92-jährige Düsseldorferin Sieglinde Vogels ritt auf dem Pferd durch Manhattan

Düsseldorf · Die Düsseldorferin Sieglinde Vogels schaut auf ein bewegtes Leben zurück. Sie ist eine Verwandte von Friedrich Nietzsche, ein glühender Opern- und Theaterfan und ritt sogar einmal hoch zu Ross durch New York.

 Die 92-jährige Sieglinde Vogels ist immer noch sehr gerne albern. Heute lebt die rüstige Rentnerin bei ihrer Tochter in einem Haus in Wittlaer.

Die 92-jährige Sieglinde Vogels ist immer noch sehr gerne albern. Heute lebt die rüstige Rentnerin bei ihrer Tochter in einem Haus in Wittlaer.

Foto: Marc Ingel

Es gibt so vieles aus dem Leben von Sieglinde Vogels, das berichtenswert ist, anfangen muss man aber wohl in Oberkassel. Hier wächst Siggi, wie sie nur genannt wird, an der Brend‘amourstraße auf, „ich konnte mit meinen Freunden noch auf der Straße spielen, Völkerball zum Beispiel. Das ist heute undenkbar, aber Oberkassel war damals noch ein richtiges Dorf“, erzählt die 1926 Geborene, die mit Mädchennamen Ernst von Ernsthausen hieß. „Mein Spitzname war allerdings Lach von Lachhausen – weil ich so albern war. Bin ich heute noch“, sagt die 92-Jährige.

Sie besucht das Cecilien-Gymnasium, die Erinnerung daran wird jedoch dominiert von der Zeit im Keller. Sieglinde Vogels ist 13 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbricht. „Meine Mutter, beide Schwestern und ich wurden bei Verwandten in Pommern untergebracht. Dort haben wir nicht viel vom Krieg mitbekommen – bis die Russen näher rückten und wir Hals über Kopf Richtung Magdeburg fliehen mussten.“

 Siggi verbrachte ihre Kindheit in Oberkassel.

Siggi verbrachte ihre Kindheit in Oberkassel.

Foto: Marc Ingel

Der Vater kommt früh aus der Kriegsgefangenschaft zurück, die Familie wohnt am Kaiser-Wilhelm-Ring, Sieglinde Vogels beginnt eine Schneiderlehre, „denn das Handwerk soll ja bekanntlich einen goldenen Boden haben“, sagt sie. Beendet hat die junge Frau die Lehre nicht, denn mit Anfang 20 lernt sie ihren künftigen Ehemann, Hanns Arnt Vogels, kennen. Sein Spitzname: Piep. „Weil ich ihn immer Hänschen Piep nannte“, sagt Siggi.

 1986 ritt Sieglinde Vogels als Anna de’ Medici durch Manhattan.

1986 ritt Sieglinde Vogels als Anna de’ Medici durch Manhattan.

Foto: Marc Ingel

Geheiratet wird in Lech-Zürs in Skianzügen, die Anfahrt zur Dorfkirche erfolgt mit Skiern. Piep macht Karriere, beginnt bei Böhler, arbeitet bei Mannesmann, ist mit 33 Jahren jüngster Vorstand bei Rheinstahl, ist 15 Jahre bei Flick. „Bis Franz Josef Strauß ihn nach München zu MBB holt“, sagt Sieglinde Vogels. Sie geht nicht mit, es folgt die Scheidung.

Ihre Geschichte zu erzählen, erfordert zwingend auch einen Exkurs in die nähere Verwandtschaft. Ihr Großvater Adalbert Oehler ist zwischen 1910 und 1919 Oberbürgermeister von Düsseldorf. Und er ist ein Cousin von Friedrich Nietzsche. Als der den Verstand verliert, übernimmt Oehler 1891 die Vormundschaft.

Sieglinde Vogels ist noch im Besitz einer handsignierten „Nietzsche-Bibel“. Und sie hat nach wie vor viele Bilder, die ihr Vater einst gemalt hat. „Er war Oberst, aber auch Schriftsteller und Maler, eine seltene Konstellation, nicht wahr? Meine Freundinnen wollten mich früher nie in Oberkassel besuchen, weil es bei uns wie in einer angsteinflößenden Ahnengalerie aussah“, berichtet Vogels.

Die Mutter von zwei Kindern ist immer eine begeisterte Reiterin gewesen, meist nur mit Männern erkundet sie später im Düsseldorfer Norden lebend die Wiesen und Wälder auf dem Pferd. Sieglinde Vogels ist 60 Jahre alt, als sie eine ganz besondere Einladung erhält. Bei der Steuben Parade in New York soll auf der Fifth Avenue eine Düsseldorf-Delegation im Jan-Wellem-Look mitreiten. Gesucht wird noch eine Frau, die als Anna Maria Luisa de‘ Medici verkleidet teilnimmt. Da sagt Vogels nicht Nein. Mit 82 Jahren ist sie letztmalig aus dem Sattel geklettert. „Ich hatte Arthrose, mein Pferd auch, da haben wir zusammen entschieden, aufzuhören.“

 Die Familie überraschte Sieglinde Vogels an Weihnachten mit einer Einladung in die Oper.

Die Familie überraschte Sieglinde Vogels an Weihnachten mit einer Einladung in die Oper.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Dass die 92-Jährige so schnell eine Medici-Outfit auftreiben konnte, kommt nicht von ungefähr. Sieglinde Vogels ist ein glühender Theater- und Opern-Fan, war oft in Bayreuth und jedes Jahr bei den Festspielen in Salzburg, hat Gustaf Gründgens noch auf der Bühne gesehen und die komplette Karajan-Ära miterlebt, „es war einfach nur wunderbar“, sagt die Wagner-Anhängerin.

Heute lebt Sieglinde Vogels im Haus ihrer Tochter Jutta Inden in Wittlaer, neben Mischlingshund Max sind die fünf Enkel ihr größtes Vergnügen. Zu Weihnachten hat die Familie die 92-Jährige mit einer Einladung in die Oper überrascht, es wurde „Hänsel und Gretel“ aufgeführt. „Hatte ich natürlich schon fünfmal gesehen, war aber trotzdem sehr schön“, erzählt Sieglinde Vogels, die ihr Leben gar nicht so faszinierend findet. „Ist doch nichts Besonderes“, sagt Siggi, bescheiden wie sie ist.

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