Benrath Bloß nicht allein zu Hause

Benrath · Nicht nur die Zahl der Senioren in Deutschland wächst, sondern auch die der Singlehaushalte. Immer mehr Menschen sind deshalb von Einsamkeit im Alter bedroht. Das Benrather Netzwerk zeigt, was sich dagegen tun lässt.

Es könnte das Vereinstreffen einer Sportmannschaft sein, allerdings stehen dafür zu viele Rollatoren vor der Tür. Kaffeetassen scheppern, Brötchen wandern über die Teller. Immer wieder schallt Gelächter durch den Raum. An diesem Freitagmorgen hat man sich viel zu erzählen. 30 Senioren vom Netzwerk Benrath sind im Gemeinschaftsraum des Altenheims zu ihrem monatlichen Ehrenamtlerfrühstück zusammengekommen. Sie gehören zum "Zentrum Plus" der Diakonie. Eine Einrichtung, die Senioren im Stadtteil in Kontakt bringen will. Die Idee: Jüngere Senioren helfen Älteren, bis sie es selbst nicht mehr können. So soll ein Kreislauf entstehen, der vor Einsamkeit im Alter schützt. In Düsseldorf gibt es 32 solcher Einrichtungen.

Etwa eine Stunde erzählen die Ehrenamtler untereinander. Dann ziehen sie Blöcke und Stifte aus den Taschen. Jeder ist Pate für eine oder mehrere Aktivitäten, die für alle offen stehen, aber vor allem den Älteren zugutekommen sollen - den über 85-Jährigen. Mit durchschnittlich Mitte 70 gehen die Ehrenamtlichen hier als junge Hasen durch und organisieren Computerkurse, Treffen für englische Konversation oder Brettspielabende.

Peter Sawatzki ist einer dieser jungen Alten. Der 77-Jährige betreut seit zwei Jahren den Gesprächskreis "Keine Angst vor Demenz". Ein Leben ohne Ehrenamt kann er sich schon lange nicht mehr vorstellen. "Ich bin mit 57 in Rente gegangen, und meine Frau hat noch gearbeitet. Wenn Sie die ganze Zeit alleine zu Hause die Wand anstarren - da werden Sie verrückt." Seitdem packt er an, wo man ihn lässt. Erst als Helfer für Suchtgefährdete, dann im Kindergarten, später in der Bahnhofsmission. Im Netzwerk Benrath findet er eine Art zweite Heimat. Wie Sawatzki geht es vielen älteren Menschen in Deutschland. 2014 lebte rund ein Drittel der Generation 65+ in einem Einpersonenhaushalt. Bis 2030 sollen laut Statistischem Bundesamt 81 Prozent der Haushalte aus einer oder zwei Personen bestehen. 40 Prozent der Singles sind dann 60 Jahre und älter. Welche Folgen das haben kann, zeigte Ende 2016 ein Fall in Köln. Damals wurde eine Seniorin ein Jahr nach ihrem Tod in ihrer Wohnung gefunden.

Bei den 120 Ehrenamtlichen im Netzwerk ist so etwas undenkbar. Dafür sorgt der "Kreislauf für die Vorsorge im Alter", wie Projektleiterin Margit Risthaus es nennt. Senioren kommen zum Netzwerk, weil sie Gemeinsamkeit suchen. Sie finden eine Aufgabe darin, Älteren eine gute Zeit zu bescheren und kommen am Ende selbst in den Genuss dieses Angebots.

"Weil sich die Gruppen über Jahre regelmäßig treffen, fällt es auf, wenn jemand nicht mehr kommt, ohne abzusagen", sagt die Leiterin des Projekts. Dann fahren Ehrenamtliche oder Risthaus selbst zur Wohnung und sehen nach, ob alles in Ordnung ist. "Außerdem merken wir, wenn jemand drei Wochen in Folge das Gleiche an hat, seine Kleider vielleicht nicht mehr richtig wäscht und immer dünner wird." In so einem Fall prüft Risthaus, ob der Senior noch in der Lage ist, seinen Alltag alleine zu bewältigen - und wie es um seine Finanzen steht. Am Ende will Risthaus möglichst alle älteren Leute im Viertel erreichen. Deswegen bittet sie die Anwesenden an diesem Freitag auch, darüber nachzudenken, ob sie Senioren kennen, die noch nichts vom Netzwerk Benrath gehört haben.

Die könnten dann auch an der Karnevalsfeier teilnehmen. "Wer kommen mag, kann einen Unkostenbeitrag bezahlen - und vielleicht sogar eine Patenschaft übernehmen." Benrath gilt zwar als reicher Stadtteil. Aber auch hier ist Altersarmut ein Thema. Immer wieder hört Risthaus, dass Senioren nicht zum Netzwerktreffen kommen, weil sie sich die Busfahrten oder das Frühstück nicht leisten können. Um solche Situationen zu verhindern, gibt es im Netzwerk ein spezielles Bezahlsystem. "Wer kann, der bezahlt den vollen Preis. Wer ein bisschen besser aufgestellt ist, legt noch etwas drauf und übernimmt eine Art Patenschaft für andere, die sich die Veranstaltungen alleine nicht leisten könnten." Das Gruppenfrühstück kostet so für Betroffene beispielsweise nicht mehr fünf Euro, sondern nur 3,70 Euro. Am Ende wird das Netzwerk zu einer Art Wahl-Verwandtschaft, mit ähnlichen Vorteilen, Pflichten und Streitigkeiten. Das zeigt sich beim letzten Punkt der Agenda: "Wie soll Weihnachten ablaufen?", fragt Risthaus. Es ist zwar erst Anfang des Jahres, aber dieser Feiertag will geplant werden - denn die Jüngeren und die Älteren sind sich uneins.

2016 gab es den Weihnachtskaffee am 23. Dezember. Das kam den freiwilligen Helfern entgegen. "Denn im Jahr davor, als wir den Kaffee am 24. gemacht haben, sind wir danach nur noch ins Bett gegangen. Wir waren zu müde, um selbst Weihnachten zu feiern", sagt Gisela Hilgenstock. Die 77-Jährige und ihr Mann haben schon viermal an Weihnachten zwischen 11 und 16 Uhr Kaffee und Kuchen für die Singles der Gruppe ausgerichtet und geben zu: "Da merkt man eben doch, dass man selbst nicht mehr so fit ist."

Auf der anderen Seite stehen jene, die ohne den Kaffeeklatsch Heiligabend alleine sein müssten. Keine leichte Entscheidung für die Gruppe, und so muss die Abstimmung erst mal verschoben werden. Nur eines ist schon klar: Ganz alleingelassen wird auch Ende des Jahres niemand.

(ham)
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