Neuss/Düsseldorf Überfall auf Lkw-Fahrer aufgeklärt

Neuss/Düsseldorf · Zwei brutale Überfälle auf Lkw-Fahrer in Neuss und Düsseldorf von Mitte Mai sind geklärt: Die Düsseldorfer Kripo hat am Wochenende zwei Tatverdächtige festgenommen. Sie wurden vom Haftrichter direkt in Untersuchungshaft geschickt.

 Die Tatverdächtigen sitzen in U-Haft. Ihnen wird vorgeworfen zwei Lkw-Fahrer brutal überfallen zu haben.

Die Tatverdächtigen sitzen in U-Haft. Ihnen wird vorgeworfen zwei Lkw-Fahrer brutal überfallen zu haben.

Bei ihnen handelt es sich um Tobias R. (30) aus Wetter an der Ruhr und um den 25-jährigen Frank S., der aus Neuss stammt, ansonsten aber ohne festen Wohnsitz ist. Ihnen beiden legt die Kripo die Überfälle zu Last, bei denen zumindest eines der Opfer schwerst verletzt wurde.

"Der Mann ist seitdem berufsunfähig", erzählte am Donnerstag Kriminaloberkommissar Werner Adams. Ihm und seinem Kollegen, Kriminalhauptkommissar Christian Leue, merkte man gestern noch an, dass sie zum einen über die Brutalität der Täter erschüttert waren, aber auch nicht wirklich Antworten auf die Frage nach ihrer Motivation hatten. Die Männer hatten es zwar auf 18 000 Euro in dem einen Fall und auf 23 000 Euro in dem zweiten Fall abgesehen – die Fahnder sind sich aber auch sicher, dass die Opfer ihnen das Geld auch ohne diese Brutalität gegeben hätten. Die Chronologie der beiden Fälle: Die Täter nahmen via E-Mail Kontakt zu einer niederländischen und einer deutschen Firma auf, die mit Paletten handeln. Man habe Paletten für sie, hieß es.

Der erste Treffpunkt mit der niederländischen Firma wurde für Donnerstag, 12. Mai, um 16.30 Uhr an der Memeler Straße in Neuss vereinbart. Der Lkw-Fahrer sollte 18 000 Euro in bar dabei haben, dafür könne er 600 Paletten auf seinen Lkw laden. Die beiden Männer fuhren mit einem 7-BMW mit polnischem Kennzeichen vor. Als der Fahrer die Ladefläche öffnen wollte, griff ihn einer der angeblichen Paletten-Verkäufer an, schoss ihm mit einer Reizstoffwaffe direkt in die Augen. Das Opfer wollte fliehen, daraufhin schoss der zweite Mann noch mal.

Der Verletzte suchte Schutz im Raum einer Firma auf dem Gelände und sah noch, wie die Täter mit einem Stein die Scheibe des Führerhaus aufschlagen wollten, um an das Geld zu gelangen. Dabei wurden sie aber gestört und mussten von ihrem Versuch ablassen. Der an den Augen verletzte Mann – der sich auf der Flucht auch noch die Achillessehne riss – wurde sofort in die Düsseldorfer Uni-Klinik gebracht, wo er zur Behandlung blieb. Von dieser Tat in der Nachbarstadt wusste die Düsseldorfer Kripo zu dem Zeitpunkt noch nichts.

Am Tag drauf, Freitag, der 13. Mai, die nächste Tat. Die Täter hatten zu Anfang Kontakt zu einer deutschen Palettenfirma aufgenommen. Mit dem Lkw-Fahrer dieser Firma wollten sie sich auch erst in Neuss verabreden, dirigierten den Fahrer am Freitagmorgen dann aber nach Düsseldorf-Reisholz um.

Die Übergabe von Paletten und 23 000 Euro in bar sollte um 10.30 Uhr auf einem mehr als zwölf Hektar großen Gelände am Trippelsberg erfolgen. Auf diesem Gelände wurde früher ein Umspannwerk betrieben, hatten sich Speditionen angesiedelt, gibt es immer noch Gleise, sind einige Kfz-Werkstätten, und bis vor zwei Jahren gab es dort sogar einen Palettenhandel. Der Lkw-Fahrer irrte zunächst auf dem großen Gelände umher, fand nicht den Ort der Übergabe, blieb dann einfach mitten auf dem großen Platz stehen. Die Täter fuhren - wieder mit dem BMW - an ihn heran und baten ihn, in eine schmale Gasse zu fahren und die Ladefläche des Lkw zu öffnen. Danach kann sich der 43-jährige Mann aus Beckum an nichts mehr erinnern.

Fest steht jetzt: Er wurde von den beiden Männern, die als fast zwei Meter groß und Schwergewichts-Typen beschrieben werden, so brutal zusammengeschlagen, dass er mehrere Brüche erlitt, dass beide Augen extremst zugeschwollen waren, dass eine Rippe in die Lunge eindrang. Der Mann wird auf einem Auge blind bleiben, mit dem anderen wird er vermutlich auch nicht mehr komplett sehen können. "Er ist auf jeden Fall berufsunfähig" erzählt Ermittler Werner Adams, der den Kontakt zu dem Mann hält. Dieser wird im Kreis Warendorf vom Weißen Ring betreut und muss noch lange ambulant behandelt werden. Als der Mann schwer verletzt am Boden lag, holten die Täter aus dem Wagen die 23 000 Euro, die eigentlich für die Paletten bezahlt werden sollten.

"Das ist in der Branche so üblich", sagt Kommissar Christian Leue, "dass immer in bar bezahlt wird und so hohe Summen übergeben werden." Als der Mann aus Beckum verletzt auf dem Boden lag, rief einer der Täter vom Handy des Opfers den Notruf der Feuerwehr unter 112 an. Die schickte einen Rettungswagen raus, die Polizei kam mit einem Streifenwagen – aber keiner fand auf dem riesengroßen, unübersichtlichen Gelände den verletzten Mann, der mittlerweile mit seinem Leben kämpfte. Etwa eine Stunde später, kurz vor 12 Uhr mittags, findet ein Passant den Verletzten, ruft die 110 der Polizei. Der Mann wird entdeckt und in die Uni-Klinik gebracht. Als feststeht, dass es sich um einen Raub handelt, werden die Fahnder aus dem Raub-Kommissariat gerufen.

Der Tatort in Reisholz wird Freitag nachmittag fünf Stunden lang unter die Lupe der Kriminaltechniker genommen. Am Samstag gehen die Polizisten dann in die Uni-Klinik und erfahren dort, dass es am Tag zuvor schon mal einen verletzten Lkw-Fahrer gegeben hat – der aus Neuss. Beide Fälle schließen sich plötzlich zu einem zusammen und ergeben eine bis dahin nicht geahnte Dimension. Denn der Mann, der in Düsseldorf überfallen wurde, wäre fast gestorben. Dann hätte es sich um ein Tötungsdelikt gehandelt. Und es kann immer noch sein, dass die Staatsanwaltschaft zumindest wegen versuchter Tötung ermitteln wird.

Die Ermittlungskommission "EK Palette" wird am Wochenende Mitte Mai - als gerade das Finale zum Song Contest in der Stadt stattfindet – gegründet. Mehrere Beamte nehmen die Spur zu den Verdächtigen auf. Als das Landeskriminalamt den Fall trotz vieler anderer Fälle vorzieht, steht fest, dass die DNA von Frank S. bereits in den Polizeiakten existiert. Bald steht fest, dass auch er es war, der den Notruf vom Opferhandy abgesetzt hatte. Über ihn kommen die Fahnder nach langen Ermittlungen zu seinem Mittäter.

Der war offenbar wohl mal in Neuss in den Diebstahl eines 7-BMW verwickelt. Genau so einen Wagen fuhren die beiden Verdächtigen in den beiden Fällen auch. Der Kreis schliesst sich – am Ende stehen die beiden Verdächtigen für die Ermittler als Täter fest. Der dringende Tatverdacht mündet in eine Festnahme: Gemeinsam mit dem Spezialeinsatzkommando rückt die Düsseldorfer Polizei am Freitag, 8. Juli, um 22 Uhr in Wetter an der Ruhr ein und nimmt beide Männer fest. Dort lebt Tobias R., aber Frank S. hielt sich gerade bei ihm auf. "Die haben offenbar die letzten Monate miteinander verbracht", vermuten die Ermittler.

Frank S. war der Polizei bereits wegen Betrugs, wegen Erpressung und wegen Diebstahls bekannt, Tobias R. ist wegen Gewaltdelikten vorbestraft. Beide Männer schweigen zu den Vorwürfen. Von der Beute in Höhe von 23 000 Euro fanden die Beamten nichts in der Wohnung. Dort entdeckten die Polizisten aber ein Paar Turnschuhe, das exakt zu den Spuren passt, die auf der Deichsel des Lkw in Düsseldorf gefunden worden sind. Ob die beiden die Waffen, so genannte Tierabwehr-Waffen, bei sich führen durften, muss jetzt auch geklärt werden. Völlig unklar ist, ob das Täter-Duo Hintermänner hat und die beiden im Auftrag gehandelt haben.

(NGZO/rl)
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