Inklusives Wohnprojekt in Kaiserswerth Im Fliednerhof bleibt niemand einsam

Kaiserswerth · Flüchtlinge, Senioren und Behinderte bilden in dem historischen Gebäude eine lebendige Gemeinschaft.

 Bei der Gartenaktion im Fliednerhof der Kaiserswerther Diakonie pflanzen Janina Veenstra, Emily (2), Vater Walter, Leonie (7) und Tobias Broghammer (v.l.) einen neuen Kirschbaum.

Bei der Gartenaktion im Fliednerhof der Kaiserswerther Diakonie pflanzen Janina Veenstra, Emily (2), Vater Walter, Leonie (7) und Tobias Broghammer (v.l.) einen neuen Kirschbaum.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Fliednerhof in Kaiserswerth war noch nie ein gewöhnlicher Wohnkomplex. Einst bot er Asyl für Frauen, die aus der Strafgefangenschaft entlassen wurden, war dann Waisenhaus, Mädchenschule, Internat und Seniorenresidenz. Auch heute verbirgt sich hinter Backsteinmauern und einem schweren Holztor eine besondere Hausgemeinschaft. In den insgesamt sechs Gebäuden leben Senioren, Geflüchtete und Familien mit Eltern mit Behinderung, inklusives Wohnen, so lautet die offizielle Bezeichnung. Über 60 Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten haben hier ihr Zuhause gefunden. Im Sommer 2018 feierte die Kaiserswerther Diakonie den Start des inklusiven Wohnprojektes. Heute ist jede einzelne der 40 Wohnungen belegt. Sie bilden eine Hausgemeinschaft, die mehr ist, als ein kurzes nachbarschaftliches Nicken im Hausflur, nämlich ein echtes Miteinander von Menschen mit ganz unterschiedlichen Ressourcen und Bedürfnissen.

Bei einer gemeinsamen Gartenaktion möchten die Bewohner den großen Garten ein wenig verschönern. In der Gemeinschaftsküche duftet es bereits nach frischem Blechkuchen. Später wird ein Kirschbaum auf der Wiese eingepflanzt und bunte Primeln warten noch darauf, umgetopft zu werden. Nach und nach treffen immer mehr Menschen auf der Terrasse ein. Die Tische füllen sich zunehmend mit Geschirr, Besteck und Kaffeekannen. Sabah Hussein kehrt gemeinsam mit einigen anderen Bewohnern das Laub des vergangenen Herbstes zusammen, im Sandkasten spielen Kinder, während die Eltern gemeinsam aufpassen. „Wem gehört das Kind hier“, ruft jemand hoch. Die Antwort folgt prompt.

Kontakt mit den anderen kommt von ganz allein, und Freundschaften entstehen  nebenbei. Die Kinder spielen und toben gemeinsam, die Mütter und ein Vater kommen beim Elternkochen in der Gemeinschaftsküche ins Gespräch und wenn eine ältere Bewohnerin es nicht zum gemeinschaftlichen Kuchenessen schafft, dann kommt das Stück Apfelstreusel kurzerhand zu ihr. Jeder kennt sich, keiner geht unter. „Vier sind in dem Haus, drei dort drüben. Insgesamt leben hier 16 Kinder“, zählt Janina Veenstra vor. „Die sind aber nicht alle von mir. Ich habe nur drei“, sagt die 36-Jährige dann und lacht.

Aus acht Nationen kommen die Bewohner, der jüngste ist ein Jahr alt, der älteste 86. Sie alle profitieren vom Zusammenleben. Die Eltern können sich untereinander austauschen, Kinder haben Ersatzgroßeltern. Und die Senioren sind nah dran, am Leben. Betreuungsangebote, wie ein ambulanter Pflegedienst und die Behindertenhilfe der Sozialen Dienste, sind in unmittelbarer Nähe. Die Initiative „Eltern nicht behindern“ hat sogar ihre Büroräume im Fliednerhof untergebracht.

Wichtig für Quartiersmanager Matthias Sandmann: Alle Pflegeangebote sind ambulant. „Wir wollen hier Hilfe zur Selbsthilfe geben.“ Banales, nachbarschaftliches Hickhack zu schlichten, dafür seien die Mitarbeiter nicht da. „Wir spielen den Ball dann zurück und sagen: Sprecht miteinander.“

Mittlerweile sind Kirschbaum und Primeln eingepflanzt, alle haben sich auf der Terrasse zusammengefunden, trinken Kaffee und essen Kuchen. „Ich bin sowieso nur wegen des Kuchens hier“, sagt der 14-jährige Jan mit einem Augenzwinkern. Auch Chris Musselman, Pastor der internationalen Kirchengemeinde nebenan, ist vorbeigekommen. „Es ist wirklich eine gute Nachbarschaft hier“, sagt der US-Amerikaner. Die internationale Gemeinde und der Fliednerhof wollen in Zukunft auch gemeinsam das Leben im Quartier gestalten: mit Straßenfesten zum Beispiel.

Direkt um die Ecke befindet sich auch das  Zentrum plus mit Freizeitangeboten für Senioren, der Fliednerhof selbst grenzt an den Kindergarten der Diakonie. In Kaiserswerth sind viele Angebote, Gemeinden, Einrichtungen auf kleinstem Raum. Netzwerken, Kontakt aufbauen, das ist die Aufgabe von Sandmann, der findet zunächst aber noch etwas anderes viel wichtiger: „Die Menschen sprechen miteinander, das ist wichtiger als die großen Dinge. Wenn einer rauskommt, bleibt er nie lange allein.“

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