Holthausen Ein verschlafener Mini-Kosmos

Holthausen · Noch ist der Umbau des Reisholzer Hafens in einen Umschlagsplatz mit modernsten technischen Standards ein Traum. Für die Verwirklichung braucht es Zeit und zwischen 150 und 250 Millionen Euro. Die Anwohner würd's freuen. Die Künstler sehen die Entwicklung mit Sorge; wurden sie mit ihren Ateliers doch schon einmal aus einem Hafen vertrieben.

 Anja Diegelmann (li.) und Heike Seidel haben sich mit dem Henkelmann Deluxe einen Traum erfüllt.

Anja Diegelmann (li.) und Heike Seidel haben sich mit dem Henkelmann Deluxe einen Traum erfüllt.

Foto: Boris Schmidt

Jeden Tag fährt Helmut Janosch auf seinem Motorroller die Reisholzer Werftstraße entlang bis zum Rhein, um zu schauen, "wie viel Wasser dieser gerade führt". Der 59-Jährige hilft in einer kleinen Auto-Werkstatt neben dem Imbiss an der Hausnummer 11 aus, in dem der Kunde futtern kann wie bei Muttern, wie es die Werbetafel verheißt. Dort ist um die Mittagszeit gerade Hochbetrieb. Die Currywurst verlässt im Minutentakt den Grill.

 Helmut Janosch lebt nur wenige hundert Meter entfernt vom Rhein. Er fährt jeden Tag zur Ufermauer, um zu schauen, wie hoch der Rhein aktuell steht. Die Abwärts-Entwicklung des Reisholzer Hafens in den vergangenen Jahren verfolgt er mit Wehmut.

Helmut Janosch lebt nur wenige hundert Meter entfernt vom Rhein. Er fährt jeden Tag zur Ufermauer, um zu schauen, wie hoch der Rhein aktuell steht. Die Abwärts-Entwicklung des Reisholzer Hafens in den vergangenen Jahren verfolgt er mit Wehmut.

Foto: Boris Schmidt

Ein paar Meter weiter rüsten sich in den Rheinhöfen Anja Diegelmann und Heike Seidel für das bei ihnen gerade erst beginnende Mittagsgeschäft. Im Henkelmann Deluxe steht Gemüse-Erdnusstopf auf der Tageskarte. Vegetarisch, eine Portion für vier Euro. Natürlich — passend zum Namen — auch zum Mitnehmen. Die beiden Düsseldorferinnen werden immer wieder mal darauf angesprochen, ob die Nähe zu Henkel Namensgeber ihres Bistros war. "Nein", sagt Anja Diegelmann und lacht. Als die beiden Freundinnen im Juli 2010 den Laden in den Rheinhöfen aufgemacht haben, sah der Plan zunächst vor, echte Henkelmännchen auszugeben. Doch die Variante auf Styropor ist einfach weniger umständlich.

 In der ehemaligen Hafenkneipe fließt schon lange kein Alt mehr.

In der ehemaligen Hafenkneipe fließt schon lange kein Alt mehr.

Foto: Boris Schmidt

Sie sind zufrieden mit ihrem Standort, den sie mit Bedacht auswählten, auch wenn er für Ortsunkundige kaum zu finden ist. "Wir haben zuvor bei den Firmen eine Umfrage gemacht, ob Bedarf da ist für so was wie uns." Die Ausbaupläne für den Hafen finden sie positiv, könnte das doch noch mehr Kunden bringen. Denn im Laufe noch dieses Jahres verlässt die Firma Ecolab mit rund 600 Mitarbeitern die Werftstraße Richtung Monheim. Im Internet steht es zur Vermietung.

 Hiroyuki Masuyama hat sein Atelier mit Werkstatt in dem Künstlerhaus an der Reisholzer Werftstraße. Dort fertigte er auch die Weltall-Kugeln.

Hiroyuki Masuyama hat sein Atelier mit Werkstatt in dem Künstlerhaus an der Reisholzer Werftstraße. Dort fertigte er auch die Weltall-Kugeln.

Foto: Boris Schmidt

Derweil braust Helmut Janosch auf seinem Roller über die Werftstraße. Der 59-Jährige würde sich freuen, wenn das Areal zu einem modernen Umschlagsplatz ausgebaut würde. Die Planungen sehen einen Hafen mit modernsten technischen Standards vor. Dabei wird auf geräusch- und emissionsarme Technologien wie vollelektrische Krananlagen und Fahrzeuge gesetzt. Wenn Janoschs Blick auf den einzig übrig gebliebenen Kran fällt, wird er wehmütig: "Das sah hier in den 70-er Jahren ganz anders aus. Da war hier richtig was los."

Wie auch in der Hafenkneipe an der Ecke zur Uferstraße, in der schon seit Jahren kein Schlösser-Alt mehr ausgeschenkt wird. Die Tür ist zugemauert, die alte Gaslaterne davor hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Doch es gibt sie, die Mieter hinter dem braunen Gemäuer, verrät der Blick auf die Klingelschilder. Ein altes, braunes Haus sozusagen am Ende der Welt und das mitten in der vom Trubel und Hektik beherrschten Landeshauptstadt. Die Uhren ticken anders als ein paar Kilometer rheinabwärts im Medienhafen und an der Promenade. Weder Schlipsträger noch Ausflügler verirren sich in diese am Rhein endende Sackgasse. Einzige Ausnahme: Wenn in der Stadt die Veranstaltung "Kunstpunkte" ist, bei denen Kulturschaffende ihre Ateliers für Besucher öffnen. In dem Haus Reisholzer Werftstraße 75-77 haben sich die Künstler des Vereins "Kunst im Hafen" vor nunmehr zehn Jahren niedergelassen. 1996 mussten sie im Medienhafen den Gehry-Bauten weichen. Droht ihnen nun der neuerliche Verlust ihrer Ateliers und Werkstätten, wenn der Reisholzer Hafen aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden soll?

Eine Frage, die auch die Hafenplaner von Stadt, Industriekreis und den Neuss-Düsseldorfer Häfen noch nicht beantworten können. "Wir wissen derzeit noch gar nicht, wo genau was hinkommen könnte", sagt Ralf Schopp, bei den Neuss-Düsseldorfer-Häfen für Sonderaufgaben zuständig. Sein Arbeitgeber ist Vermieter des Künstlervereins. Mit dem Vorstand habe es schon das erste Gespräch gegeben, berichtet Schopp im Gespräch mit unserer Zeitung. Doch weil man sich noch am Anfang aller Planungen befinde, könne man noch nichts Genaueres sagen.

Nur so viel: "Wir reden von einer Zeitschiene für die Umsetzung von fünf bis zehn Jahren plus x", unterstreicht Andreas Bruns vom Industriekreis und Geschäftsführer bei Henkel. Eines der wenigen Unternehmen, die den Wasserweg vor der Haustür jetzt schon nutzen. Der Ausbau des Hafens soll in Modulen betrieben werden. "Aber es werden nicht kurzfristig Bagger anrücken. Es bleibt allen noch genügend Zeit." Bruns optimistische Prognose: In drei Jahren fällt der Startschuss.

Der erste Schritt dafür: die Gründung einer Projektgesellschaft, die in den nächsten Wochen erfolgen soll. Zum Jahresende könnte sie ihren Betrieb aufnehmen und als Erstes die Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Denn schon jetzt ist klar, dass sich in dem von Menschen verlassenen Areal Zauneidechsen und Schwarzkehlchen angesiedelt haben. Da keiner der Hafen-Planer solch ein Desaster erleben will wie Bayer mit seiner von Anwohnern bekämpften CO-Pipeline, sollen alle von Beginn an mit auf die Reise genommen werden. Die Fraktionen im Bezirk (im Februar) und im Rat (am vergangenen Dienstag) wurden bereits informiert. Am Montag sind die Bürger eingeladen. Immerhin geht es um eine Investitionssumme von 150 bis 250 Millionen Euro. Wo das Geld herkommen soll, steht derzeit noch in den Sternen. "Ohne Fördermittel geht es nicht", sagt Schopp. Für Bruns aber alles andere als herausgeschmissenes Geld: "Das Handelsvolumen, das über den Wasserweg transportiert wird, wird stark zunehmen. Und NRW benötigt dringend zusätzliche Hafenfläche." Bruns' Vision: Vom Reisholzer Hafen aus gehen Waren in alle Welt.

In dem Künstleratelier von Hiroyuki Masuyama kann man jetzt schon Weltreisen — wenn auch der besonderen Art — unternehmen. An der Wand hängt ein schmales, langgezogenes Foto, das seine Flug-Reise von Düsseldorf nach Mailand widergibt. Alle 20 Sekunden hat er über den Wolken schwebend durchs Fenster eine Aufnahme vom Erdboden gemacht. Am Rechner verband er all die tausend Einzelbilder zu einem Einzigen. In der Kunsthalle Gießen zeigte der 43-Jährige sogar seine auf gleiche Art festgehaltene Reise um die ganze Welt: ein Foto, 27 Meter lang und 40 Zentimeter hoch.

Der Japaner schätzt die Atmosphäre im Reisholzer Industriegebiet. Sie gibt ihm Inspiration: "Für Künstler ist es gut, wenn die Umgebung nicht so sauber und steril ist. Daraus entwickelt sich eine unglaublich starke Kraft", wünscht er sich, dass Kunst und moderner Verkehrsknotenpunkt sich nicht gegenseitig ausschließen werden. Diese Kraft spiegelt sich in seinen Werken wider. Wer einmal in die 1,80 Meter hohe, aus 2820 Einzelteilen aus Kirschholz zusammengefügte Holzkugel schlüpfte, um von dort einen Blick in die Unendlichkeit zu werfen, schaut zugleich in sich selbst hinein. Aus 30 000 angeordneten winzigen, durch die Holzhaut gebohrten Löcher strömt Licht in das dunkle Innere. Ein verwunschener Ort — wie (noch) der Reisholzer Hafen, der aber eigentlich in Holthausen liegt.

(RP)
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