Interview mit Psychiater Rolf Ahn „Die vielen Spielhallen spalten die Nachbarschaft“

Reisholz · Der Psychiater kritisiert die Häufung von Glücksspielbetrieben in Reisholz. Seine Eingabe im Beschwerdeausschuss wurde abgelehnt, aufgeben will er jedoch nicht.

 Psychiater Rolf Ahn wohnt seit seiner Jugend in Reisholz und beobachtet eine negative Entwicklung im Stadtteil – auch im Zusammenhang mit den zahlreichen Spielhallen.

Psychiater Rolf Ahn wohnt seit seiner Jugend in Reisholz und beobachtet eine negative Entwicklung im Stadtteil – auch im Zusammenhang mit den zahlreichen Spielhallen.

Foto: RP/Dominik Schneider

Herr Ahn, als Psychiater behandeln Sie spielsüchtige Menschen. Auf dem Heimweg kommen sie dann an vielen Spielhallen vorbei – mehr, als auf so engem Raum erlaubt wären. Wie fühlt man sich dabei?

Rolf Ahn Es ist frustrierend. Spielsucht wird in der Gesellschaft immer mehr zu einem Problem, gleichzeitig kann die Politik nichts tun, um gegen die hier in Reisholz zu hohe Zahl an Spielhallen und Wettanbietern vorzugehen. Wenn ich täglich mit den Folgen dieser Sucht konfrontiert werde, ärgert es mich, dass es offenbar keine Möglichkeit gibt, gegen die Ursache vorzugehen.

Anders als Alkohol oder illegale Drogen hat Spielsucht keine körperlichen Schäden zur Folge. Wird das Phänomen deshalb von der Gesellschaft unterschätzt?

Ahn Ich denke schon. Es handelt sich um eine Stille Sucht, die nicht im Straßenbild zu sehen ist, man sieht es Spielsüchtigen nicht an. Vielen gelingt es, ihre Krankheit lange auch vor Freunden und Familie geheim zu halten. Aber die Folgen sind deswegen nicht weniger verheerend: Wenn sich die Schulden häufen, zerbrechen Familien, Menschen gehen sozial und wirtschaftlich zu Grunde, werden in die Kriminalität gedrängt, um ihre Sucht zu finanzieren. Gleichzeitig fehlt oft die Einsicht in die eigenen Probleme – das macht eine Behandlung schwer.

Wie kommt es denn so weit? Wie wird aus ein paar Spielen am Automaten eine Sucht?

Ahn Problematisch ist oft ein Gewinn am Anfang. Das Belohnungszentrum des Gehirns fordert diesen Kick dann immer und immer wieder ein – das ist nicht anders als bei stofflichen Drogen. Es gibt offenbar Menschen, die eher zu Suchtverhalten neigen als andere. Und es ist ja so leicht: Vor allem digitale Casinos haben die Einstiegsschwelle herabgesetzt, im Fernsehen wird mit Startboni gelockt, das Spielen wird glorifiziert. In den Spielhallen selbst trifft man auf Gleichgesinnte, die sich gegenseitig bestärken. Dagegen zu arbeiten, ist schwer.

Welche Menschen haben Ihrer Erfahrung nach am ehesten Probleme mit Spielsucht.

Ahn Zumeist sind es Männer, oft jüngeren Alters, mit einem ordentlichen finanziellen Hintergrund. Man braucht ja Kapital, um exzessiv zu spielen. Jemand, der am Ende des Monats jeden Euro umdrehen muss, wirft ihn wohl eher nicht in den Automaten.

Sie sind vor dem Anregungs- und Beschwerdeausschuss gegen die Häufung von Spielhallen rund um die Henkelstraße vorgegangen und haben eine Absage bekommen.

Ahn Ja, leider.

Gibt es keinen politischen Willen, die bestehenden Regelungen durchzusetzen?

Ahn So würde ich das nicht sagen. Viele Politiker stimmen mir zu, dass etwas getan werden müsste. Einzelne haben mir auch ihre Unterstützung zugesagt. Aber die Betriebe, die vor dem Beschluss der Mindestabstände da waren, genießen Bestandsschutz. Und es gibt natürlich Lobbyarbeit. Bald soll etwa der Mindestabstand von Spielhallen zu Schulen verringert werden. Das ist meiner Meinung nach ein Skandal und ein Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Und auch in Düsseldorf sieht man das: Beim Namen der Arena hat sich die Stadt kaufen lassen, meiner Meinung nach ein vollkommen falsches Signal. Und es erschwert ganz konkret meine Arbeit bei der Behandlung von Suchtkranken. Aber die Spielindustrie hat eine starke Lobby.

Welche Auswirkungen hat eine Häufung von Spielhallen auf einen Stadtteil wie Reisholz?

Ahn Die Frage ist: Was ist Ursache, was Wirkung? Ich bin hier aufgewachsen, und in meiner Jugend war das ein gut-bürgerlicher Stadtteil. Mit der Zeit sind viele Gastronomen ausgezogen, in die Ladenlokale gingen die Spielhallen. Diese haben natürlich eine andere Zielgruppe – das hat die Nachbarschaft gespalten. Viele Bekannte sind weggezogen, die Gegend genießt in Düsseldorf keinen guten Ruf. Ich bin hier verwurzelt und geblieben, aber ich gebe zu: Ich gehe nachts auch nicht gern allein über die Straße. Für mich steht der Niedergang des Stadtteils ganz klar im Zusammenhang mit der massiven Ansammlung von Glücksspielangeboten.

Nach der Absage des Beschwerdeausschusses ist Ihr Vorgehen gegen die Spielhallen in Ihrer Nachbarschaft gescheitert?

Ahn Nein, ich bleibe auf jeden Fall an dem Thema dran und mit den verantwortlichen Politikern in Kontakt – auch wenn es sich anfühlt wie ein Kampf gegen Windmühlen. Aber ich würde mir wünschen, dass es mehr öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema gibt, mehr Werbung für die hervorragenden Präventionsangebote, die die sozialen Träger haben. Beim Lotto wird zumindest im Kleingedruckten auf die Suchtgefahr hingewiesen. Ich fände es gut, wenn man hier eine ähnliche Lösung wie bei Zigaretten anstreben würde. Auf jedem Tippschein und im Schaufenster jeder Spielhalle müsste dann stehen: „Glücksspiel kann süchtig machen“. Oder: „Glücksspiel schadet Ihnen und Ihrer Familie“.

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