Pfarrer Uwe Vetter "Verzicht auf Kirchensteuer wäre falsch"

Düsseldorf · Der Fall des Limburger Bischofs führt auch in der evangelischen Kirche zu mehr Austritten. Für Pfarrer Uwe Vetter von der Johanneskirche ist das wenig überraschend. Die Forderung nach einer armen Kirche hält er dennoch für kurzsichtig.

 Pfarrer Uwe Vetter (57) glaubt, dass die Kirche gerechte Löhne zahlen muss. Ein kategorisches Armutsgebot hält er für problematisch.

Pfarrer Uwe Vetter (57) glaubt, dass die Kirche gerechte Löhne zahlen muss. Ein kategorisches Armutsgebot hält er für problematisch.

Foto: Andreas Endermann

Allein im Oktober kehrten laut Amtsgericht in Düsseldorf rund 400 Christen, darunter 150 Protestanten, den beiden großen Kirchen den Rücken. Beunruhigende Zahlen?

Vetter Ja. Denn wenn sie das auf die Gesamtzahl von rund 200 000 Katholiken und etwa 116 000 evangelische Christen hochrechnen, sind bei uns prozentual gesehen mindestens genauso viele Menschen ausgetreten wie bei den Katholiken.

Ärgert Sie das?

Vetter Glücklich sind wir darüber nicht. Aber viel interessanter sind die mit dem Fall Tebartz-van Elst verbundenen grundsätzlichen Fragen. Bisher kennen wir eine Reihe von vermeintlich oder tatsächlich pikanten Einzelheiten. Mir fehlt derzeit noch die grundsätzliche Einordnung. Zum Beispiel die Frage, wer Mitverantwortung hatte. Und ob das Diözesan-Zentrum zwar teuer – möglicherweise zu teuer – war, am Ende aber doch für die kommenden zwei, drei Jahrzehnte den Gläubigen etwas nützen kann.

Wie viele Christen verliert die evangelische Kirche denn üblicherweise?

Vetter Durchschnittlich sind es zwischen 800 und 1000 im Jahr. Dabei spielt neben den Austritten auch der demografische Wandel eine Rolle. Düsseldorf ist eine internationale und mobile Stadt mit vielen Zuzügen. Unter denen, die neu kommen, sind auch viele Nicht-Christen.

Warum verlassen Menschen die Kirche?

Vetter Es gibt drei wesentliche Gruppen. Viele junge Menschen gehen in ihrer Sturm- und Drang-Phase, in der sie sich auch aus anderen Bindungen, zum Beispiel an die Eltern, lösen. Hinzu kommen Christen in der ersten Karrierephase. Sie wollen häufig die Kirchensteuer sparen. Die dritte Gruppe sind Männer und Frauen, deren Gottesbeziehung erkaltet ist. Sie haben die Dimension Kirche nicht mehr auf dem Schirm, spüren das Heilige einfach nicht mehr und brauchen letztlich nur noch einen Anlass, um zu gehen.

Apropos Kirchensteuer: Papst Franziskus fordert eine arme Kirche, sein Vorgänger sprach von "Entweltlichung". Auch in der evangelischen Kirche gibt es entsprechende Forderungen. Müssen Sie sich von der Kirchensteuer verabschieden, um neue Glaubwürdigkeit zu erlangen?

Vetter Nein. Das wäre möglicherweise populär, aber trotzdem falsch.

Warum?

Vetter Zum einen müssen wir – angesichts der berechtigten Debatte um gerechte Bezahlung – aufpassen, dass wir als Kirche nicht in die Nähe von Dumping-Löhnen geraten, dass wir Menschen nicht ausnutzen. Für spezielle Lebensformen, wie das Kloster, ist eine solche Armutsentscheidung in Ordnung. Von der Kirche in der Welt sollte man das nicht erwarten. Wie einige Pfarrer in Frankreich leben müssen, das ist kein Vorbild, sondern unanständig.

Und zum anderen?

Vetter Jeder auf Christus Getaufte war nach biblischer Tradition verpflichtet, sofern er Einkommen hatte, das Seine zum Gemeinschaftsleben beizusteuern, das heißt, einen Zehnten an jene zu geben, die seine Solidarität brauchen. Die Kirchensteuer liegt deutlich unter dieser biblischen Forderung. Wer sie abschafft, vergisst zudem, dass viele Aufgaben dann gesamtgesellschaftlich erledigt werden müssen. Die Steuern würden an anderer Stelle erhöht – und zwar für alle.

Seit 2003 sind in Düsseldorf 1100 Menschen wieder in die Kirche eingetreten. Warum?

Vetter Sehr viele haben im Beruf oder in ihren ersten Partnerschaften bemerkt, dass die Berechnung des größtmöglichen Nutzens die menschlichen Beziehungen im 21. Jahrhundert dominiert. Viele finden das unerträglich, haben das Gefühl, seelisch auszubrennen. Geld oder Partner, die mich beim ersten Misserfolg eiskalt ablegen, sind eben nichts, woran ich glauben kann. Die Rückkehrer möchten wieder zu einer Gemeinschaft gehören, die andere Werte hat. Die Christenfamilie bietet ihnen eine andere Dimension für ihr Leben.

JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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