Düsseldorfer Kabarett Unter freiem Himmel wird wieder reiner Tisch gemacht

Düsseldorf · Seit mehr als 22 Jahren macht Frank Küster montags „reiner Tisch“. Längst gehört sein Kabarett-Konzept zu Düsseldorfs Kulturprogramm. Die Rückkehr aus dem Lockdown führt den Tisch aber auf eine neue Bühne.

Zu Gast bei Reiner Tisch Anka Zink an der Rennbahn. Foto: Anne Orthen

Zu Gast bei Reiner Tisch Anka Zink an der Rennbahn. Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Renè Steinberg kommt mit dem vielleicht breitesten Lächeln, das die Welt je gesehen hat auf die Bühne. „Menschen, richtige Menschen! Wie habe ich Euch vermisst“, begrüßte der „Reiner Tisch“-Stargast glückselig die gut 150 Zuschauer vor der Open-Air-Bühne auf der Galopprennbahn. „In den letzten Monaten habe ich mir gedacht: ‚Wir werden es überleben, und am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht am Ende“, philosophierte der komödiantische Kabarettist, der als Pandemie-Trostpflästerchen auch in Autokinos gespielt hatte. „Da hupen dich Autos an. Das hat mich irritiert“, so Steinberg. „Jetzt spiele ich wieder live vor echten Menschen. Das ist fast zu schön, um wahr zu sein. Echte Menschen, echte Geräusche, das ist unfassbar.“

Umgekehrt war es genauso. Die humor-kulturell ausgehungerte „Reiner Tisch“-Fangemeinde gierte nach jedem noch so flachen Gag und applaudierte ausdauernd. Darauf waren sie bestens vorbereitet, denn Ex-Kommödchen-Ensemblemitglied Anka Zink hatte in ihrem Kurzauftritt einen Applaus-Auffrischungsschnellkurs gegeben. Zuvor hatte Gastgeber Frank Küster bereits für Politisch-Satirisches, Bissiges, Ironisches, Albernes, Hirnrissiges und Dämliches gesorgt. „Einige Kollegen haben das Brot des Künstlers, den Applaus so vermisst, die haben in allen Balkonkästen Klatschmohn gepflanzt“, kalauerte Küster.

Seit November 1998, also seit mehr als 22 Jahren, tritt Frank Küster jeden Monat aufs Neue den Beweis an, dass ihm auch zu den seltsamsten Politikeridee, zur peinlichsten sportlichen Blamage regionaler oder überregionaler Mannschaften, zum dämlichsten Showsternchen, zur überflüssigsten wissenschaftlichen Erkenntnis und zum schlechtesten Wetter noch etwas Witziges einfällt. Jedenfalls theoretisch, denn auch Küster wurde mit seinem Showformat „Reiner Tisch“ durch den Lockdown in monatelange Auftritts-Zwangsquarantäne geschickt. Die versuchte er u.a. als „Coronavirus und Mutantendarsteller“ in Videostreams psychisch möglichst verlustfrei zu überbrücken.

An seinem Schaukonzept u.a. mit „Open Spot“ (Kurzauftritt eines Gastkünstlers), Stargast, „Jub der Woche“ (Geburtstag oder Jubiläum einer bekannten Person oder Ereignisses), „Hit aus der Vorzeit“ alles musikalisch untermalt von der zwei Musiker starken „Original-Reiner-Tisch-Kammer-Bigband“ hat Küster auch während seiner „arbeitsfreien Zeit“ nichts geändert. So begrüßte er sein Publikum mit einem „frohes neues Jahr“, denn üblicherweise gehört das zu den ersten Sätzen des ersten reinen Tisches eines jeden Jahres.
Und dann war er bereits mitten drin im normalen Tagesgeschehen und zeigte in gewohnt pointierter Weise  Seiten des Alltäglichen auf, die „Otto Normalverbraucher“ normalerweise nur beiläufig zur Kenntnis nimmt. Küster hingegen macht sich Gedanken, und kommt  immer wieder auf Witziges. So bekamen u.a. auch die Kanzlerkandidaten ihr Fett weg. „Nach all den Jahren Merkel fände ich es mal schön, wenn endlich eine Frau an die Regierungsspitze käme“, witzelte Küster. „Wenn ich mir vorstelle, dass ein anderer der Kandidaten die Neujahrsansprache hält, da weiß ich gar nicht, ob ich bis Mitternacht wieder wach werde.“

Abräumer des Abends war aber René Steinberg. Der bekennende Ruhrgebietsmensch, ausgebildeter Germanist, gelerntes Radiogesicht, passionierter Bühnentiger, Autor, Leser, Philantrop, Powergriller, Schwatzgelber, Erzähler, Beobachter, Zuhörer, Mettbrötchen-, Camus- und Elvis-Fan schlug jeden mit seiner unbändigen Spielfreude, dem geschliffenen Wortwitz, den allgemein nachvollziehbaren Alltagssituationen, seinen wahrlich nicht perfekten Tanzdarbietungen und seinen Familiengeschichten in den Bann.

„Noch 2020 waren wir fast alle die besten Fußball-Bundestrainer. Jetzt haben alle umgeschult auf Virologe“, so Steinberg. „Es ist ja ein wahrer Satz: In der Krise zeigt sich der wahre Charakter. Aber ich hätte nie gedacht, dass so viele Verschwurbelte unterwegs sind. Diese Experten haben vielleicht 30 Minuten die Youtube-Akademie besucht und meinen mehr zu wissen als Professor Drosten und Karl Lauterbach. Das sind Experten, die haben sich jahrelang mit dem Thema Virus beschäftigt.“

Als durch donnernden Applaus und Zwischenrufe die Zugabe gefordert wird, strahlt Steinberg übers ganze Gesicht und haut noch ein paar Gags raus, wie bspw. Ich bin ja Germanist, also einer der gern ma‘ isst“ oder „Humor ist ein Wutdrucksenker“. So kam er nicht umhin bei der Verabschiedung ein Selfie von sich und der jubelnden Menge zu machen. „Es war mir ein großes Vergnügen, es war total schön“, bilanzierte Steinberg abseits der Bühne. „Ich habe gemerkt, wie sehr ich die Auftritte brauche. Das Live-Erlebnis mit dem Unvorhersehbaren, ich liebe es.“ Genauso wie das „Reiner Tisch“-Publikum.

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