Chef des Restaurants Tafelsilber Das ist Pedro Schmidt

Düsseldorf · Heimkind, Hauptschüler, Barkeeper, Restaurantchef – das ist die Karriere von Pedro Schmidt, Geschäftsführer des Restaurants Tafelsilber in Flingern. Seine Mission: die Menschen verstehen – und ihre Bedürfnisse befriedigen.

 Pedro Schmidt ist der Chef des Restaurants Tafelsilber in Düsseldorf-Flingern.

Pedro Schmidt ist der Chef des Restaurants Tafelsilber in Düsseldorf-Flingern.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Pedro Schmidt lauscht und schaut. Dreht an Reglern. Lauscht und schaut wieder. Er steuert eine komplexe Maschinerie, womit einerseits das Mischpult gemeint ist, mit dem er – sagt er – jeden Lautsprecher in seinem riesigen Restaurant einzeln ansteuern kann, dazu die vielen LEDs, deren Lichtfarbe und Helligkeit sich steuern lassen. Andererseits könnte man sagen: Der ganze Laden ist eine riesige Maschine mit tausend Teilen, und das Mischpult ist nicht mal das heikelste. „Der Mensch“, sagt Pedro Schmidt, „der Mensch ist das komplizierteste Wesen, das es gibt.“

Da wären die knapp drei Dutzend Menschen, die er angestellt hat, damit sein Restaurant – das Tafelsilber in Flingern – läuft. Jeder bringt ein ganzes Leben mit an seinen Arbeitsplatz, Freude und Frust, gute Laune und schlechte. „Wenn der Spüler einen schlechten Tag hat“, sagt Schmidt, „dann gibt es keine Teller. Und dann?“ Da wären aber auch die bis zu 200 Menschen, die in diesem umgebauten Güterbahnhof in Flingern, um die Ecke von Jobcenter und Metro-Zentrale, Platz finden. Die essen, trinken, reden, rauchen, flirten, sich darstellen, sich die Nase pudern, vielleicht sogar tanzen wollen. Und dafür gar nicht mal so wenig Geld ausgeben.

Mit anderen Worten: Pedro Schmidt hat sich die fast unmögliche Aufgabe gestellt, diese vielen Menschen zufriedenzustellen. Seine Angestellten, sicher, aber vor allem auch all die anderen, die zu ihm kommen. Na und? „Ich mag Menschen“, sagt er. „Ich bin gerne Gastgeber. Das liegt mir.“ Er ist groß und bewegt sich langsam, wie jemand, der gelernt hat, mit seinen Kräften zu haushalten. Als er mit vier Partnern das Tafelsilber eröffnete Ende 2011, seien seine Tage 16 bis 18 Stunden lang gewesen. Inzwischen arbeitet er mal sechs, mal zehn Stunden, je nach Bedarf. Im Jahr 2013 stiegen die Partner aus – dem Vernehmen nach nicht ganz im Frieden. Seitdem schmeißt er den Laden alleine.

„Ist nicht einfach“, sagt er. „Das Restaurant ist sehr groß. Ich brauche täglich so 120, 130 Gäste, damit alles easy funktioniert. Die hat man aber nicht immer. Manchmal haben wir 60 Reservierungen, manchmal 150. Es gibt keine Regeln. Wir brauchen aber immer einen gewissen Personalstamm, um das zu managen.“ Täglich über hundert Gäste, das heißt auch: potenziell über hundert Menschen, die ihre Begeisterung und ihren Unmut bei Facebook, Twitter, Google, Yelp oder Tripadvisor äußern. Woraufhin wiederum Menschen ihre Abendgestaltung davon abhängig machen, was ihnen entgegenkommt, wenn sie „Tafelsilber Düsseldorf“ googeln. 4,1 von 5 Sternen bei Google, 4,3 bei Facebook und Opentable, 3,5 bei Yelp und Tripadvisor. „Klar, 4,7 wären mir lieber“, sagt Pedro Schmidt. „Aber der Deutsche an sich ist ja so: Er geht hin, er isst, er sagt nichts. Dann geht er nach Hause und meckert.“ Ihm wäre lieber, die Leute würden direkt etwas sagen. Aber Menschen sind halt kompliziert.

Heute, als Erwachsener, sagt sich das so einfach. Als Teenager nicht. Pedro Schmidt, Chaoskind. Ärger auf drei verschiedenen Grundschulen. In der achten Klasse vom Goethe-Gymnasium geflogen. Die Realschule wollte ihn auch nicht haben. Also Hauptschule. Die große Unterforderung. Und warum das alles? „Ich war immer der einzige Farbige auf der Schule“, sagt Schmidt. „Außer mir gab es vielleicht noch ein oder zwei Ausländer. Es gab immer Scherereien. Immer Beleidigungen.“ Und Prügeleien. Stress.

Eine Kindheit, die im Kinderheim begann. Schmidts leiblicher Vater war Ghanaer, zum Jurastudium in Deutschland. Seine Mutter hatte schon eine Tochter von einem anderen Mann und gab ihn direkt nach der Geburt zur Adoption frei. Als er zwei war, nahm ihn ein junges Paar zu sich, das ein Geschäft für kreatives und Lernspielzeug an der Immermannstraße führte. „Viel Holz. Nicht dieser Plastikscheiß“, sagt Schmidt. Er klingt sehr stolz. Eigentlich sei seine Kindheit gut gewesen. Wenn man von den Scherereien in der Schule mal absehe. Er hat eine Adoptivschwester und vier leibliche Schwestern, mit denen er mittlerweile auch wieder Kontakt hat. Gerade ist seine erste Tochter zur Welt gekommen, seine Lebensgefährtin hat ein weiteres Kind mit in die Beziehung gebracht.

Pedro Schmidt setzt seine Brille auf und entlockt der riesigen Kaffeemaschine hinter dem Tresen des Tafelsilber zwei Heißgetränke, perfekt serviert mit Keks. Er hat jahrelang gekellnert. Angefangen hat er damit aber erst, als er eigentlich schon voll berufstätig war. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Kaufmann für Licht- und Tontechnik. Anlagen basteln, verkaufen, einbauen. So kommt man rum – in die Privathäuser reicher Kunden, aber auch in viele Kneipen, Restaurants und Diskotheken. Schmidt fing an, sich für Gastronomie zu interessieren. „Einer meiner Arbeitskollegen hatte eine Diskothek, das Remix in Ratingen. Da habe ich dann an den Wochenenden in der Bar angefangen. Ich war schon immer ein Arbeitstier. Mehr Geld verdienen ist immer cool.“

Später wechselte er nach Düsseldorf. Sieben Jahre stand er im Tor 3 hinter der Bar, dann leitete er bis 2000 den legendären Club La Rocca. Dann ein radikaler Schnitt: eine Weiterbildung zum Versicherungskaufmann. „Ich finde das immer noch sehr interessant, eine sehr coole Sache“, sagt Pedro Schmidt, und man überlegt kurz, ob er das wirklich ernst meinen kann, dieser Mann des glamourösen Nachtlebens. Versicherungen verkaufen? Wirklich? „Man muss dabei Menschen für etwas begeistern, was nicht fassbar ist“, sagt er. „Man weiß nicht, ob man die Erträge aus so einer Lebensversicherung selbst erleben oder brauchen wird, und man gibt Geld für etwas aus, das man nicht anfassen kann. Psychologisch ist das doch hochinteressant.“ Wenn er etwas erklären will, das ihm wichtig ist, spricht er auf einmal schnell, lässt sich nicht unterbrechen. „Aber Deutschland war nicht bereit für einen farbigen Versicherungsmakler. Du rufst irgendwo an als Herr Schmidt, kriegst einen Termin, und wenn die Leute die Tür aufmachen, fällt ihnen alles aus dem Gesicht.“ Er sagt das in größter Gelassenheit.

Also zurück ins Nachtleben, wo die Menschen sich nicht an seiner Hautfarbe stören. Schmidt kellnerte einige Jahre, zuletzt im Mangold in Derendorf, als die Gelegenheit kam, auf die er gewartet hatte: ein eigener Laden mit Kollegen. Das Tafelsilber. Ein alter Güterbahnhof sollte eigentlich ungemütlich wirken. Pedro baute die großen Deckenlampen so um, dass man ihr Licht dimmen kann. Dann baute er bunte LEDs ein, warme Farben wie Gold, Orange, Rot. „Sonne, schönes Wetter, Gemütlichkeit“, sagt er. „In blauem oder grünem Licht sieht das Fleisch auf dem Teller sehr unansehnlich aus – und die Haut der Gäste, besonders weiße Haut, auch.“ Faktor zwei: Musik. Die hört Pedro Schmidt sowieso, wo er geht und steht – „außer, wenn ich schlafe“. Im Restaurant kommt es auf das richtige Verhältnis an. „Nicht zu leise, aber auch nicht so laut, dass ich mich anschreien muss.“ Vorne an der Bar etwas lauter. Hinten in den Nischen etwas leiser, für die Gäste, die Intimität oder Ruhe suchen.

Wenn ihn etwas nervt, dann Details, die nicht stimmen. Er sagt, dass er inzwischen deshalb nicht mehr ausflippt. Früher sei das anders gewesen. Er habe das erst ablegen können, nachdem er über Jahre mit einem guten Freund, einem Psychologen, lange Gespräche geführt habe: „Selbstfindungsgespräche auf eigenen Wunsch.“

So wirkt der Mann, dessen Beruf es ist, andere zufrieden zu machen, inzwischen ganz glücklich. Auch wenn er zugibt, dass es eine Sisyphusarbeit ist: Jeden Tag neue Gäste bewirten, reagieren, die Maschine am Laufen halten: „Einschränken kannst du dich nur selbst.“

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