steinbeck, Rektorin der Heine-Uni.

IHK-Geschäftsführer Gregor Berghausen und Anja Steinbeck, Rektorin der Heine-Uni.

Foto: Andreas Bretz

Hochschulen, Verbände, Unternehmen und die Stadt Düsseldorf tauschen sich regelmäßig aus. Warum schaffen Sie mit der Wissensregion Düsseldorf eine zusätzliche Struktur?

Steinbeck Es stimmt, dass es viele sehr gut funktionierende bilaterale Beziehungen gibt. Dennoch will der im Aufbau befindliche Verein die enormen Stärken des Standortes Düsseldorf noch sichtbarer machen. Im Wettbewerb um die besten Talente und forschungsintensive Unternehmen ist ein geschärftes Profil ein zentraler Standortfaktor. BERGHAUSEN Es geht vor allem darum, die Bildungslandschaft als Ganzes in den Blick zu nehmen und noch attraktiver für qualifizierte Bewerber zu werden. Die Botschaft muss sein: Düsseldorf mit den Nachbarkreisen Neuss und Mettmann ist ein Top-Ziel für Bildung, Ausbildung und berufliche Karrieren. Hat das Erfolg, wird es uns am Ende dabei helfen, die Versorgung der Region mit Fachkräften zu sichern.

Haben Sie denn auch ein Leuchtturmprojekt, an dem man erklären kann, worum es Ihnen bei der Sache konkret geht?

Steinbeck Die Wissensregion möchte innovative Ausbildungsformate anbieten. Besonders am Herzen liegt uns das Projekt Innovationssemester. Darin wollen wir im kommenden Jahr junge Menschen aus der dualen Berufsausbildung in den Betrieben und aus den Hochschulen zueinanderführen. Sechs bis acht Köpfe sollen das sein, der eine studiert an der Uni, der andere an der Hochschule Düsseldorf, einer kommt aus dem Handwerk, wieder einer absolviert gerade eine handwerkliche Lehre und auch einer von der Kunstakademie könnte dabei sein.

Und was machen die dann miteinander?

Steinbeck Sie planen beispielsweise, ein sehr altes Buch auszustellen. Der Jurist klärt, ob es rechtliche Probleme geben könnte, der Betriebswirt entwickelt einen Plan, wie das organisiert wird, der Historiker erläutert die Bedeutung des Werkes, der Schreiner baut die Präsentationsvitrine, und der IT-Experte kümmert sich um die digitale Vermarktung. BERGHAUSEN Uns geht es darum, Gräben zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung zu überwinden. Studierenden fehlt nicht selten der Praxisbezug. Sie erhalten so die Gelegenheit, ihr Wissen auf die Straße zu bringen. Umgekehrt erfahren Auszubildende, dass Theorie nicht immer grau sein muss, sondern, dass dieses Wissen in der Praxis durchaus verwertbar ist.

Welche Erfahrungen machen Sie denn mit den Uni- und Hochschulabsolventen?

Berghausen Ein Bachelor, der beispielsweise in einer internationalen Unternehmensberatung seinen ersten Job erhält, ist bisweilen überfordert, weil er auf eine Welt trifft, deren Regeln er überhaupt nicht kennt. Es fehlen ihm schlicht bestimmte, in der Berufswelt selbstverständliche Kulturtechniken. Unsere Projekte zielen darauf, die beiden Welten früher miteinander zu verzahnen. Das hilft den Unternehmen und den Berufsanfängern.

Die Wirtschaft, insbesondere das Handwerk, warnen vor Über-Akademisierung. Gibt es zu viele Studierende?

Steinbeck Selbst wenn es so wäre, ist es nicht an mir, das zu steuern. Wir sind und bleiben offen für junge Menschen, die einen akademischen Abschluss anstreben.

Die Folge sind aber hohe Abbrecherquoten.

Steinbeck Die sind sehr unterschiedlich. Grundsätzlich kann man sagen: Wo es einen hohen Wettbewerb mit einem Numerus clausus gibt, also beispielsweise in Medizin, Jura und Betriebswirtschaftslehre, liegen diese Quoten bei zehn, 15 oder 20 Prozent. In anderen Fächern können es aber auch bis zu 40 Prozent sein, der Durchschnitt liegt bei etwa 30 Prozent. Projekte wie "Move" helfen den Abbrechern, sich jenseits eines Studiums neu zu orientieren. BERGHAUSEN Solche Projekte sind vollkommen in Ordnung. Volkswirtschaftlich gesehen sind solche Abbruchquoten aber Irrsinn. Das Ganze liegt auch daran, dass immer noch suggeriert wird, nur ein Uni- oder Hochschulabschluss sei der Garant für beruflichen Erfolg, Aufstieg und gutes Geld.

Ist er das nicht auch?

Berghausen Die Zeiten haben sich geändert. Schauen Sie: Heute sind rund 18 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Akademiker. Und von denen verdienen viele tatsächlich auch gut. Aktuell liegt die Studierendenquote eines Jahrgangs aber bereits bei 57 Prozent. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass all diese jungen Leute später einmal so viel verdienen wie der heutige Durchschnittsakademiker. Wohlgemerkt: Ich sage überhaupt nichts dagegen, dass derjenige, der über die nötigen Talente verfügt, sich am Ende für ein Studium entscheidet. Aber die anderen sollten wissen, dass es jede Menge nicht gleichartige, sehr wohl aber gleichwertige Alternativen gibt, mit denen man weit kommen kann.

Werden Sie die Wissensregion mit einem neuen Studiengang bewerben?

Steinbeck Die Idee, das Innovationssemester zu einem gemeinsamen Studiengang von Heinrich-Heine-Universität und Hochschule Düsseldorf weiterzuentwickeln gibt es. Freilich ist das ein langer Weg, bei dem so genannte Akkreditierungsagenturen eingeschaltet werden, die dann 200 Seiten starke Modulhandbücher überprüfen, die von den Lehrenden zuvor erarbeitet wurden. Wir verfolgen deshalb auch Ansätze unterhalb dieser Ebene.

Welche?

Steinbeck Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn wir in den Medien- und Kommunikationswissenschaften einen zeitgemäßen Schwerpunkt wie "Gaming" rund ums Thema Spiele bilden, liegt es doch nahe, dort auch Module von Musikhochschule und Kunstakademie miteinzubauen.

Würde das denn als Studienleistung anerkannt?

Steinbeck Ja. Und es lässt sich anders als bei der Akkreditierung eines neuen Studiengangs in der Region auf kurzen Wegen klären.

Gibt es weitere Möglichkeiten, die Welten der Berufsausbildung und des wissenschaftlichen Studiums zusammenzuführen?

Berghausen Sicher. Ich fände ein gemeinsames Wohnheim für Auszubildende, die von weiter her nach Düsseldorf kommen, und für Studierende großartig. Steinbeck Das sehe ich genauso. Mir wäre zudem wichtig, den draußen vor der Stadt gelegenen Campus näher an die City anzubinden. Mit dem Haus der Universität haben wir zwar einen großen Schritt nach vorne gemacht. Aber es bleibt eine Herausforderung, nicht zuletzt für die Stadtplaner, Zentrum und Uni weiter zu verbinden.

Wie groß soll der Verein "Wissensregion Düsseldorf" denn werden?

Steinbeck Sicher werden zu den zwölf Gründungsmitgliedern noch welche hinzukommen. Studierendenwerk und die Akademie der Wissenschaft und Künste haben das bereits angekündigt, Gespräche gibt es auch mit der Kunstakademie. Auf der anderen Seite streben wir keinen Groß-Verein mit 50 oder 60 Mitgliedern an.

Wie viel Geld kann der Verein Wissensregion denn einsetzen?

Berghausen Das aktuell zugesagte Jahresbudget liegt bei knapp über 100.000 Euro. Die Planungen für 2020 gehen von 190.000 Euro aus.

Düsseldorf boomt, platzt schon jetzt aus allen Nähten. Wenn Ihre Werbung für die Wissensregion Erfolg hat, könnte es bald noch enger werden. Lässt Sie das zurückschrecken?

Berghausen (lacht) Nein. Wir brauchen in unserer Region diesen Nachwuchs und es wäre dumm, nicht für diesen attraktiven Raum zu werben.

Aber wo sollen die jungen Leute, die man für den Standort begeistert hat, denn wohnen?

Berghausen Das wird sich regeln. München diskutiert seit 40 Jahren über genau dieses Thema. Dennoch blüht der Standort wie kaum ein anderer und findet auch Wege für seine Studierenden. Ich hielte es für zumutbar, wenn junge Menschen jeden Morgen zehn oder 15 Kilometer mit der Bahn nach Düsseldorf einpendeln, weil sie hinter der Stadtgrenze preiswerter wohnen können. Gleichzeitig muss man sicherlich auch die Wohnheimkapazitäten innerhalb der Stadt ausweiten.

JÖRG JANSSEN UND UWE-JENS RUHNAU FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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