Serie So Wohnt Düsseldorf Weltreise auf 120 Quadratmetern

Düsseldorf · In einer Wohnung an der Kasernenstraße treffen sich Fundstücke aus Asien, Treibgut von Lanzarote, modernes Design und Sperrmüll.

 Normalerweise sitzt Inge Hufschlag nicht im Perlensessel aus Südafrika - "zu empfindlich". An der Wand hinter ihr wurde ein Kleid von Issey Miyake zum Kunstobjekt.

Normalerweise sitzt Inge Hufschlag nicht im Perlensessel aus Südafrika - "zu empfindlich". An der Wand hinter ihr wurde ein Kleid von Issey Miyake zum Kunstobjekt.

Foto: Anne Orthen

Dieser Ort ist für jede Überraschung gut. Zeigt er doch, dass oft mehr in den Dingen des Alltags steckt, als sie auf den ersten Blick offenbaren. Oder wofür sie ursprünglich bestimmt waren. Wenn man es denn erkennt. Die Journalistin Inge Hufschlag ist eine Entdeckerin aus Leidenschaft, schleppt Fundstücke aus aller Welt in ihre Wohnung an der Kasernenstraße. Wie das rostige Fragment eines Spatens aus einem Kloster in Myanmar. Für die meisten Menschen ein Stück für den Müll, für sie ein Objekt mit ästhetischem Reiz. Ihr Blick verwandelt Schrott in Kunst.

 Ein Schlafzimmer der sehr eigenen Art: An der Wand des Raumes hängen zwei Fotografien von Inge Hufschlags Eltern. Sie sind Erinnerungen in Sepia.

Ein Schlafzimmer der sehr eigenen Art: An der Wand des Raumes hängen zwei Fotografien von Inge Hufschlags Eltern. Sie sind Erinnerungen in Sepia.

Foto: Anne Orthen

Sie hat lange um diese Wohnung gekämpft, nachdem sie vom Nachbarhaus aus mal den dazu gehörenden Dachgarten gesehen hatte. "Eigentlich wollte ich vor allem diese Terrasse, ich hätte die Wohnung auch genommen, wenn sie nur ein Zimmer gehabt hätte." Was sie dann beim Besichtigungstermin sah, überzeugte sie vollends: 120 Quadratmeter mit Wintergarten und über 30 Quadratmeter Dachgarten mit Blick in die Hinterhöfe der Carlstadt. Aber der Hausbesitzer war in dieser Wohnung gestorben, sie wurde versiegelt, die Besitzverhältnisse waren unklar. Es vergingen zwei Jahre, bis Hufschlag endlich den Mietvertrag unterschreiben konnte. Und in die Geschichte des Ortes eintauchte.

 Küchenkunst: Die Werke von Freunden werden zu einem Hingucker.

Küchenkunst: Die Werke von Freunden werden zu einem Hingucker.

Foto: Anne Orthen

Ihre Recherchen ergaben, dass genau dort, wo sie nun jeden Tag ein und aus ging, einst Düsseldorfs uralte Synagoge stand, die 1792 erbaut worden und Vorläuferin der späteren Synagoge war, die von den Nazis 1938 niedergebrannt wurde. Zwei Stolpersteine vor dem Haus erinnerten Messing-glänzend an den Kaufmann Erich Felsenthal, der viele Jahre Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde war und an seine Frau Toni. Die beiden Erinnerungssteine wurden während des U-Bahn-Baus in ein sicheres Depot gebracht - "sie sind allerdings bis heute nicht zurückgekehrt", wundert sich Inge Hufschlag.

 Alter Esstisch mit cooler Begleitung. Und an der Wand hängt ein gefächertes Objekt, das früher mal ein Adressbuch war.

Alter Esstisch mit cooler Begleitung. Und an der Wand hängt ein gefächertes Objekt, das früher mal ein Adressbuch war.

Foto: Anne Orthen

Überhaupt: die Bauzeit! Heute genießt die Journalistin die Stille ihrer Wohnung, aber sie erinnert sich noch lebhaft an die Pressluftbohrer, die Nacht für Nacht die Ruhe zerfetzten. Außerdem war ihr Haus lange Zeit nur über Stege zu erreichen, "denn die Straße wurde drei Mal aufgerissen". Aber was tut man nicht alles für einen Traum? Für einen Ort, der perfekt zu seiner Bewohnerin passt und den sie mit ihrem Stil prägen konnte, der nur auf den ersten Blick improvisiert wirkt. Wie im Wohnzimmer, ein langgestreckter Raum, an dem sich zur Straßenseite das offene Schlafzimmer anschließt, zur Rückseite Wintergarten und Terrasse - "diese Blickachse schafft Transparenz". Und viel Platz, um ein Prinzip zu verwirklichen: altbekannten Dingen eine neue Funktion zu geben.

 Die Dachterrasse mit Fernblick ist ein echter Glücksfall - und war der Grund für Inge Hufschlag, für die dazugehörige Wohnung zu kämpfen.

Die Dachterrasse mit Fernblick ist ein echter Glücksfall - und war der Grund für Inge Hufschlag, für die dazugehörige Wohnung zu kämpfen.

Foto: Anne Orthen

Da wird eine klapprige Handwerkerleiter zum Blumenpodest, ein Holzstück, das eigentlich Aquarien schmückt, zum Griff an einer gläsernen Tür und eine Industriepalette auf Rollen zum Fernsehunterschrank ("es gibt kein schönes TV-Möbel"). Ein alter Deckchair, von einem Freund auf dem Sperrmüll entdeckt, bekam von der Düsseldorfer Künstlerin Johanna Hansen eine neue Stofffläche mit einem handschriftlichen Gedicht. Ein weißer, moderner Kleiderschrank wurde nach langer Suche mit Grastapete beklebt ("ich wollte vom Bett aus nicht auf eine weiße Wand schauen"), die Bahnen unterbricht ein handbemalter Läufer aus Laos, darüber wird hochgestapelt - mit einer Sammlung historischer Reisekoffer. Ein alter Esstisch, ebenfalls mit geweißter Fläche, hat eine coole Begleitung von sechs Stühlen aus Plexiglas. Daneben ein weißer Sessel aus Südafrika, der erst bei genauem Hinsehen sein Geheimnis preisgibt: Er besteht aus winzigen Perlen - zu schön zum Sitzen.

An den Wänden der Wohnung lässt sich die Augenreise fortsetzen: Dort fügt die Bewohnerin Treibgut von Lanzarote (oder anderen Stränden) zu witzigen Collagen, die sie gelegentlich bei Ausstellungen präsentiert. Hinter Glas drapiert sie Kleider wie das eines Designers aus Hongkong - mit der Wirkung einer chinesischen Wandzeitung. Der Wintergarten mit Chaiselongue und üppiger Philodendron ist der Lieblingsplatz von Inge Hufschlag, vor allem im Winter, wenn Schnee die Pflanzenpracht auf der Terrasse bestäubt. Vor dem steinernen Buddha hat auch der alte Spaten seine Bestimmung gefunden - als Opferschale. Sieht aus, als wäre er nie etwas anderes gewesen: Rost mit Poesie.

(RP)
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