Oberkassel Das Schützen-Experiment

Oberkassel · Mit dem Schützenwesen kam unser Autor bisher nur beiläufig in Berührung. Jetzt machte er die Probe und lief bei der Parade des Schützenfestes Oberkassel in der Gesellschaft "von Hindenburg" mit. Ein Selbstversuch.

 Das kann er: Ein Alt gehört zum Schützendasein dazu. Rasche im Festzelt.

Das kann er: Ein Alt gehört zum Schützendasein dazu. Rasche im Festzelt.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Was ich sehe, macht mich ratlos. Hier ein Grüppchen in grünen Uniformen, da ein Grüppchen in blauen Uniformen, ein paar Pferde, ein paar Kutschen, ein Mann mit Klarinette. Männer lachen, essen Pizza. Die Kartons stapeln sich auf dem Mülleimer. Altbiergläser klirren. Da passe ich unmöglich hinein.

Mit meinem schwarzen Anzug, den Schuhen, die ich seit meinem Abitur für festliche Anlässe reserviert halte, und einem weißen Hemd laufe ich zögernd auf das Gewusel vor dem "Alten Bahnhof" zu. Kein Mensch außer mir trägt dort so etwas. Und wenn ich eines gerade nicht will, dann ist es auffallen.

 Autor Rasche: Krawatte binden kann er nicht, aber einen Knopf zumachen.

Autor Rasche: Krawatte binden kann er nicht, aber einen Knopf zumachen.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Frank Russeck eilt herbei, ein freundlicher junger Mann, der mir sofort das Du anbietet. Er ist Geschäftsführer der St. Sebastianus Schützen und derjenige, der mir heute durch den Nachmittag helfen wird. Ich laufe bei der Parade über die Luegallee vor der Sankt-Antonius-Kirche mit. Ich kenne Schützenfeste aus meiner Heimatstadt Dinslaken, aber zu tun hatte ich bisher mit ihnen nichts, also fast nichts. Nur so als Beobachter. Und jetzt hält Frank mir eine Krawatte hin. Sie ist dunkelgrün, zum Glück gebunden und mit Paul von Hindenburg bedruckt. Die Gesellschaft "von Hindenburg" ist jetzt mein Zuhause. Michael Schmidt, der zweite Hauptmann, nimmt mich unter seine Fittiche. Roland Pietzonka gehört auch dazu, er mustert mich freundlich, aber wohl auch kritisch. Der neue König der Oberkasseler, Carsten Arnolds, zählt auch zu uns. Am Abend wird er gekrönt.

 Unser Autor Henning Rasche (rechts) und sein Nachbar Michael Schmidt auf ihrem Weg durch Oberkassel. Schmidt ist zweiter Hauptmann, Rasche ist gar nichts.

Unser Autor Henning Rasche (rechts) und sein Nachbar Michael Schmidt auf ihrem Weg durch Oberkassel. Schmidt ist zweiter Hauptmann, Rasche ist gar nichts.

Foto: Hans Jürgen Bauer

Ich fremdel, versuche ein Lächeln, wenn jemand grüßt. Es fällt mir schwer, dabei meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Aber hier heute bei der Parade mache ich letztlich nichts anderes als schauspielern. Ich spiele einen Schützen, der ich eigentlich gar nicht bin. Und ich bin kein guter Schauspieler.

Michael Schmidt, auch wir duzen uns inzwischen, zeigt mir, wo es langgeht. Das "Abschreiten der Front" beginnt. Die geladenen Ehrengäste laufen am gesamten Regiment - an uns - vorbei und ich begehe meinen ersten Fehler. Ich salutiere. Zwar zögerlich, aber ich tue es, weil es mein Nachbar Michael auch tut. Das ist aber, wie ich später erfahre, den Offizieren vorbehalten. Er nimmt es mir nicht übel, auch nicht, dass ich auf der falschen Seite stehe oder zu schnell laufe. Michael ist wohl der angenehmste Nachbar in der Parade, den ich mir hätte wünschen können. Zumindest ist er sehr nachsichtig.

Am Rande an der Luegallee stehen viele Menschen. Kinder, Frauen, Männer schauen zu, wie die Schützen an ihnen vorüberziehen. Ich bin schon ein bisschen beeindruckt, doch Michael Schmidt ist nachdenklich. "Früher waren hier viel, viel mehr", sagt er. Heute könne man doch alles im Internet machen, wer gehe da für eine Schützenparade vor die Tür? Wo ist der Nachwuchs, fragt sich Michael Schmidt, während er einem Mädchen zuwinkt. Mir will er gleich einen Mitgliedsantrag in die Hand drücken, immerhin könnte ich ja der Nachwuchs sein.

Ich blicke auf meine Krawatte. Paul von Hindenburg sieht mich an, ausgerechnet. In meiner Heimat soll eine Hindenburg-Straße umbenannt verschwinden, in Mülheim ein Platz. Bei mir klebt er jetzt auf der Brust. Ich bin kein Historiker, aber dass der Name Hindenburg den Nachwuchs nicht anzieht, verstehe ich. Vielleicht liegt es ja nicht nur am Internet.

Es geht weiter. Michael ermahnt mich, den Abstand zu den Fahnenträgern einzuhalten. Um ein Haar säße mir die Stange sonst im Auge. Die Pferde sind nervös, sie scharren mit den Hufen, was wohl auch an den Temperaturen liegt, die wider Erwarten steigen. Vor der Sankt-Antonius-Kirche gibt ein Wiedersehen. Diesmal stehen die Ehrengäste, und die Schützen laufen vorbei. Ich salutiere nicht, habe aus meinem Fehler gelernt.

Und obwohl ich doch nicht auffallen möchte, weiß ich, dass ich heraussteche. Die Gesellschaft "von Hindenburg" ist zwar klein, aber allesamt tragen Orden, Abzeichen, Handschuhe. Ich trage Abi-Schuhe. Mir fällt der Satz ein, den Michael Schmidt gesagt hat, als wir uns kennengelernt haben. "Wir müssen aus den Köpfen kriegen, dass Schützen nur saufen und ballern." Es liegt ihm am Herzen, er will Nachwuchs finden. Schützen haben es nicht leicht. Es ist viel einfacher das Schützenwesen abzulehnen, als dafür einzustehen. Das imponiert mir.

An der Ampel auf dem Weg nach Hause begegnen mir drei Jungs. Sie unterhalten sich. Über Gott, die Welt und auch über das Schützenfest. Das sei doch auch nur ein Anlass zum Saufen, sagt einer. Nüchtern wirkt er dabei nicht. Im Gegensatz zu meinem Nachbarn Michael Schmidt.

(RP)
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