Straßenumbennungen in Düsseldorf Zu Seebohm wird noch weiter geforscht

Hellerhof · Der Düsseldorfer Dietmar Erlebach, Mitglied der Sudetendeutschen Landsmannschaft, hat wegen der geplanten Straßenumbenennung einen offenen Brief an Oberbürgermeister Stephan Keller geschickt.

 Um die Frankfurter Verkehrsprobleme kümmerten sich 1965 der hessische Minister Rudi Arndt (v.l.), Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm und der Oberbürgermeister von Frankfurt Willi Brundert.

Um die Frankfurter Verkehrsprobleme kümmerten sich 1965 der hessische Minister Rudi Arndt (v.l.), Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm und der Oberbürgermeister von Frankfurt Willi Brundert.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Obwohl die Entscheidung gefallen ist, spalten sich an der Frage der Umbenennung der Hans-Christoph-Seebohm-Straße in Hellerhof weiterhin die Geister. Stadt und Politik berufen sich auf wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Seebohm, einer der Väter des Grundgesetzes und langjähriger Verkehrsminister der jungen Bundesrepublik, sich bei der Arisierung jüdischer Betriebe bereichert hat. Auch seine deutlich rechtskonservativen Äußerungen in seiner Zeit als Minister haben ihm schon zu Lebzeiten Kritik eingebracht.

Es gibt aber auch Kritik an der Entscheidung, die Seebohm-Straße als eine von zwölf Düsseldorfer Straßen umzubenennen. So verweist der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Rüdiger Goldmann aus Hellerhof, selbst aus Nordböhmen stammend, auf die herausragenden Verdienste Seebohms für die vertriebenen Sudetendeutschen. Auch seine Leistung als erfolgreicher Politiker der ersten Jahre der Bundesrepublik werde durch die Umbenennung geschmälert. Auch Anwohner aus Hellerhof teilen diese Meinung und setzen sich für einen Erhalt des Straßennamens ein, eine Leserin der Rheinischen Post schreibt in einem Leserbrief, dass ihr jedes Verständnis für die Diskussion fehle angesichts der Leistungen Seebohms für das Menschen- und Völkerrecht in seiner Zeit als Minister.

Durchgeführt wurden die Untersuchungen zu Seebohms Hintergrund von Stefanie Palm vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Sie forscht seit Anfang 2020 zum Leben und Wirken des Politikers im Rahmen einer Aufarbeitungsstudie zum deutschen Verkehrsministerium, die voraussichtlich 2024 abgeschlossen sein wird. „Ich habe bereits viele Quellen gesichtet, aber in der Forschung noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit“, erklärt Palm.

Was sie bereits herausgefunden hat, charakterisiert den 1967 verstorbenen CDU-Politiker als einen Menschen, der „sich selbst als Ingenieur verstanden hat, anders als andere Politiker seiner Zeit, die häufig Juristen waren“. Nach dem Krieg war Hans-Christoph Seebohm schnell als unbelastet eingestuft worden, auch, weil er nie Mitglied der NSDAP war. „Trotzdem war er in der Zeit des Nationalsozialismus mit Technik und Politik unmittelbar verflochten“, sagt Palm. Die Industrie, auch die Industriellenfamilie Seebohm, habe den Handlungsspielraum genutzt, den das System gab, um für sich selbst wirtschaftliche Vorteile zu erreichen.

Seebohm selbst sei als Geschäftsmann die treibende Kraft hinter der Übernahme jüdischer Betriebe gewesen, habe sich gegenüber den verantwortlichen Behörden auch rassistisch und antisemitisch geäußert – wobei unklar ist, ob dies seine tatsächliche Geisteshaltung darstellte oder aus wirtschaftlichem Kalkül heraus erfolgte. Auch habe er Kriegsgefangene in seinen Betrieben arbeiten lassen, so Palm. Schon zu Lebzeiten wurde Seebohm, vor allem aus der DDR, für seine Rolle in dieser Zeit mehrfach kritisiert. Zu dieser Zeit habe er auch mit stark rechtskonservativen Reden auf sich aufmerksam gemacht, habe bei einigen Anlässen auch die erste Strophe des Deutschlandliedes spielen lassen.

„Ob er sich persönlich an den Taten des NS-Regimes bereichert hat, ist nicht nachgewiesen“, sagt Stefanie Palm, „aber seine Unternehmungen haben auf jeden Fall von den Umständen profitiert.“ Verteidiger Seebohms führen als Argument an, dass die Übernahme arisierter Konzerne aus wirtschaftlichen, nicht jedoch als politischen Gründen erfolgt sei. Die Historikerin ist sich jedoch sicher: „Zu dieser Zeit gab es keine wirtschaftliche Entscheidung, die frei von Politik war.“

Doch dieser Forschungsstand wird nicht vollumfänglich geteilt. Verteidiger des bisherigen Straßennamens berufen sich unter anderem auf die Konrad-Adenauer-Stiftung, die auf ihrer Website Kurzbiografien bedeutender CDU-Parteimitglieder veröffentlicht, so auch von Seebohm. Dort ist dokumentiert: „Für spätere Behauptungen aus dem sowjetischen Herrschaftsbereich, er habe sich an jüdischem oder tschechoslowakischem Besitz bereichert, fehlt jeder Beleg.“ Doch auch im Archiv der CDU-nahen Stiftung werden Seebohms spätere Reden als „umstritten“ bezeichnet. Dennoch stehen nach Ansicht der Adenauer-Stiftung seine Verdienste im Vordergrund. Dietmar Erlebach ist gerade für seine zehnjährige Mitgliedschaft in der Sudetendeutsche Landsmannschaft Düsseldorf geehrt worden. Auch er sieht die geplante Umbenennung kritisch und hat einen offenen Brief an Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) geschickt, der wie Erlebach sagt, ja Parteifreund von Seebohm ist. Auch er bezieht sich darauf, dass das Konrad-Adenauer-Archiv dem Politiker nichts habe nachweisen können. Aus seiner Sicht werde bei der Umbenennung „mit zweierlei Maß gemessen“: „Warum wird dann nicht auch die Wilhelm-Kreis-Straße umbenannt?“ Kreis habe unter Hitlers Protegé Albert Speer, etwa an den Monumentalanlagen für die geplante „Welthauptstadt Germania“ mitgearbeitet.

Stefanie Palm weist darauf hin, dass die Seebohm-Forschung noch nicht abgeschlossen ist: „Ich würde zum jetzigen Zeitpunkt vorsichtig sein, ihm ein Unbedenklichkeitslabel zu geben.“ Sie kann zwar die Würdigung seiner Leistungen als Minister und für die Belange der Vertriebenen nachvollziehen, äußert aber auch ihre persönliche Meinung: „Jemand, der aktiv von der Enteignung jüdischer Unternehmen profitiert und sich später so deutlich rechtskonservativ gezeigt hat, ist als Namensgeber für eine Straße nicht tragbar.“ Dieser Ansicht ist auf Basis unter anderem von Palms Arbeit auch die Expertenkommission der Stadt Düsseldorf. Daher ist es nach aktuellem Stand unwahrscheinlich, dass der Protest aus der Anwohnerschaft etwas daran ändert, dass die Hellerhofer Hans-Christoph-Seebohm-Straße bald einen anderen Namen tragen wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort