Düsseldorf Strategien gegen Mager- und Fettsucht

Düsseldorf · Die Zahl der Menschen mit Ess-Störungen steigt. Besonders gefährdet sind junge Frauen. Das belegen Zahlen der Krankenkassen. Mit einem Fachtag wenden sich Düsseldorfer Beratungseinrichtungen an Betroffene und Angehörige.

Claudia* wollte gefallen. Ihren Eltern: Richtig aufsässig kannten die ihre pubertierende Tochter nicht. Ihren Lehrern: Der Notenschnitt pendelte je nach Halbjahr zwischen 1,1 und 1,4. Ihren Freundinnen: Die beneideten die Jugendliche um ihren sicheren Geschmack und ihren grazilen Körperbau. Jeansgröße XS - das war einfach "cool". Sich selbst gefiel die 14-Jährige auch. Aber nur, solange sie perfekt war. Einige Zeit ging das gut. Was niemand merkte: Claudia versteckte Essen in Blumentöpfen, ekelte sich, wenn sie mehr als einen halben Apfel und zwei Scheiben Knäckebrot mit Frischkäse am Tag essen wollte. Am Ende war bei Claudia nichts mehr perfekt. Ihre Knochen traten unnatürlich hervor, die Noten wurden schlechter, Freunde zogen sich zurück. "Irgendwann kam sie mit ihrer Mutter zu uns, bat um Hilfe", sagt Martina Sandkuhl von "Pro Mädchen" an der Corneliusstraße.

Eine gute Entscheidung. Denn "Pro Mädchen" gehört zum Arbeitskreis Ess-Störung der Düsseldorfer Gesundheitskonferenz, der in der kommenden Woche mit einem Fachtag (siehe Info) in der Volkshochschule Betroffene und deren Angehörige erreichen will. Wie wichtig eine breit angelegte Information, Behandlung und Begleitung ist, zeigt eine aktuelle Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK). "2009 wurden rund 65 junge Menschen zwischen zehn und 19 Jahren in Düsseldorfer Kliniken wegen Ess-Störungen behandelt, 2012 waren es an die 190", sagt TK-Sprecher Christian Elspas. Rund 90 Prozent der Patienten seien Mädchen und Frauen.

Fachleute schätzen, dass bundesweit rund fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung bis 35 Jahre betroffen sind. "Etwa ein bis drei Prozent der Mädchen zwischen elf und 20 Jahren leiden an Magersucht, rund drei bis vier Prozent der Frauen zwischen 18 und 35 Jahren an Bulimie, bei der bereits aufgenommene Nahrung wieder erbrochen wird", sagt Stephanie Lahusen von der "Werkstatt Lebenshunger".

"Das trifft sich mit unseren Beobachtungen", sagt Thea Herrmann, die sich bei der Frauenberatungsstelle Bertha an der Höhenstraße um Magersucht, Bulimie, Fettleibigkeit und andere Störungen kümmert. "Die Ess-Störung ist kein isoliertes Problem, sondern spiegelt in aller Regel andere Schwierigkeiten im Leben der Betroffenen wider", meint die Beraterin.

Das bestätigt auch Bernadette Willigens, die als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in der Gerresheimer Praxis Soljan arbeitet. "Störungen des Selbstwertgefühls stehen bei Jugendlichen im Vordergrund, bei Erwachsenen spielen nicht selten besondere Umbrüche, Konflikte und Weichenstellungen eine Rolle." Der Bogen reiche hier von einer Trennung über extremen Stress im Beruf bis hin zum ersten Kind.

Entscheidend ist aus Sicht der Fachfrauen, dass Eltern sich kümmern. "Auf keinen Fall wegschauen oder einfach alles ignorieren", rät Herrmann. Richtiger sei es, behutsam und mit viel Einfühlungsvermögen immer wieder Fragen nach dem Muster "Geht es Dir gut? Erzähl mir doch einfach mal, was Dich bedrückt?" zu stellen. Dass Mütter und Väter alleine mit dem Problem fertig werden, ist allerdings unwahrscheinlich. "So verschieden die Menschen, so verschieden die Behandlungsansätze. Nicht selten müssen ganz unterschiedliche Methoden kombiniert werden", weiß Lahusen. Sie selbst arbeitet mit Musik. "Das ist ein Weg, der in bestimmten Situationen helfen kann", sagt sie. In der Regel bräuchten EssStörungen aber eine multi- und interdisziplinäre Begleitung. "Wer das besser verstehen will, sollte sich die Zeit nehmen und den Fachtag am 7. Mai besuchen."

* Name geändert

(RP)
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