Stadtmitte Die Drogen im Bahnhofsviertel
Stadtmitte · Die Geschäftsleute rund um die Oststraße loben die Polizei und kritisieren die Politik. Sie wünschen sich einen Ansprechpartner.
Es nieselt, ist februar-typisch kalt ungemütlich. Ein vielleicht 20-jähriger Mann mit schlabbriger Jeans, schmutzigen Turnschuhen, die einmal weiß waren, und dünnem Pullover geht im zugigen Abgang zum U-Bahnhof Oststraße langsam auf und ab. Im Gegensatz zu denen, die die Rolltreppe herunterkommen und zu den Zügen hinabsteigen, blickt er nicht auf das Smartphone, hat keinen Koffer, keine Aktentasche dabei. Er schaut sich um, aber niemanden an. Nur ein kurzer Augenkontakt, aber keiner hält an. Er dreht um und geht wieder eine Runde. Und wartet auf jene, die wollen, was er anzubieten hat.
Nicht erst als der Drogenhandel auf der Friedrich-Ebert-Straße, am Immermannhof und im U-Bahnhof Oststraße vor knapp zwei Jahren seinen letzten Höhepunkt erreichte, gingen die Anwohner und Geschäftsleute auf die Barrikaden. Die Polizei startete eine Offensive. Verhaftungen, Razzien, Durchsuchungen und Patrouillen haben die Straße seither verändert. Die Route von der Methadon-Ambulanz an der Bismarckstraße über die Dealer-Treffpunkte an der Friedrich-Ebert-Straße zum Kiosk nahe der Karlstraße nehmen noch immer einige Süchtige. Sie werden heute von vielen jedoch mit anderen Augen gesehen - die Probleme, die die Drogenwelt für die Anlieger mit sich bringt, sind andere geworden.
"Ich beobachte permanent Festnahmen", sagt Gaby Kafaii. Vor den großen Schaufenstern ihres seit mehr als 30 Jahren bestehenden Kopiergeschäfts vor dem U-Bahnhof Oststraße floriere noch immer der Drogenhandel. Selbst ihre Kunden, auch Kinder und Senioren würden regelmäßig gefragt, ob sie Stoff kaufen wollten. Auf dem Weg zum Laden sei ihre 25-jährige Tochter vor vier Wochen ebenfalls belästigt worden, sie habe sich gewehrt, es kam zum Handgemenge. Seitdem fährt sie, wie ihre Mutter, nicht mehr mit der U-Bahn zur Oststraße: "Die Rheinbahn muss dafür sorgen, dass ihre Security-Kräfte nicht nur zur Dekoration oben stehen, sondern unten im Bahnhof saubermachen."
Damit auch die Straße "sauber" bleibe, müsse jedoch zunächst die Politik handeln. Wer festgenommen wird, steht nach zwei Stunden wieder vor ihrem Fenster oder im U-Bahnhof, sagt sie: "Bis vor drei Jahren war es noch okay, seitdem gibt es das Problem mit den Schwarzafrikanern." Die Herkunft der Dealer - sie vermutet in vielen Flüchtlinge - sieht sie neben der Methadonpraxis und dem Kiosk als eine Ursache des Problems. Eine Lösung hat sie nicht.
Hans-Werner Schliepkorte hat ein Architekturbüro, das ziemlich genau die Mitte der Friedrich-Ebert-Straße bildet. Das letzte, was er will, ist, die Polizei für die Anwesenheit der verbliebenen Dealer verantwortlich zu machen, die in der Nähe seines Geschäfts ihre eigenen machen. "Man kann mit dem Zustand leben", sagt der 65-Jährige. Es habe einmal eine Zeit gegeben, da hätten Drogenhändler im Dunkeln vor seiner Tür gedealt, ihre Notdurft hinter Litfaßsäulen verrichtet. Einmal habe er einen Menschen in seinem Innenhof liegen sehen, von dem er nicht wusste, ob er tot oder lebendig war. Noch immer fehle es an Straßenlaternen - ein Vorwurf, den er an die Stadt richtet.
Die Polizei habe in der letzten Zeit "großartige und schnelle" Arbeit geleistet. Bei 3000 Drogenabhängigen in der Stadt ließe sich das Problem des Straßenhandels aber weder vollständig überwinden, noch "wegdiskutieren". "Wir sprechen hier von Menschen, die selbst in einer Notsituation leben", betont Schliepkorte. Nur mit dem Können von Sozialarbeitern ließen sich Fortschritte erzielen, der Architekt spricht von "moderieren". Zur Befriedung des öffentlichen Schlachtfeldes zwischen Bürgerwut und Straßenelend fehle aber ein Ansprechpartner, der in direktem Kontakt mit Beschwerdeführern und Behörden stehe: "Ansonsten wird es immer wieder zur Eskalation kommen." Die Straße braucht einen Anwalt.
Blumenhändler Olaf Backens ist froh, dass der Bürgersteig vor seinem Geschäft an der Ecke Karlstraße/Friedrich-Ebert-Straße kein Brennpunkt mehr ist. Dass der Drogenmarkt sich nur verlagert haben kann, weiß er. Er kennt auch Kafaii und ihre Erfahrungen mit den Dealern vor der Tür. Dennoch betont er, dass es eine "maximale Verbesserung" der Sicherheitslage durch die Polizeipräsenz und Kontrollfahrten gegeben hat. Backens nennt die Zustände im Vergleich zur nicht allzu fernen Vergangenheit "paradiesisch" - zumindest tagsüber. "Die Ratten kommen bei Dunkelheit aus ihren Löchern", sagt der 52-Jährige.
"Ich lasse mir nicht den Laden kaputtmachen und drücke kein Auge für die zu, die Ärger machen", sagt die 41-jährige Frau. Ihr gehört der Kiosk direkt gegenüber. Sie lobt den Einsatz der Polizei und des Ordnungsamtes, hat jedoch auch eine Botschaft an die Bürger: "Jeder kann im Leben Fehler machen." Sie meint nicht die Kriminellen, die in ihrem Laden stehlen, jene, die sich im Bahnhofsviertel illegal prostituieren oder die Drogendealer auf ihrer Straße. Sie spricht von Heroinsüchtigen, die von der Methadon-Ambulanz auf einen Kaffee zu ihr kommen, den Alkoholikern, die sich ihr Bier kaufen und wieder gehen, den Menschen, die von Geschäftsleuten an der Friedrich-Ebert-Straße als "Kakerlaken" beschimpft werden, weil sie ein Leben führen, das ihnen immer fremd bleiben wird.