Heiligabend 1944 wurde über Wersten ein Bomber abgeschossen Ein Flugzeugmotor in Düsseldorf weckt Erinnerungen

Wersten · Bei Arbeiten Auf’m Rott wurden Trümmer gefunden. Sie könnten von dem Bomber stammen, der 1944 über Wersten abstürzte.

Motor 75 Jahre nach dem Absturz gefunden
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Motor 75 Jahre nach dem Absturz gefunden

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Foto: Yorkshire air Museum/Yorkshire Air Museum

Mit drei Freunden war Richard Schmitt am Nachmittag des Heiligabends 1944 in Wersten unterwegs. Er ist damals 14. Die Jungs hatten gehört, dass in Himmelgeist ein deutsches Flugzeug notgelandet sei. „Da sind wir hin. Als wir auf dem Rückweg waren, kam ein Flugzeug direkt auf die dortige Flakbatterie zu. Ein Treffer beschädigte seinen linken Flügel und dann sahen wir etwas Schwarzes runterfallen“, berichtet er von damals. Der Flieger kreiste über Wersten und ging immer tiefer. Später sah Schmitt, wie sich ein Fallschirm öffnete. Auch der 14-jährige Fred Heindrichs beobachtete das Flugzeug mit seinen schlingernden Bewegungen. Bis heute hat er dieses Bild vor Augen: „Einen haben wir mit dem Fallschirm abspringen sehen.“

75 Jahre später durch den Fund des Flugzeugmotors auf einer Baustelle Auf’m Rott kommen die Erinnerungen der Männer an die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg zurück. Werner Baum war damals fünf Jahre alt und wegen des Fliegerangriffs mit seiner Familie im Werstener Bunker. Dort hörten die Menschen einen lauten Knall, als die abgeschossene Maschine auf den Boden knallte. Als er mit seinem Onkel am Brückerbach nachschauen wollte, sah Baum die Toten und Teile des Flugzeugrumpfs.

 Zeitzeuge Werner Baum (v.l.) mit Heinz-Leo Schuth und Werner Vergölts von den Werstener Jonges mit dem gefundenen Flugzeugmotor..

Zeitzeuge Werner Baum (v.l.) mit Heinz-Leo Schuth und Werner Vergölts von den Werstener Jonges mit dem gefundenen Flugzeugmotor..

Foto: Simona Meier

Den vergangene Woche ausgebuddelten Flugzeugmotor haben Werner Baum und sein Sohn Uwe mit Vertretern des Heimatvereins Werstener Jonges mittlerweile gesichert. „Wir hoffen, dass wir ihn bald ausstellen können“, sagt Wolfgang Vergölts vom Heimatverein Werstener Jonges. Zur Zeit wird der Motor gesäubert. „Dass die Erinnerungen meines Vaters mit solch einer Geschichte verbunden sind, ist überraschend“, sagt Uwe Baum. Wenn der Motor ausgestellt wird, dann auch als Mahnmal dafür, was die Menschen sich in den Kriegen angetan haben.

Zutage gefördert hat die Geschichte hinter dem Flugzeugmotor  Thomas Boller aus Gerresheim. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Flugzeugen, die im Zweiten Weltkrieg rund um Düsseldorf abgestürzt sind. In seinen Aufzeichnungen fand er das Datum des Absturzes in Wersten sowie die Namen der Besatzungsmitglieder. Die Daten dazu stammten aus dem Friedhofsregister des Nordfriedhofs aus dem Jahr 1944. Dieser Hinweis führte nach Frankreich und England, dort ist das Geschehen auch als „Weihnachtswunder“ bekannt. Denn zwei Franzosen überlebten den Absturz.

 Auch Richard Schmitt sah den Flieger damals abstürzen.

Auch Richard Schmitt sah den Flieger damals abstürzen.

Foto: Simona Meier

Heiligabend 1944 startet die Maschine um 11.31 Uhr in Elvington/England. Ziel der viermotorigen Halifax ist das Ruhrgebiet. Die siebenköpfige Besatzung um Kapitän Jacques Leroy fliegt vier Stunden durch Kälte und Nebel, bis sie Mühlheim an der Ruhr erreicht. Das erste Mal wird sie noch vor dem eigentlichen Ziel getroffen. Der Kommandant beschließt, die Mission fortzusetzen und die Bomben abzuwerfen. Über Wersten wird sie ein zweites Mal getroffen, die Bordtechnik funktioniert nicht mehr. Der Pilot Louis Baillon und sein Kommandant Jaques Leroy bleiben an Bord. Sie erlaubten den fünf anderen Besatzungsmitgliedern den Absprung.

Der 24-Jährige André Guédez sucht verzweifelt seinen Fallschirm. Als er ihn endlich entdeckt, bleibt gerade genug Zeit, ihn anzulegen. „Ich war erschrocken, paralysiert von der Kälte und dem Sauerstoffmangel. Der Flugmechaniker hinter mir, François Duran, schubste mich raus. Instinktiv muss ich den Fallschirm geöffnet haben, dann war ich bewusstlos und kann mich an gar nichts mehr erinnern“, sagt er in der Film-Dokumentation „De Lourds Souvenirs“, die seine jüngste Tochter Geneviève Monneris (63) mit ihrem Sohn Thomas Lesgoirres 2007 über ihren Vater gedreht hat. Darin beschreibt er, was passierte: „Unser Flugzeug wurde über Düsseldorf von einer Flak getroffen und ein Motor geriet in Brand.“ Sein Bericht deckt sich mit den Erinnerungen der Zeitzeugen aus Wersten.

In diesem Film beschreibt Guédez, dass er erst wieder aufwacht, als er auf einem Tisch in einem Büro liegt. Um ihn herum wird Deutsch gesprochen. „Als ich die Augen öffnete, sah ich Kinder, die ihre Nase ans Fenster drückten und mich ansahen. Ein alter deutscher Soldat sah nach mir“, berichtet der Überlebende. Seine ersten Gedanken gelten seiner Freundin, die in York auf ihn wartet. Die ganze Crew war abends zum Ausgehen verabredet. „Ich sagte zu mir, der Traum ist vorbei, es wird kein Weihnachtsabend am Kamin.“ Fünf Besatzungsmitglieder starben bei diesem Abschuss. „Ich denke jeden Tag an meine Kameraden, aber ich denke nicht an den Krieg“, sagt André Guédez in dem Dokumentarfilm.

Ian Reed ist Direktor des Yorkshire Air Museums und war 25 Jahre mit André Guédez befreundet. Die Geschichte dieses Weihnachtswunders mit den beiden Überlebenden präsentiert das Museum in Elvington unter dem Titel „Der Mann, der vom Himmel fiel.“ „André war Schütze in der 347 Tunisie-Staffel, die in der Royal Air Force Elvington stationiert war. Eine der beiden einzigen französischen schweren Bombergeschwader im Royal-Air-Force-Bomberkommando“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Nach dem Fund des Motors haben auch schon die Werstener Heimatfreunde mit dem Museum Kontakt aufgenommen. Der Motorfund nach 75 Jahren hat nicht nur den Museumsdirektor, sondern auch die Tochter von André Guédez überrascht. „Meinen Vater, der 2017 im Alter von 97 starb, hätte es erstaunt und berührt, dass diese Geschichte jetzt auch in Deutschland bekannt wird“, sagt Geneviève Monneris.

Mit gebrochener Nase und schmerzendem Rücken kommt ihr Vater noch am 24. Dezember 1944 ins Gefängnis, dort trifft er auf François Duran, der ebenfalls überlebte. Es folgen harte Verhöre. Sie erfahren, dass sie die einzigen Überlebenden des Absturzes sind. Ihre toten Crewmitglieder wurden zunächst auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beigesetzt, 1948/49 dann nach Frankreich überführt. Viereinhalb Monate verbringt Guédez in Gefangenschaft. „Die Amerikaner befreiten uns am 29. April 1945“, sagt er.

Gilbert Bohn ist der Cousin des verstorbenen Kapitäns Jaques Leroy, der an Bord der Maschine blieb. „Niemand aus der Familie war jemals in Düsseldorf. Aber der Schatten von Jaques schwebte über meinem Leben. In meiner Kindheit besuchte ich häufig mit meiner Mutter und meiner Tante sein Grab in Paris. Eigentlich jeden Heiligabend“, erzählt er. Auch ihn berührt der Motorfund. „Die Entdeckung ist für mich sehr wichtig“, sagt der in Paris lebende Cousin. Die Überlebenden André Guédez und François Duran fanden für die Erinnerung an ihre verstorbenen Kameraden ein persönliches Ritual: Sie telefonierten 67 Jahre lang immer an Heiligabend.

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