Transsexualität in Düsseldorf Plötzlich eine Frau

Rund 2000 Menschen in Düsseldorf wünschen sich ein Leben im Körper des anderen Geschlechts. Eine Kosmetikerin macht diesen Traum wahr: Männer können hier erstmals erleben, wie es ist, zur Frau geschminkt zu werden. Wir waren bei einem solchen Termin dabei.

Wenn Nina Balke in den Spiegel sieht, kann sie es kaum ertragen: Das breite Kinn, die kantigen Wangen, die schmalen Lippen und die Halbglatze - das alles ist die 49-Jährige schon lange nicht mehr. Um genau zu sein, war sie es nie, obwohl ein Männername in ihrem Personalausweis steht.

Nina Balke gehört zu den rund 100.000 Menschen in Deutschland, die sich als transsexuell oder transgender bezeichnen. Die Dunkelziffer liegt viel höher. Erfasst wird nur, wer auch zum Arzt geht, und das sind die wenigsten. Transsexualität hat nichts mit Transvestiten zu tun, nichts mit schwulen Männern, die gerne Frauenkleider tragen. Es ist auch etwas anderes als intersexuell, denn diese Menschen ordnen sich weder den männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zu.

"Trans"- Menschen aber wollen einen anderen Körper, weil sie das Gefühl haben, im Falschen geboren worden zu sein. Ihnen geht es um ihre Identität und nicht um eine sexuelle Orientierung. Entsprechend groß ist allerdings auch der tägliche Kampf mit dem eigenen Spiegelbild. Innerlich eine Frau zu sein, aber äußerlich wie ein Mann auszusehen - das ist die größte Belastung für Trans-Menschen.

Große Veränderungen brauchen Zeit

Aus diesem Grund sitzt Nina heute auch im Salon "Schönartig" von Suki (Anmerkung der Redaktion: Künstlername) in Düsseldorf. Die Kosmetikerin hat sich auf Trans-Schminken spezialisiert. In vier bis fünf Stunden bringt sie Männern bei, wie das mit dem Make-up funktioniert. Danach modelliert sie deren männliche Gesichter um zu weiblichen. 149 Euro muss Nina dafür heute in die Hand nehmen, aber das ist es ihr wert.

Seit einem Jahr verändert die 49-jährige Fachkraft für Lagerlogistik ihr Aussehen vom Mann zur Frau. Es ist ein großer Bruch, wie sie selbst sagt, deswegen will sie es langsam angehen. In das Kosmetikstudio kommt sie allerdings schon mit wallender Perücke, gezupften Augenbrauen, einem engen Oberteil aus Spitze und mit etwas Wimperntusche auf den Augen. "Aber ich sehe die männlichen Züge natürlich trotzdem noch, wenn ich in den Spiegel sehe", sagt Nina. Genau das soll sich heute ändern.

Auf einem Flipchart zeigt Suki welche Farbtypen es gibt, und, dass weiche Farben wie Gold und Brauntöne am besten zu Ninas Herbsttyp passen. Sie zeigt, wie man die Konturen im Gesicht durch Schatten an der richtigen Stelle weich zeichnen kann. Und Suki erklärt, wie Nina ihr Gesicht durch Accessoires weiblicher gestalten kann. "Für mich ist das, als würde ich auf eine Leinwand malen", sagt die 35-jährige Hobby-Malerin. "Einen schönen Menschen noch schöner zu schminken, ist keine Herausforderung", sagt Suki, "aber beim Trans-Schminken kann ich künstlerisch arbeiten und Menschen dabei helfen, sich selbst zu verwirklichen."

So jedenfalls ging es ihr, nachdem ein Kunde vor rund zwei Jahren nach einem entsprechenden Umstyling gefragt hat. Sofort entwickelte Suki den Workshop. "Was die meisten Kosmetiker falsch machen ist, dass sie Camouflage benutzen, also dicke Theaterschminke. Das lässt das Gesicht unnatürlich aussehen, und es ist auch nicht nötig." Etwa 45 Minuten dauert die Theorie. Dann darf Nina auf dem Schminkstuhl Platz nehmen.

"Als Mann war ich ein totaler Arsch"

Nina ist sichtlich nervös, genau genommen wartet sie schon ihr ganzes Leben auf diesen Tag. "Aber ich habe es erst vor sechs Jahren geschafft, mich zu outen." Damals ist ein Familienmitglied gestorben. Gerade mal Mitte 50 war der Onkel. "Auf der Beerdigung sagte jemand: 'Wir glaubten, wir hätten noch so viel Zeit'", sagt Nina. "Da ist mir plötzlich klar geworden, dass ich keine Sekunde mehr damit warten darf, meine Wahrheit auszusprechen."

Vermutet hat es Ninas Frau wohl ohnehin schon. 17 Jahre sind die beiden inzwischen verheiratet. Die Tochter ist 20. "Als Mann war ich ein totaler Arsch", sagt Nina. "Ich habe getrunken, war schlecht gelaunt und unheimlich egoistisch. Alles Verhaltensweisen mit denen ich meine wahre Identität überspielen wollte". Nach ihrem Outing hörte das alles plötzlich auf. "Ich war auf einmal im Reinen mit mir, innerlich wie äußerlich, und das hat man gemerkt." Vielleicht war das auch ein Grund, warum die Ehe gehalten hat. Die Paartherapie war ebenfalls hilfreich. "Natürlich war meine Frau anfangs geschockt, sie hat ja einen Mann geheiratet und wollte auch nie etwas anderes", sagt Nina. " Aber letztlich kann man eben nicht dagegen an, wen man liebt."

Ihre Tochter hatte nur wenig Probleme damit. Inzwischen sind die beiden dickste Freundinnen. Selbst beruflich gab es nie Schwierigkeiten. "Ich habe das mit meinem Chef abgeklärt und dann einen Aushang am schwarzen Brett gemacht. Auf dem stand, dass ich ab sofort als Frau lebe und Nina heiße". Im Gegensatz zu den meisten anderen Transsexuellen wurde Nina nach ihrem Outing am Arbeitsplatz niemals gemobbt.

Auch deshlab fällt es ihr heute leicht, sich umstylen zu lassen. Ihr Blick klebt an ihrem Spiegelbild fest, während Suki das Rouge aufträgt, die Lippen ausmalt und noch einmal den Lidstrich nachzieht. Als letztes kommt die blonde Perücke mit den Locken auf den Kopf. 90 Minuten dauert die Verwandlung.

"Das ist fantastisch", sagt Nina. Sie dreht und wendet den Kopf vor dem Spiegel. "So kann ich mich endlich frei bewegen, ohne mir Gedanken über mein Aussehen machen zu müssen. Ich kann kaum glauben, dass ich so aussehen kann", sagt sie. Fotos machen steht deshalb heute unbedingt noch auf dem Plan. Schminke kaufen und vor dem Spiegel üben muss diese Woche noch sein, sagt Nina, "und als nächster großer Schritt, kommt dann die Stimme dran."

(ham)
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