Pempelfort/Stadtmitte Ein Gespür für den richtigen Moment

Pempelfort/Stadtmitte · Einst Chronist der Düsseldorfer Punk-Szene, fotografiert Richard Gleim heute Menschen und Orte in der Stadt. Er zeigt Menschen in ihrer gewohnten urbanen Umgebung, mitunter verschwindend klein in übergroßen Betonkulissen.

 Richard Gleim vor Exponaten seiner aktuellen Ausstellung "Menschen in der Stadt".

Richard Gleim vor Exponaten seiner aktuellen Ausstellung "Menschen in der Stadt".

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Richard Gleim (75) ist fasziniert von Menschen. Mitunter auch von ihren bloßen Spuren. Und er ist fasziniert von wertvollen Momenten, die so einzigartig sind, so unwiederbringlich. Von Momenten, die es einzufangen und für die Nachwelt zu konservieren gilt. Das gelang dem Fotografen bereits einmal in großem Stil. Damals, Ende der 1970er Jahre, als in Düsseldorf ein neuer Musikstil mitentwickelt wurde, der später mit dem Etikett "Punk" um die Welt gehen sollte und die Stadt für eine kurze Zeit an die Spitze der deutschen und internationalen Musikszene katapultierte, weit vor Berlin und Hamburg.

Gleim trugt damals Bart und lange Haare, war mit Ende Dreißig deutlich älter als die Protagonisten der Szene, die ihr Epizentrum im Ratinger Hof an der Ratinger Straße gefunden hatte. "Eigentlich war ich allein deshalb ein Feindbild", sagt Gleim heute. Dennoch: Man ließ ihn gewähren, den Szene-Fremden. Einige der führenden Bands freundeten sich gar mit dem Fotografen an, der heute an der Sternstraße in Pempelfort lebt. Und so entstanden einzigartige Zeitdokumente der frühen deutschen Punk-Bewegung, die Bands wie Die Krupps, Deutsch Amerikanische Freundschaft, Fehlfarben, Der Plan und die Toten Hosen in konzertanter Aktion zeigen.

 Richard Gleim geht auch gerne mal nah heran: Eine Frau kann dem Duft der Lebkuchen nicht widerstehen.

Richard Gleim geht auch gerne mal nah heran: Eine Frau kann dem Duft der Lebkuchen nicht widerstehen.

Foto: Richard Gleim

1982 wurde das daraus entstandene Buch "Guter Abzug" auf der Kasseler Kunstausstellung documenta gezeigt, 2002 wurde die aufwendige Ausstellung "Zurück zum Beton" in der Kunsthalle am Grabbeplatz mit seinen Fotografien realisiert.

Bis heute werden bei ihm Fotos der damaligen Zeit angefragt: Aktuell tourt eine Fotoausstellung des Goethe-Instituts unter dem Titel "Geniale Dilettanten" durch alle Metropolen der Welt. Fünf Jahre lang werden im Rahmen der Wanderausstellung nun insgesamt 25 Arbeiten des Düsseldorfer Fotografen zu sehen sein, um den Aufbruch der westdeutschen Subkultur der Achtzigerjahre auch visuell darstellen zu können.

Dass der gelernte Gärtner bis heute auf die Rolle des Chronisten jener Zeit festgelegt ist, sei für ihn Fluch und Segen zugleich, sagt Gleim. Denn auch, wenn er noch immer an der Aufarbeitung und Digitalisierung der rund 20.000 Fotos jener Zeit arbeitet, so befasst sich Gleim fotografisch seit mehr als fünfzehn Jahren mit neuen Inhalten. "Ich gehe langsam durch die Stadt" heißt der aktuelle Foto-Zyklus, dessen Ergebnisse er, thematisch gebunden, in immer neuen Ausstellungen an unterschiedlichen Orten in Düsseldorf präsentiert.

"Menschen in der Stadt" lautet der sprechende Titel seiner aktuellen Ausstellung. Und auch, wenn die heutigen Fotografien inhaltlich nichts mit seinen frühen Arbeiten zu tun haben: Gleich ist ihnen eine besondere, nicht konstruierte Ästhetik. Und das Gespür für den richtigen Moment.

Gleim zeigt Menschen in ihrer gewohnten urbanen Umgebung, mitunter verschwindend klein in übergroßen Betonkulissen. Er zeigt wild sprießende Pflanzen am Straßenrand und Bauarbeiter, die, tief in ihre Arbeit versunken, ihren Tätigkeiten nachgehen. Manchmal faszinieren ihn auffallend dekorierte Büdchenfassaden: "Man muss sich Zeit nehmen, Dinge zu sehen", beschreibt Gleim einen Ansatz seines Arbeitens.

Und so zeigt er die Kleinigkeiten am Wegesrand, Fotos, die nah am Leben sind: "Auch diese Fotos wollen noch allesamt bearbeitet und katalogisiert werden", sagt Gleim mit Blick in die Zukunft. "Ob ich das allerdings schaffe, ist fraglich."

(RP)
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