Alternative Kultur Eine Insel für die Subkultur

Bilk · Nahe des Südfriedhofs haben einige Großstädter 2005 die „Datscha“ gegründet – ein Ort für Kultur und Kinder, Schnecken-Rennen und Baumhaus-Dinner. Doch die Tage der Idylle sind gezählt, die Stadt will dort bald bauen.

 Thomas Baumhoff (r.), Mitbegründer der Datscha mit Tom Blankenberg, der einen Film über die Datscha gedreht hat.

Thomas Baumhoff (r.), Mitbegründer der Datscha mit Tom Blankenberg, der einen Film über die Datscha gedreht hat.

Foto: Endermann, Andreas (end)

In den vergangenen 14 Jahren hat sich eine Gruppe von Großstädtern unweit des Südfriedhofs eine Idylle geschaffen, in der sie Partys, Ausstellungen und Konzerte organisieren, aber auch Schnecken-Rennen oder Kasperletheater. Die Datscha.

Ausgangspunkt des Projekts sei eine gewisse Sehnsucht nach Landleben gewesen, der man nachgeben wollte, ohne aus der Stadt wegzuziehen. So erzählt es Thomas Baumhoff. Der 46-jährige Grafiker ist einer von fünf Gründern, die das Ganze 2005 ins Leben riefen. Heute ist Baumhoff dreifacher Familienvater und immer noch Datscha-Mitglied. Er steht vor dem Eingang des flachen unauffälligen Baus an der Völklinger Straße. Hinter ihm, auf dem Nachbargrundstück, grasen Ponys. Über ihm, im Baumhaus: eine vergessene Bierflasche. In Hörweite rauscht der Verkehr gleichmäßig über den Südring. Fast 100 Jahre stehe das Haus schon hier, weiß Baumhoff. Bereits mehrfach sollte es abgerissen werden, aber irgendwas kam immer dazwischen. Früher wurde es als Friedhofswerkstatt genutzt, phasenweise auch als Wohnraum. Der letzte Mieter, bevor die Wände zu feucht wurden, war ein Bekannter. Über ihn bekamen sie seinerzeit Wind von den Räumen. „Wir sind dann sofort hingefahren“, erinnert sich Baumhoff. Den fünf Interessenten war auf Anhieb klar: Das war genau das, wonach sie gesucht hatten. Hier konnte man eine ländliche Version von Kulturvereinen wie Damenundherren oder Brause aufziehen – Kultur, Gärtnern, Werkeln, Chillen und Kinderprogramm inklusive.

Das Leben der Datscha begann, wie es sich für einen solchen Ort gehört: mit einer Party. Viele Düsseldorfer kamen, um den Neuzugang zum Subkulturleben in Augenschein zu nehmen. Auch in den Folgejahren wurde immer wieder gefeiert. Bis heute legendär: Die Tanz-in-den-Mai-Sausen. Bands und Musiker gaben sich im Gartenidyll ebenfalls regelmäßig die Ehre. Honig. Alan Metzger. Oder Sølyst. „Die Datscha“, sagt Thomas Baumhoff, „ist definitiv eine Insel“. Er für seinen Teil erinnert sich besonders gerne an das Schnecken-Rennen, das man an einem regnerischen Tag spontan initiierte. Die Rennbahn wurde mit Kreide auf den Boden gemalt. Die Schnecken auf ihre jeweilige Startposition gesetzt. Das Ziel markierte ein Salatblatt. Allein die Kriechtiere hatten so gar kein Interesse an dem Grün und ignorierten zudem die für sie vorgesehenen Bahnen. „Die meisten bogen einfach ab“, so Baumhoff. Die Kinder hatten dennoch ihren Spaß. Überhaupt ist die Datscha für sie mindestens genauso paradiesisch wie für ihre Eltern. Mittlerweile haben fast alle Datscha-Mitglieder Nachwuchs. Die Lütten hüpfen auf dem Trampolin, pflücken Brombeeren oder spielen im Baumhaus. Letzteres haben die Datscha-Mitglieder selbst gezimmert. Im Mai dieses Jahres fand dort ein Baumhaus-Dinner statt. Ausgewählten Gästen kredenzte man ein mehrgängiges Menü. Ein paar Meter über der Erde durfte man sich fühlen wie im siebten Himmel.

Nicht zuletzt diesen Datscha-Moment hat Tom Blankenberg in seinem Film „Kolchose D.“ festgehalten. In rund 20 Minuten zeichnet der Komponist und Toningenieur, dessen ambitioniertes Hobby das Filmemachen ist, ein liebevolles Bild eines Orts, den man in Cottbus oder Eisenhüttenstadt vermuten würde, nicht aber in Düsseldorf. Eines kleinen Paradieses, das in 100 Jahren immer wieder dem Abriss getrotzt hat und das nunmehr ein Paradies auf Abruf ist. Die Stadt hat Haus und Grundstück vor einigen Monaten erworben. In den kommenden Jahren soll hier gebaut werden. Bis es so weit ist, dürfen die mittlerweile 18 Datscha-Mitglieder aber erst einmal weitermachen, darauf hat man sich in einem konstruktiven Dialog mit der Stadt geeinigt. Zwei Jahre, so schätzt Baumhoff, könnten der Datscha noch bleiben, vielleicht drei. Es dürfte also noch die ein oder andere Idee umgesetzt, der ein oder andere Traum realisiert werden. Und natürlich wird noch die ein oder andere Party gefeiert.

Datscha, Völklinger Str. 170, Düsseldorf

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