Porträt Einer, der nichts auf die lange Bank schiebt

unterbach · Gerwald van Leyen ist der Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk 8. Er ist Politiker, vor allem aber ist er menschlich.

 Die Bank mit Blick auf den Unterbacher See gehört zu Gerwald van Leyens Lieblingsorten in seinem Stadtbezirk.

Die Bank mit Blick auf den Unterbacher See gehört zu Gerwald van Leyens Lieblingsorten in seinem Stadtbezirk.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Mit dem Feiern hat er es nicht so, obwohl er eigentlich viel zu Feiern hätte in diesem Jahr. 75 wird er im November, 25 Jahre ist er Mitglied bei der CDU. Genauso lang ist er verheiratet mit seiner zweiten Frau Dietlind. Ihr überlässt Gerwald van Leyen die Feste, 75 ist sie jetzt geworden, eine große Party hat es gegeben mit Freunden, den Kindern und den Enkeln. „Das reicht“, sagt van Leyen, der, wenn er unterwegs ist, gegrüßt wird, auf dem Gertrudisplatz oder am Unterbacher See. Die Menschen im Viertel kennen Gerwald van Leyen, zumindest viele, und die meisten haben ihn schon mal gesehen.

Gerwald van Leyen ist der Chef im Eller Rathaus. Er eröffnet Kitas und besucht Seniorenzentren, hat gute Verbindungen zu den Sinti, ist oft beim Sonntags-Frühstück der alevitischen Gemeinde und hatte auch kein Problem mit dem Gemeindefest Kermes, das die Moschee-Gemeinde in Eller an Karfreitag beginnen ließ. „Ich bin froh, dass sich die Moschee so öffnet“, sagt van Leyen, der die Kermes gern besucht, „weil es immer interessante Speisen gibt“. Gerwald van Leyen ist einer, der nur ungern streitet, der Dinge klären will unter vier Augen, ohne großes Aufsehen, der versucht zu helfen, wenn er gefragt wird, und nichts auf die lange Bank schiebt. „Vielleicht ist es auch das Alter, man vergisst ja schnell mal was“, sagt van Leyen, der aber auf den Tisch haut, wenn es nötig ist.

Das Alter ist es wohl auch, das Gerwald van Leyen ein bisschen großväterlich macht – oder auch seine zehn Enkel. Gerwald van Leyen ist einer, der weise ist – er nennt es Altersklugheit, der sich für andere stark macht und bescheiden ist. Ein Mann in karierten Hemden und Chino-Hosen und Strickjacken mit Flicken auf den Ellbogen – gemütlich und besonnen, der am Unterbacher See auf seiner Lieblingsbank sitzt gleich neben dem blauen Mast und raus schaut und träumt und sich Geschichten überlegt für seine Enkel. „Nur am Wochenende komme ich nicht her“, sagt van Leyen. „Da ist es mir zu voll hier.“ Dass der 74-Jährige einmal in die Politik gehen würde, ist einem Zufall geschuldet. Das Haus der Eltern seiner ersten Frau sollte plötzlich abgerissen werden. Einen Vierzeiler bekamen die Schwiegereltern von der Verwaltung. Seine damalige Frau und er suchten den Kontakt zu jenen Politikern, die für den Abriss stimmten – sie bei der CDU, er bei der SPD und den Grünen. „Meine Frau hatte schnell einen guten Draht zur CDU“, sagt Gerwald van Leyen, der bald passives Mitglied werden sollte, „ich bin da so reingerutscht“. Als sich das Paar scheiden ließ, van Leyen nur noch eine Handvoll Jahre bis zur Rente hatte, fragte man ihn, ob er mehr machen will. „Ich hatte Zeit“, sagt er.

2009 ist er Bezirksbürgermeister geworden, weil er die Stadtteile im Bezirk kennt, vermutlich besser, als irgendjemand sonst. Er ist dort aufgewachsen, mit seiner Mutter kam er nach dem Krieg nach Düsseldorf, 1950 ist das gewesen, als sein Vater in Gefangenschaft war. Manche haben im Bunker gelebt, van Leyen und seine Mutter fanden ein Zimmer. „Das war normal“, sagt van Leyen, während er von seiner Kindheit erzählt und der schwierigen Zeit, die für ihn nie schwierig war, „die anderen hatten ja auch nichts“. Eine andere Welt ist Düsseldorf gewesen für den Jungen, der in einem kleinen Ort in Oberfranken geboren wurde, „vom Land in die Großstadt“. Heute beschreibt van Leyen Unterbach als großes Dorf, „aber ins Zentrum hätte mich keiner bekommen“.

Er lernte Industriekaufmann, seine Ausbildung machte er bei Edmund Münster. „Sie kennen doch sicher Maoam?“, fragt er und formt mit seinen Fingern ein kleines Bonbon. Bundeswehr, ein paar Jobwechsel – 30 Jahre ist er schließlich beim Mineralölkonzern Total geblieben. Bis zur Rente.

Eigentlich wollte er schon nach der ersten Wahlperiode nicht mehr Bürgermeister sein, „aber meine Frau überzeugte mich“, sagt van Leyen. „Wir können doch nicht beide zu Hause sein“, hat sie zu ihm gesagt. Inzwischen sieht sie das anders, weil das Paar nie so in den Urlaub fahren kann, wie es das will, auf den Sitzungskalender Rücksicht nehmen muss, mitten in den Ferien frei hat, wenn es voll ist und teuer. Van Leyen will dorthin, wo keine Touristen sind – Andalusien, Kreta, Toscana – in die Seitenstraßen, „Skandinavien fehlt noch“. Am liebsten würde er sich ein Wohnmobil kaufen und so lange fahren, bis er den perfekten Ort gefunden hat. Irgendwo abseits. „Aber meine Frau hat Angst, dass wir überfallen werden“, sagt der 74-Jährige, den große Weltstädte nicht interessieren.

Wenn er könnte, würde er in einem Haus am Hang leben, mit Blick auf einen Apfelbaum, unter dem eine Liege steht, wo er lesen kann. Hemingway oder Schirach – nur im Bett, da will er nicht lesen, „da schlafe ich“. Dann sagt er mit einem verschwörerischen Blick durch seine große Brille: „Bei sechs Richtigen bin ich weg.“ und fügt noch schnell hinzu: „Aber nur mit Zusatzzahl.“

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