Düsseldorf Viele Rücken-OPs sind überflüssig

Düsseldorf · Techniker-Krankenkasse stellt eine aktuelle Studie vor. Was sagen Düsseldorfer Klinikärzte dazu?

 Im Vinzenz-Krankenhaus untersucht der Chefarzt der Klinik Wirbelsäule und Schmerz, Jörg Herdmann, eine Patientin.

Im Vinzenz-Krankenhaus untersucht der Chefarzt der Klinik Wirbelsäule und Schmerz, Jörg Herdmann, eine Patientin.

Foto: Andreas Endermann

Es ist ein Kreuz mit dem Rückenschmerz, diesem rätselhaften Volksleiden: 90 Prozent aller Beschwerden verschwinden zwar innerhalb von drei Monaten von selbst wieder. Doch bei jedem zehnten Patienten wird aus dem Schmerz ein dauerhaftes Leiden, bei dem der behandelnde Arzt häufig zur Operation rät. Zu häufig, kritisieren die Krankenkassen. Das Fazit einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse lautet: 85 Prozent der Bandscheiben-Operationen sind überflüssig. Werden Patienten aufs Kreuz gelegt? Fragen an Düsseldorfer Klinikärzte.

Jochen S. (52) hatte vor einem Jahr einen Bandscheibenvorfall, folgte der Empfehlung seines Arztes und ließ sich operieren. "Ich war genau zwei Wochen schmerzfrei, dann konnte ich plötzlich kaum noch einen Schritt gehen, beim Autofahren sind mir nach kurzer Zeit die Beine eingeschlafen." Er entschied sich zu einer ambulanten Reha mit täglichem Schwimmen und Fitnesstraining, um die Rückenmuskulatur zu stärken. "Ich bin heute völlig schmerzfrei, nur wenn ich nicht regelmäßig trainiere, zwickt es wieder im Kreuz." Aber heißt das tatsächlich, dass die Operation überflüssig war?

Andrea Hilberath, Sprecherin der Techniker Krankenkasse, redet von einem typischen Fall: "Nach unserer Erkenntnis kommen bei 60 Prozent der Patienten die Schmerzen nach einer OP wieder." Deshalb rät die TK ihren Versicherten, unbedingt vor einem geplanten Eingriff eine zweite Meinung in einem speziellen Schmerzzentrum einzuholen. "Dort diskutieren Schmerz-, Physio- und Psychotherapeuten, ob Alternativen zur Operation sinnvoll sind." Zum Start des Projekts vor fünf Jahren hatten 1700 Patienten, denen zur Operation geraten worden war, eine Zweitmeinung eingeholt. Bei gut 1450 stuften die Spezialisten in den Schmerzzentren einen operativen Eingriff als nicht notwendig ein. Hilberath: "Sie wurden durch alternative Therapien behandelt, die Befragung, ob sie tatsächlich dauerhaft schmerzfrei sind, wird gerade ausgewertet."

Unbestritten ist unter Fachleuten, dass hierzulande zu oft an der Wirbelsäule operiert wird. Aber warum? Jörg Herdmann, Chefarzt der Klinik Wirbelsäule & Schmerz am Vinzenz-Krankenhaus: "Darauf gibt es je nach Blickwinkel unterschiedliche Antworten." Wenn man die Kosten betrachte, stehen auf der einen Seite die Krankenkassen, die die Operationen bezahlen, auf der anderen die Krankenhäuser, die daran verdienen. "Aber es wäre viel zu einfach, wenn man das Problem der hohen OP-Zahlen auf diesen Aspekt reduziert", so Herdmann.

Und der Patient? Auch Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter haben heute einen hohen Anspruch an ihre Gesundheit, sie wollen schmerzfrei und mobil sein. Herdmann: "Kaum jemand hat Zeit und Geduld, nur wenige sind bereit, mal eine Einschränkung hinzunehmen." Patienten ließen sich häufig von der Hoffnung auf eine schnelle Heilung zu einer Operation verleiten und hörten weniger auf die Mahnung, abzuwarten. Wie sie sich entscheiden, hängt nach seiner Einschätzung vor allem davon ab, wie ausführlich und verständlich sowohl Chancen als auch Risiken erörtert werden.

"Grundsätzlich versuchen wir immer erst, einen Bandscheibenvorfall mit konservativen Mitteln zu behandeln", versichert Hans-Jakob Steiger, Direktor der Neurochirurgie des Uniklinikums. In den großen Zentren würden die OP-Zahlen eher stagnieren, allerdings würde ambulant weit aus mehr operiert. Obwohl für ihn unbestritten ist, dass nicht jeder Eingriff notwendig ist, sieht er auch eine umgekehrte Entwicklung: "Inzwischen wartet man oft monatelang, bis die Schmerzen schließlich chronisch werden." Sein Fazit: "Manchmal ist es besser zu operieren, als lange Zeit starke Schmerzmittel zu schlucken - mit all ihren Nebenwirkungen." Die Empfehlung zu einer zweiten Meinung begrüßen prinzipiell beide Klinik-Chefs. Strittig ist für sie allerdings, wer dabei zu Rate gezogen wird. Herdmann: "Die zweite Meinung muss von einem erfahrenen Wirbelsäulenspezialisten kommen. Schmerztherapeuten überlegen, wie sie einen Patienten mit ihren Mitteln behandeln können, zum Für und Wider einer Operation können sie nichts sagen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort