Friedrichstadt Bücher gegen Höchstgebot

Friedrichstadt · Die letzten Bestände des Stern-Verlags kommen bis heute Nachmittag unter den Hammer. Buchliebhaber und Händler sicherten sich gestern bereits Reste aus dem Antiquariat - teilweise mit sehr speziellem Interesse.

 Auktionator Wolfgang Huste bringt die letzten Waren des Stern-Verlags unter den Hammer.

Auktionator Wolfgang Huste bringt die letzten Waren des Stern-Verlags unter den Hammer.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Eckhard Lehmann (73) hat sich einen Traum erfüllt, und doch hat er plötzlich Tränen in den Augen. Fünf Jahre lang hat er sich immer wieder die wertvollen Bücher in der Vitrine mit den "Gesuchten Ausgaben" angeschaut, gelegentlich auf ein einzelnes Exemplar gespart. Eben hat er 40 der Bände zusammen zum Schnäppchenpreis von 70 Euro ersteigert. Es sind alte Bücher von der Firma Liesegang, einem Pionier der Projektortechnik. Der pensionierte Lehrer aus Köln will sie für seine Sammlung zur Medientechnik haben.

 Guillaume ist extra aus Straßburg angereist. Er besitzt jetzt einen historischen Band über antike Liebeslyrik - und einen ganzen Bücherstapel mehr.

Guillaume ist extra aus Straßburg angereist. Er besitzt jetzt einen historischen Band über antike Liebeslyrik - und einen ganzen Bücherstapel mehr.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Während er noch daran denkt, dass er sich gerade einen Herzenswunsch erfüllt hat, fällt ihm aber der Anlass ein. 50 Jahre lang war er Kunde beim Stern-Verlag, heute ist es sein letzter Besuch. Lehmann wird kurz melancholisch.

 Eckhard Lehmann freute sich über 40 Bücher zur Firma Liesegang, die er für seine Sammlung zur Technikgeschichte haben wollte.

Eckhard Lehmann freute sich über 40 Bücher zur Firma Liesegang, die er für seine Sammlung zur Technikgeschichte haben wollte.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

So ging es vielen Besuchern gestern in dem Traditionsbuchladen, der heute wirklich zum letzten Mal geöffnet hat. Im Erdgeschoss finden sich bereits fast nur noch leere Regale und ein Stapel Perserteppiche, im Antiquariat im ersten Stock kommen die letzte Ware und das Inventar unter den Hammer.

Auktionator Wolfgang Huste muss eine lange Liste abarbeiten. Zu ersteigern gibt es eine Bibel von 1657 und ein kolumbianisches Tongefäß, Kupferdrucke und Eisenregale, Kochbücher, Vitrinen, Gemälde, ein Reisgefäß und ein Wasserspiel. Und sehr vieles mehr. Auf Hunderte Nummern sind die letzten Reste der Buchhandlung verteilt. Darunter natürlich unzählige Bücher, und vor allem für die sind beim ersten Auktionstag gestern viele Händler und Liebhaber gekommen. Der Auktionator hat größere Konvolute zusammengestellt und hofft auf gute Einnahmen. "Das ist was für die Herren-Ecke dahinten", sagt er, als er eine Sammlung von 31 Eisenbahn-Büchern aufruft - und auch die finden einen neuen Besitzer.

Eine Frau hat gerade 16 Bücher über den Zirkus Barum ersteigert, weil ihre Ururgroßmutter eine Seiltänzerin war und sie mehr über die bunte Vergangenheit ihrer Familie wissen will. Eine studierte Sinologin liebäugelt derweil mit einem Regalmeter asiatischer Wörterbücher, aber geht dann schließlich ohne Kauf, weil die Bücher bei näherem Hinschauen doch nichts sind. Eine Ärztin nennt jetzt eine große Sammlung historischer Medizinbücher ihr Eigen. Sie hat schon die Wälzer für ihr Studium im Stern-Verlag gekauft und findet es sehr komisch, dass diese Institution an der Friedrichstraße jetzt verschwunden ist. Eine andere Kundin ist derweil an einem Aquarell interessiert. "In letzter Zeit habe ich viel im Internet gekauft", sagt sie, und das klingt, als würde es ihr jetzt Leid tun.

Guillaume (30) nimmt einige Rätsel mit auf die lange Fahrt nach Hause. Er ist extra mit dem Linienbus aus Straßburg angereist. Der Student kennt den Stern-Verlag, weil er mal Erasmus in Bochum gemacht hat. Er hatte auf Philosophie-Klassiker zum Schnäppchen-Preis gehofft, hat dann aber etwas ganz anderes ersteigert: ein 1920 gedrucktes Büchlein über erotische Lyrik der Antike, verfasst in seiner Muttersprache Französisch.

Um es zu erwerben, musste er ein ganzes Paket kaufen - und ist für 33 Euro jetzt um etliche historische Bände reicher, die allerdings auf Deutsch verfasst sind. Er hat noch nicht mal die Titel nachgeschaut. Fasziniert schaut Guillaume in ein handgeschriebenes Tagebuch, das jetzt ihm gehört. "Ich kann das nicht mal entziffern."

(RP)
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