Bombe von Düsseldorf Neue Untersuchung zum Wehrhahn-Anschlag

Düsseldorf · Vor 15 Jahren explodiert in Düsseldorf eine Rohrbombe. Die meisten der zehn Verletzten sind jüdische Einwanderer. Ein ungeborenes Baby stirbt. Jetzt sind die Ermittlungen als Verschlusssache eingestuft. Und es gibt einen neuen Ansatz.

S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf: Bomben-Anschlag im Juli 2000
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2000: Bomben-Anschlag in Düsseldorf am S-Bahnhof Wehrhahn

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Foto: Werner Gabriel

Die Plastiktüte hing an einem Geländer: Am 27. Juli 2000 um 15.04 Uhr explodiert am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Rohrbombe, gefüllt mit dem Sprengstoff TNT. Die ersten Rettungskräfte berichten von "vielen Bewusstlosen mit großen blutenden Wunden". Ein Metallsplitter dringt in den Bauch einer schwangeren Frau und tötet ihr ungeborenes Baby. Die Frau schwebt in Lebensgefahr. Die zehn Verletzten sind überwiegend jüdische Einwanderer. 15 Jahre später ist immer noch unklar, wer die Bombe gelegt hat. Inzwischen sind die Ermittlungen unter Verschluss und es gibt einen neuen Ansatz.

Die Opfer kamen vom Deutschunterricht an einer Sprachschule. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) spricht von einer "abscheulichen Tat". In der Folgezeit schnellen die rechtsradikalen Straftaten in Deutschland in die Höhe, die Forderung nach einem NPD-Verbot wird laut.

Waren es Islamisten? Rechtsextremisten, womöglich sogar das Zwickauer NSU-Trio? Stecken private Motive dahinter? War es die russische Mafia, weil die Opfer aus Osteuropa kommen? Ober handelt es sich um Zufallsopfer? "Die meisten Spuren gingen in Richtung Rechts", erinnert sich Dietmar Wixfort, der damals die Ermittlungen leitete.

Doch die zuständige Düsseldorfer Staatsanwaltschaft äußert sich derzeit nicht mehr zu dem Komplex. Weil der NSU-Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags den Fall aufrollt, wurden die Ermittlungen als "vertrauliche Verschlusssache" eingestuft. "Das komplette Verfahren ist unter Verschluss", sagt Staatsanwalt Ralf Herrenbrück.

Der Untersuchungsausschuss werde den Wehrhahn-Anschlag in einigen Monaten aufrollen, kündigt dessen Vorsitzender Sven Wolf (SPD) an. "Der Modus operandi ist dem des NSU sehr ähnlich. Wir prüfen aber auch Querbezüge zu anderen rechten Gruppen."

1400 Menschen wurden wegen des Wehrhahn-Anschlags befragt, mehr als 300 Spuren verfolgt, 450 Beweisstücke eingesammelt. Der Splitterhagel reichte 100 Meter weit. Ein Spezialdetektor wurde aus den USA beschafft, um Partikel des Zünders zu finden. Vergeblich.

Die Ermittler der Sonderkommission "Ackerstraße" haben Pech: Nach der Detonation geht ein Platzregen über dem Tatort nieder und wäscht viele Spuren weg. In der Nähe des Tatorts wohnte ein Militaria-Händler mit rechtsradikalen Bezügen. Er wird verhört - und bald wieder frei gelassen.

Als ein ehemaliger Leibwächter Osama bin Ladens drei Jahre später gesteht, Anschläge auf Juden in Düsseldorf geplant zu haben, sind die Ermittler elektrisiert. Doch auch diese "heiße Spur" ist schnell kalt: Der islamistische Kronzeuge der al-kaida-nahen Al Tawhid hat ein Alibi: Er befand sich zur Tatzeit in einem Terror-Camp in Afghanistan.

Nach 15 Jahren verfolgen die Ermittler nun einen neuen Ansatz: Das deformierte Geländer, an dem die Bombe hing, soll erneut untersucht werden, verrät ein Sprecher des LKA. Weil die DNA-Analyse inzwischen so weit verbessert ist, dass auch nach Explosionen noch analysierbare DNA gefunden werden kann, will man nichts unversucht lassen.

Von Beginn an hatten die Ermittler Zweifel, ob es sich überhaupt um einen politischen Anschlag handelt. Gegen rechtsradikale Hintergründe der Tat spreche, "dass es nie ein Bekennerschreiben gegeben hat", sagte ein Ermittler. Ein Satz, den er 2011 wohl nicht mehr gesagt hätte, denn da wird die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bekannt, samt Bombenanschlägen im benachbarten Köln.

Schnell fällt auf, dass bei den späteren NSU-Terroristen bereits 1998 in einer Jenaer Garage Rohrbomben mit TNT entdeckt wurden. Doch ein Vergleich des Sprengstoffs ist nicht mehr möglich: Die Jenaer Bomben sind bereits vernichtet.

Dennoch werden die Ermittlungen zum Wehrhahn-Anschlag wieder aufgerollt - ohne eindeutiges Ergebnis. Der Düsseldorfer Anschlag fehlt auf der Bekenner-DVD des NSU. "Wir wissen auch nicht, wo die beiden Uwes am 27. Juli 2000 waren", sagt ein Ermittler. Gemeint sind die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Wenige Monate nach dem Anschlag am S-Bahnhof, im Oktober 2000, werden Brandsätze auf die Düsseldorfer Synagoge geschleudert. Wieder wird ein rechtsextremer Hintergrund vermutet, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eilt in die Landeshauptstadt und fordert einen "Aufstand der Anständigen". Doch diesmal werden rasch zwei arabischstämmige Jugendliche gefasst und verurteilt.

"Das war ein turbulentes Jahr. Wir standen in ständigem, engen Kontakt mit der Polizei", sagt Michael Szentei-Heise, Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Jüdische Kinder erhielten Religionsunterricht unter Polizeischutz. Es habe damals aber auch eine enorme Welle der Solidarität gegeben. Fast 100 000 DM (51 000 Euro) seien für die Opfer des Anschlags gespendet worden. Inzwischen sei der Kontakt zu den Opfern aber abgerissen.

(lnw)