Christoph Meyer im Interview "Tannhäuser darf keine Gefühle verletzen"

Düsseldorf · Rheinopern-Intendant Christoph Meyer will künstlerisch darauf reagieren, dass eine drastische Szene im "Tannhäuser" Zuschauern psychisch zu nahegeht. Darum hat er sich mit dem Regisseur Burkhard Kosminski zum Gespräch verabredet.

Eklat bei "Tannhäuser"-Premiere in Düsseldorf
5 Bilder

Eklat bei "Tannhäuser"-Premiere in Düsseldorf

5 Bilder

Auch Tage nach der Premiere reißt die Diskussion über die "Tannhäuser"-Inszenierung des Mannheimer Regisseurs Burkhard Kosminski an der Rheinoper nicht ab. Morgen steht die zweite Aufführung des umstrittenen Abends auf dem Programm. Vor allem eine Erschießungsszene hatte für heftige Reaktionen bei den Zuschauern geführt.

Werden Sie an der aktuellen "Tannhäuser"-Inszenierung Veränderungen vornehmen?

Meyer Wir nehmen die Reaktionen des Publikums sehr, sehr ernst. Vor allem, wenn die Gefühle von Menschen aufgrund eigener biografischer Erfahrungen verletzt werden, muss ein Theater reagieren. Die Wucht der Reaktionen hat uns allerdings in dieser Form überrascht, darum steht jetzt zum Zeitpunkt unseres Gespräches auch noch nicht fest, wie wir künstlerisch reagieren werden. Der Regisseur Burkhard Kosminski ist ja Intendant am Theater in Mannheim und hat dort bereits neue Verpflichtungen. Wir sind aber zu einem telefonischen Gespräch verabredet, in dem wir uns mit den Reaktionen auf die Inszenierung auseinandersetzen werden. Kosminski haben sie ebenso überrascht, das konnte man ihm auch bei der Premierenfeier deutlich anmerken. Der öffentliche Druck im Moment ist enorm, das belastet alle Beteiligten. Aber wir werden über die Inszenierung noch einmal klug nachdenken.

Sie unterscheiden also zwischen der großen persönlichen Betroffenheit mancher Zuschauer wegen der expliziten Erschießungsszene und der künstlerischen Debatte über den Regieansatz, Tannhäuser zu einem Nazi-Verbrecher zu machen?

Meyer Ja. Dass die Inszenierung einigen Zuschauern körperlich und psychisch so nahegegangen ist, dass sie sich verletzt fühlten, das darf nicht sein. Der Schutz des Menschen steht für mich über allem. Eine andere Frage ist die Freiheit der Kunst. In der bildenden Kunst, im Theater, im Film gibt es genügend Beispiele für Werke, die Menschen zu einer bestimmten Zeit erbost haben, aber für die gesellschaftliche Reifung und auch künstlerische Entwicklung notwendig waren. Man denke etwa an Wagners Ring von Patrice Chéreau — zu seiner Zeit ein Skandal, heute versteht man gar nicht mehr, warum.

Im Raum steht auch der Vorwurf, die Inszenierung gehe auf Kosten der Opfer des Holocausts.

Meyer Das ist eine völlig verfehlte Deutung. Vielleicht wird das insbesondere ausgelöst durch die Direktheit der Erschießungsszene. Anders können wir uns diese Deutung nicht erklären, denn sie ist überhaupt nicht die Intention der Inszenierung. Sie hat uns sehr bestürzt und ist völlig abwegig.

Ist es gut, wenn Inszenierungen solche Debatten bewirken?

Meyer Das war jedenfalls so nicht die Absicht. Ich bin kein Intendant, der es auf Skandale anlegt.

Hätten Sie zu einem früheren Punkt der Proben eingreifen müssen?

Meyer Natürlich war uns klar, dass Kosminskis Ansatz auch Widerspruch auslösen würde. Und wir haben über bestimmte Punkte auch diskutiert. Aber mit dieser extremen Reaktion haben wir wie gesagt nicht gerechnet.

Ist es die Pflicht eines Intendanten, in solchen Fällen einzugreifen oder gehören Sie zu den Vertretern, die sagen, die Freiheit der Kunst müsse höher stehen?

Meyer Ein Intendant muss dann mit dem Regisseur sprechen. Auseinandersetzen kann man sich immer, das ist kein Angriff auf die Freiheit der Kunst.

Finden Sie die aktuelle "Tannhäuser"-Diskussion in irgendeinem Punkt unfair?

Meyer Nein. Es gibt allerdings Menschen, die gar nicht in der Inszenierung waren, sich jetzt aber in die Debatte werfen und sie in bestimmte Richtungen drängen wollen. Das halte ich für unfair. Das gab es aber auch schon vor 20 Jahren. Und es gibt Gerüchte, die sich verselbstständigen. So hieß es etwa in ersten Berichten über den Abend, nach 30 Minuten habe es die ersten Buhs gegeben. Daraus wurde dann im Internet, es habe 30 Minuten lang Buhs gegeben. Oder das Gerücht, wir würden die Inszenierung absetzen, was wir nicht planen.

Ist das Ensemble verunsichert?

Meyer Nein, aber natürlich wird über die Reaktionen auf die Inszenierung gesprochen. Zudem ist die nächste Aufführung ja erst morgen und die drei Gäste, die im "Tannhäuser" große Partien haben, kommen dann erst zur Vorstellung wieder ins Haus.

Werden Sie vor der nächsten Aufführung mit den Hauptdarstellern sprechen?

Meyer Das mache ich sowieso immer, morgen selbstverständlich auch.

Gab es Reaktionen anderer Intendanten?

Meyer Ja, es gab einige Kollegen, die mir Kraft gewünscht haben, weil sie Ähnliches auch schon erlebt haben.

(RP/ila)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort