Häusliche Gewalt Die Hilfe für Gewaltopfer reicht nicht aus

Düsseldorf · Die Leiterin des Interventionsprojekts gegen Häusliche Gewalt im Gespräch über fehlende Schutzräume und neue Projekte der Düsseldorfer Frauenberatungsstelle

 Luizia Kleene ist bei der Frauenberatungsstelle Koordinatorin des Interventionsprojekts gegen Häusliche Gewalt.

Luizia Kleene ist bei der Frauenberatungsstelle Koordinatorin des Interventionsprojekts gegen Häusliche Gewalt.

Foto: Anne Orthen (ort)

Silvester 2015 hat viel verändert. Die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte haben nicht nur die Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen gekippt und zu einer Gesetzesänderung hinsichtlich der Sexualdelikte geführt. Sie hatten auch direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Frauenberatungsstelle. Obwohl die meisten Frauen, die dort seit fast 40 Jahren Hilfe finden, nicht Opfer sexueller Belästigung im öffentlichen Raum sind.

Gerade hat der Polizeipräsident die Kriminalstatistik vorgestellt. Wie viele der 5168 Fälle von Körperverletzung in Düsseldorf fielen voriges Jahr denn in den Bereich der häuslichen Gewalt?

Luzia Kleene

Das kann ich nicht sagen. Häusliche Gewalt ist kein Einzeldelikt, das so in der Kriminalstatistik ausgewiesen wird. Es gibt das bundesweite Lagebild des BKA, das sich aber nicht einfach auf NRW herunterbrechen lässt. Bislang gab es auch hier jährlich eine gesonderte Aufstellung der relevanten Zahlen zu Häuslicher Gewalt. Bereits im letzten Jahr wurden diese leider nicht mehr veröffentlicht.

Warum?

Kleene Es soll wohl eine neue Systematik eingeführt werden. Hoffentlich fallen dabei nicht für uns wesentliche Bereiche weg.

Warum wäre das wichtig für Ihre Arbeit?

Kleene Die bei der Polizei bearbeiteten Fälle häuslicher Gewalt sind das Hellfeld, also die offiziell bekannt werdenden Fälle. Wir haben es mit einem Teil des Dunkelfeldes zu tun, denn wir beraten ja auch Frauen, die nicht zur Polizei gehen. Zu sehen, wie sich das Hellfeld entwickelt, gibt uns einerseits Hinweise für unsere Arbeit. Andererseits erhält das Thema die notwendige offizielle Beachtung.

Können Sie das Hellfeld denn schätzen?

Kleene In den vergangenen Jahren hat es bei der Polizei im Durchschnitt um die 1300 Anzeigen gegeben. Daran wird sich nicht so viel geändert haben. Aber es geht ja nicht nur um Körperverletzung. Zur häuslichen Gewalt zählen viele Delikte, von einfacher Körperverletzung über Sexualdelikte bis hin zum Tötungsverbrechen.

Wie erfahren Sie von solchen Fällen?

Kleene Entweder kommen die Betroffenen auf uns zu oder die Polizei vermittelt. Immer, wenn die Polizei nach Häuslicher Gewalt einen Täter der gemeinsamen Wohnung verweist, bietet sie an, die Interventionsstelle zu informieren. Das sind ungefähr 500 bis 600 Fälle. Etwa 400 der Betroffenen stimmt der Weitergabe ihrer Kontaktdaten zu, mit denen setzen wir uns dann in Verbindung.

In einigen Bundesländern ist die Zustimmung nicht nötig, da meldet die Polizei jeden Fall an die Interventionsstellen.

Kleene Das ist meiner Ansicht nach das bessere Verfahren. Viele der Betroffenen haben keine Ahnung, welche Möglichkeiten sie haben, geschweige denn, wer ihnen helfen könnte. Die würden wir zumindest erreichen.

Wie ist das mit Frauen, die in die Beratungsstelle kommen? Melden Sie deren Fälle auch umgekehrt der Polizei?

Kleene Auf keinen Fall. Wir unterliegen der Schweigepflicht. Und die Entscheidung, Anzeige zu erstatten, liegt allein bei der Betroffenen.

Welchen Grund kann es geben, den Mann nicht anzuzeigen, der einen verprügelt?

Kleene Es gibt viele Gründe, die auch von Fall zu Fall unterschiedlich sind: Liebe ist einer, gemeinsame Kinder, Angst vor dem Täter, Existenzängste, psychische Abhängigkeiten. Manchen Frauen geht es auch ums Image, das oft das einzige ist, was sie aufrecht hält.

Wenn nun eine Frau zu Ihnen kommt oder von der Polizei vermittelt wird – was passiert dann?

Kleene Wir klären mit ihr gemeinsam, was sie will, was das Beste in der Situation ist. Wenn die Polizei den Mann der Wohnung verwiesen hat, ist das oft die erste Ruhephase nach Jahren in einer gewalttätigen Beziehung. Einige entscheiden sich dazu, gemeinsam mit dem Partner das Zusammenleben gewaltfrei zu machen. Andere trennen sich. Bei allem müssen wir immer den Schutz der Betroffenen und ihrer Kinder im Blick halten.

In Düsseldorf findet man ja nicht in zehn Tagen eine neue Wohnung. Trennung heißt dann wohl zuerst einmal Frauenhaus.

Kleene Wenn es so einfach wäre. Tatsächlich sind die beiden Frauenhäuser in Düsseldorf immer voll. Es gibt einfach zu wenig Plätze.

Und wo kommen die Frauen dann unter?

Kleene Wir versuchen es in Einrichtungen im Umland. Das ist aber nicht gut, wenn die Frau zur Arbeit muss, die Kinder in der alten Schule bleiben sollen.

Also braucht Düsseldorf ein drittes Frauenhaus?

Kleene Sinnvoller fänden wir einen neuen Ansatz. In Hamburg gibt es z.B. eine zentrale Notaufnahme, in der die Frauen drei bis vier Tage bleiben. Die fungiert als eine Art Clearingstelle, in der geeignete Lösungen gefunden werden, und von der aus dann die Verteilung auf die Frauenhäuser erfolgt. Das könnte ein Modell auch für uns sein. Es ist aber nicht einfach, wenn man bedenkt, dass auch die bestehenden Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen nicht grundsätzlich finanziell abgesichert sind.

Mit neuen Ideen auf akute Situationen zu reagieren, ist eine Spezialität der Frauenberatungsstelle, oder? Nach der Silvesternacht 2015 haben Sie im Straßenkarneval  einen Rückzugsraum für Frauen eingerichtet.

Kleene Wir haben ein Angebot geschaffen, dass aber nicht genutzt wurde, obwohl es durchaus Delikte gab. Das haben wir Silvester 2016 noch einmal angeboten und dann aus dem Ergebnis gelernt: Jetzt haben wir eine Rufbereitschaft und ein telefonisches Beratungsangebot, das sich auch bewährt. Wenn man‘s aber erst gar nicht versucht, kann man auch nichts bewegen.

Diese Silvesternacht, in der es durch Gruppen junger Männer zu massenhaften sexuellen Übergriffen nicht nur in Köln kam, hat einiges bewegt.

Kleene Es war ein furchtbares Ereignis, keine Frage. Aber vielleicht hat es eines solchen Ereignisses bedurft, um das öffentliche Augenmerk auf bestimmte Dinge zu lenken. Sexuelle Belästigung, gerade in Menschenmengen, hat es auch vorher schon gegeben. Die wurden von den Opfern – die sich nicht einmal als solche fühlten – hingenommen. Heute sind sie eine Straftat.

Es ist ja nicht mehr lang bis Karneval. Diesmal also ohne Rückzugsraum, aber mit  „Luisa“. Nach der sollen Frauen fragen, wenn sie sich bedrängt fühlen. Viele Kneipen machen mit.

Kleene Auch die Fortuna, der OSD und der Rettungsdienst sind mit eingestiegen.

Mal ehrlich: Wenn ich mich von einem Mann bedrängt fühle und einen Kellner frage, ob „Luisa da“ ist – da kann ich doch auch direkt sagen, dass ich Hilfe brauche.

Kleene Dann müssen Sie aber erklären, wieso und warum. Der Code „Ist Luisa da?“ sagt jedem, der Bescheid weiß, um was es geht.

Und wenn es der Täter auch weiß?

Kleene Das macht nichts. Vielleicht zieht er sich sogar schon deshalb zurück.

Ich sehe schon die ersten Kommentare zu diesem Text, die eine Männerberatungsstelle fordern.

Kleene Das würde ich sofort unterstützen. 20 bis 30 Prozent der Anzeigen in Bezug auf häusliche Gewalt sollen von Männern erstattet worden sein. Und nach der europäischen Gesetzgebung hat jedes Gewaltopfer Anspruch auf Schutz.

Dann brauchen wir auch ein Männerhaus?

Kleene Es sollte in NRW zumindest eine geschützte Unterkunft geben.

Wer kümmert sich eigentlich um männliche  Opfer häuslicher Gewalt?

Kleene Das ist in der Tat schwierig. In der Interventionsstelle beraten wir auch männliche Opfer, die von der Polizei vermittelt werden. Und es gibt die Ambulanz für Gewaltopfer. Aber so etwas wie die Hilfe der Frauenberatungsstelle gibt es für Männer nicht. Da gibt es aber auch keinen Verein, der sagt, wir machen das. Die Frauenberatungsstelle ist ja auch nicht vom Himmel gefallen. Sie entstand aus dem unermüdlichen Engagement von Frauen für Frauen und gegen Gewalt.

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