Serie Kriegsende Flüchtlingszüge ans rechte Rheinufer

Düsseldorf · Marianne Volke erlebte die linksrheinische Belagerung durch US-Truppen als knapp 20-jährige Abiturientin des Cecilien-Gymnasiums. Sie führte ein Tagebuch über die Ereignisse, die im Frühjahr 1945 die Oberkasseler bewegten.

 Marianne Volke blättert in ihrer Wohnung in ihren aufgezeichneten Erinnerungen. Vor 70 Jahren begann sie, ihre Erlebnisse vor und nach dem Einzug der US-Truppen ins Linksrheinische aufzuschreiben.

Marianne Volke blättert in ihrer Wohnung in ihren aufgezeichneten Erinnerungen. Vor 70 Jahren begann sie, ihre Erlebnisse vor und nach dem Einzug der US-Truppen ins Linksrheinische aufzuschreiben.

Foto: Andreas Bretz

Marianne Volke, damals knapp 20 Jahre alt, hörte im Frühjahr 1945 im Radio vom steten Vormarsch der "Feinde" auf der linksrheinischen Seite. Unverkennbar auch die Zeichen im Alltagsleben, die auf die drohende Gefahr schließen ließen. "Ständig kreisten feindliche Jäger und Bomber über unserem Gebiet, ständig suchten wir im Keller Zuflucht. Oft gab es erst nach zehn Stunden Alarm wieder Entwarnung", erinnert sie sich.

Vom Fenster der Wohnung im Haus des Großvaters, die ihre ausgebombte Familie vorübergehend bezogen hatte, bot sich ihr am 26., 27. und 28. Februar 1945 ein ungewohntes Bild. "Die Luegallee war belebt wie lange nicht. Endlose Flüchtlingszüge zogen zur anderen Rheinseite, um der drohenden Gefahr durch die US-Truppen zu entgehen." Neben Soldaten habe sie Pferdegespanne und mit Gepäck beladene Flüchtlinge dem vermeintlich sicheren rechtsrheinischen Ufer zustreben sehen.

"Froh war ich, weil nur wenige Oberkasseler die Flucht vor der heranrückenden Front ergriffen. Sie fürchteten die Ungewissheit drüben und wollten ihr Heim nicht unnötig preisgeben. Obwohl Gerüchte kursierten, dass die von den Nazis in Skagerrakbrücke umbenannte Oberkasseler Brücke gesprengt werden soll, um den Vormarsch der US-Truppen auf das rechtsrheinische Düsseldorf zu stoppen."

Die junge Marianne Volke, Abiturientin des Cecilien-Gymnasiums, dagegen machte sich eher Sorgen, weil die Straßenbahn am 2. März den Betrieb eingestellt hatte, sie aber am 5. März ihr Examen zur Medizinisch Technischen Assistentin (MTA) in den Krankenanstalten (heute Uni) ablegen sollte. "Die Ungewissheit bedrückte mich." Am selben Tag hieß es, dass die Front in Meerbusch liege und Krefeld eingeschlossen sei - und einige sagten erschrocken: Da sind richtige Amerikaner auf der Luegallee."

Die Oberkasseler, die beschlossen hatten, auszuharren, rückten zusammen und versuchten mit gegenseitigen Besuchen, dem Leben etwas Positives abzugewinnen. "Plötzlich einsetzendes Artilleriefeuer jagte uns immer wieder in den Keller, in dem wir auch schliefen." Und dann wurde aus dem Gerücht Gewissheit: Eine gewaltige Detonation erschütterte die Menschen in ihren Kellern, gleichzeitig ging das Licht aus. "Eine Stunde saßen wir nur bei Kerzenschein im Keller, bis jemand den Mut hatte, auf der Straße Ausschau zu halten." Aufgeregt sei er zurückgekehrt und habe gesagt: "Die Brücke ist gesprengt worden."

Die US-Truppen richteten sich in Oberkassel ein, das sie wochenlang belagerten und von wo aus sie sich Gefechte mit den deutschen Soldaten auf der rechten Rheinseite lieferten. Sie organisierten das Leben der linksrheinischen Bevölkerung. Zögernd wagten sich die Menschen vor die Tür. "Wir sahen amerikanische Soldaten auf Mauervorsprüngen sitzen, sich teilweise mit Deutschen unterhaltend. Walter Simmes wurde zum Bürgermeister eingesetzt. "Er kümmerte sich fürsorglich um uns. Die Menschen atmeten auf, die Spannung löste sich, Gedanken wirbelten uns durch den Kopf, das Gewaltige dieses Augenblicks konnten wir nicht so schnell erfassen", schreibt Marianne Volke. Glücklich seien sie gewesen, weil nun die Terrornächte vorbei waren, das Osterfest am 1. und 2. April trotz der veränderten Lebensbedingungen gefeiert werden konnte.

Dennoch herrschte Trauer im Hause der Oberkasselerin. Ihr Vater Peter Krieger, der als Grafiker arbeitete, starb bei einem Bombenangriff in Düsseldorf. Tochter Marianne hat das künstlerische Talent geerbt - Malereien in ihrer Wohnung zeugen davon. Zudem führte sie ein Tagebuch, in dem sie die Ereignisse von 1945 schilderte.

(RP)
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