Traditionshandwerk in Düsseldorf-Gerresheim Ein geniales Geflecht

Gerresheim · In Gerresheim existiert der letzte Meisterbetrieb der Korbflechter – der sich gegen billige Massenprodukte aus Fernost behauptet. Die alte Tradition ist Kulturerbe der Unesco.

Traditionshandwerk - Korbflechter in Düsseldorf-Gerresheim
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Traditionshandwerk - Korbflechter in Düsseldorf-Gerresheim

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Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Jede Technik wird irgendwann durch eine Innovation verbessert: Weiterentwicklung treibt die Welt voran. Aber es gibt Erfindungen, die verweigern sich dem Motor der Moderne. Da gilt das Gesetz: „Das haben wir immer so gemacht. Besser geht's nicht." Basta. Dieses Bekenntnis lässt sich kaum irgendwo besser überprüfen als im alten Kern von Gerresheim, wo Körbe geflochten werden fast wie vor tausenden Jahren. Lag nicht Moses schon in biblischen Zeiten in einem Weidenkörbchen? Und überlebte im genialen Geflecht.

Ben (7) bringt die Kunst auf einen simplen Nenner: „Es geht immer hoch und runter." Seit er laufen kann, hat der jüngste Spross der Familie Turrek Mutter Julia und Großmutter Angelika bei der Arbeit zugeschaut. Und dabei die Techniken des Flechtens erlernt, dieses Ineinanderschlingen, das manchmal ein sechs- oder auch ein achteckiges Muster erscheinen lässt. Geeignet ist dazu alles, was sich biegen lässt: Weidenzweige (die in der Badewanne drei Wochen gewässert werden), Bast, Bambus, Rattan und Palmblätter. Die beiden Frauen von „Korb-Binder" leiten den wohl letzten Meisterbetrieb in Düsseldorf – eine aussterbende Zunft im Kunststoff-Zeitalter?

Wohl eher eine, die sich als Überlebenskünstlerin beweist. Zwar sind die goldenen Zeiten dieses Traditionshandwerks vorüber. Die Blütezeit in den 1950er und 1960er Jahren, als Firmengründer Max Binder, Großvater von Julia, eine große Werkstatt mit zehn Mitarbeitern führte. Seine Ideen überflügelten das Format seiner Wäschekörbe – und wurden bühnenreif. So lieferte er fürs Düsseldorfer Schauspielhaus ganze Bühnenbilder aus Rattangeflecht. Schon damals galt: Kunst kommt von Können.  

Und doch: Korbflechten ist vor allem ein Handwerk für den Alltag. Im Gerresheimer Geschäft findet sich all das, was sich aus einem Geflecht formen lässt: Körbe für Hunde, das Fahrrad, die Wäsche, den Einkauf – vom Winzling in Puppenstubenformat für zwei Euro bis zum stattlichen Exemplar, in dem ein Baby bequem schläft für 200 Euro. Alles handgemacht und aus der eigenen Werkstatt? Nicht ganz. Denn ohne Importware, die unschlagbar im Preis ist, kommt auch ein Traditionsbetrieb nicht mehr aus. Aber „Made in Taiwan" wird man hier nicht finden, dafür Einkaufstaschen aus Ghana und Kenia, von Frauen gefertigt und fair gehandelt. Außerdem Waren aus Osteuropa, dort werden die Körbe zwar auch per Hand gefertigt, aber im Akkord – und sehen alle gleich aus. „Aber für 18 Euro können wir nun mal keinen Einkaufskorb fertigen", meint Julia Turrek. Und zeigt zum Vergleich ihre eigenen, die das Dreifache kosten, allerdings auch unverwechselbare Unikate sind. Wie auch ihre Flechtarbeiten, die sie mit einem Griff aus knorriger Korkenzieherweide ziert oder mit einem Rentiergeweih – Objekte jenseits der Allerweltsware.

Obwohl Julia Turrek jedem einen Korb gibt: Zu 90 Prozent besteht die Werkstattarbeit heute aus Restaurierung. Ob kaputte Sitzflächen von Stühlen oder rissige Babykörbe, die 30 Jahre auf dem Speicher missachtet wurden und nun für die nächste Generation wieder hergerichtet werden. Die Nachfrage steigt, inzwischen muss man schon mal bis zu drei Monate auf ein restauriertes Stück warten. Überhaupt entdecken immer mehr Menschen den Wert der alten Handwerkskunst wieder. „Es wächst doch bei vielen eine Abneigung gegen Kunststoff", hat Julia Turrek beobachtet.

Und Kunst kann sie auch – fast wie Großvater Max: Im Auftrag der Künstlerin Paloma Varga Weisz hat sie für deren Masken aus Ton Körper geflochten. Im vergangenen Jahr waren diese Objekte in einer Ausstellung auf der Raketenstation (Museumsinsel Hombroich) zu sehen „und vorher in Norwegen und in New York“. Also, alles gut? Nicht ganz, die Turrek-Frauen bekümmert, dass „der Korb keine Lobby hat". Dass viele Kunden nur auf den Preis schauen und dann eben irgendwo einen Brotkorb aus Fernost kaufen für 2,95 Euro. „Solche Importe machen die Preise kaputt", außerdem wüsste ja niemand, dass die mit Gas besprüht würden, bevor sie auf den Transport geschickt werden.

Mit solchen Fragen musste sich Großvater Max nicht beschäftigen, als er vor über 80 Jahren das Geschäft gründete. Wird die nächste Generation den Betrieb übernehmen? Ben, der siebenjährige Ur-Urenkel des Gründers, schüttelt energisch den Kopf. Seine Zukunftspläne sind nicht aus Korb geflochten: „Ich werde Chemie-Professor." Ob es auch damit zu tun hat, dass der Beruf heute Flechtwerkgestalter heißt? Die Unesco ließ sich von solchen Begriffen nicht irritieren, sie hat 2016 das alte Kunsthandwerk als Kulturerbe geadelt.

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