Düsseldorf Wart's ab, das wird super

Düsseldorf · Der Sommer ist die Jahreszeit der Warteschlangen. Denn wer es schön haben will, der muss vorher leiden. Doch wie kriegen die Leute dort die Zeit rum? Beobachtungen im Düsseldorfer Flughafen zum Ferienbeginn.

Düsseldorf: Wart's ab, das wird super
Foto: Endermann, Andreas (end)

Um halb eins haben die Menschen, die am Tui-Schalter im Flughafen anstehen, die Gewissheit: Niemand wartet in diesem Gebäude länger als wir. Denn da kommt das Fernsehen, gleich zweifach. Und wo das auftaucht, da ist etwas zu sehen, was anderswo nicht zu sehen ist. Nämlich sie. In einer Schlange. In der längsten.

Die Leute hätten natürlich auch an die deutsche Küste fahren können. In der S-Bahn zum Flughafen wurde für "Maritime Feste" geworben, aber nein, es sollte Antalya sein oder Fuerteventura. All inclusive. Und dann liefen sie am Freitagvormittag, Sommerferienbeginn, durch das Flughafenterminal, und alles sah entspannt aus, niemand wollte in den Iran, bei Air Berlin gab es mehr Schalter als Urlauber - bis sie abbogen, und plötzlich war da diese Schlange. Ihre Schlange. Die Schlange vor dem Tui-Check-In. 50 Meter lang. Und seitdem warten sie. Mit all den anderen Leuten in den Dreiviertelhosen und den eingesteckten Hemden.

Das ist gegen den Trend, denn die Menschen müssen immer seltener auf etwas warten. Das Album können sie sofort herunterladen, das Buch auch, und auf das neue Handy müssen sie vielleicht ein paar Tage warten, aber sie können in der Zeit was anderes machen. Sich in eine Warteschlange zu stellen, ist ein Sommerphänomen. Vor der Eisdiele, vor dem Freibad, vor der Achterbahn auf der Kirmes. Doch das ist nichts gegen das Warten am Check-In-Schalter. Wem das Warten auf das Eis zu lange dauert, der verzichtet eben. Aber wer seinen Flieger erwischen will, der muss pünktlich sein.

Was also tun, wenn's mal wieder länger dauert?

Von weitem sieht so eine Warteschlange bloß entsetzlich lang aus. Doch wer näher herangeht, erkennt, dass die Leute auf die unterschiedlichsten Arten warten. Weil das Warten in der Warteschlange eine Mini-Krise ist, kann niemand seinen Charakter verbergen.

Die Glücklichen müssen nicht in die Schlange, sondern dürfen sich hinsetzen, bis sie an der Reihe sind. "Musste aber aufpassen, dassde dann kommst", sagt eine Seniorin zu ihrem Mann. Koffer sind gut, mit Koffern kann man Dinge anstellen. Sich darauf abstützen, sich draufsetzen, sie vor sich herschieben, immer wieder vor sich herschieben, mit den Händen, mit den Füßen. Handys sind auch gut. Wer ein Handy hat, der weiß, wohin mit seinen Händen. Ansonsten Arme verschränken, Hände in den Hosentaschen versenken oder den Daumen in die Gürtelschlaufe der Jeans stecken, was allerdings immer auf eine uncoole Art cool aussieht. Reisepässe gucken - immer gut. Gucken, ob man auch wirklich alles dabei hat, oder gucken, wo man schon überall war. Dem Partner beiläufig auf die Schulter küssen. Essen, trinken. Oder auch einfach nur: Reden. Die Leute reden viel lieber miteinander, als aufs Handy zu gucken.

Wer schweigend nebeneinandersteht und ins Leere blickt, ist vielleicht schon Teil des Dramas, das sich im Urlaub fortsetzt. Schweigen beim Frühstück, beim Mittagessen und am Abend. In den Gesichtern ist alles zu sehen: Vorfreude bis Resignation. Ein Mann mit weißen Turnschuhen und stonewashed Jeans sagt "Ich bin guten Mutes" in ein Fernsehmikrofon, macht aber zehn Minuten später ein Gesicht, als müsse er auf dem Koffer noch seine Steuererklärung ausfüllen. Als er es bis nach vorne geschafft hat, nur noch diese eine Familie vor sich hat, schiebt er das Gepäck Zentimeter um Zentimeter voran wie das Auto an einer roten Ampel.

Kinder hingegen sind Weltmeister im Warten. Sie können überall lesen, sie können sich überall auf den Boden setzen und mit Autos spielen, für Kinder ist Warten noch ein Abenteuer und kein notwendiges Übel. Kinder sehen blinkende Schuhe und sagen "Deine Schuhe blinken ja" und "Ich hatte auch mal blinkende Schuhe". Die Mutter sagt: "Pass bitte auf den Rucksack von der Sophia auf."

Doch so sehr es auch nervt, hier zu stehen - die Leute können warten. Nur einmal, es ist 11.35 Uhr, beschwert sich eine Frau, weil eine Familie sich von der Seite an den Schalter drängelt. Sie hätten vorhin schon am Schalter gestanden, dann aber noch nicht für Antalya einchecken können. Der Deutsche kann warten, aber nur, wenn es gerecht zugeht. Warum aber gibt es nicht viel mehr Unruhe?

Erstens: Weil sie das Warten gewohnt sind. Sie warten jedes Jahr vor dem Flug nach Antalya, sie warten später am Buffet und sie warten auch an der Schlange zur Achterbahn. Sie haben längst kein Problem mehr damit, dort zu sein, wo alle sind.

Zweitens: Wer von hier in den Urlaub fliegt, der fliegt meist mit der Familie, jedenfalls nicht allein. Und wer nicht alleine wartet, der hat jemandem, mit dem er sprechen kann, der ihm den Platz in der Schlange freihalten kann, falls er mal austreten muss. Und wer möchte schon vor den Augen seiner Frau, vor den Augen seiner Kinder die Beherrschung verlieren?

Nach einer Stunde ist es endlich überstanden, die Schlange wird kürzer und kürzer, gleich geht es ans Mittelmeer. Während sie zu den Sicherheitsschleusen laufen, kommen sie an einer anderen Schlange vorbei, sie zieht sich bis zum Eingang des Flughafens, die Leute wollen nach Griechenland, und der Mann vom Fernsehen hätte gerne einen O-Ton.

(RP)
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