Interview „Darüber zu sprechen hilft“

Benrath · Das Zentrum plus bietet ab dem 29. August einen Gesprächskreis für Angehörige demenzkranker Menschen.

 Sabine Blinik-Clauß hat schon viele Menschen begleitet, die ihre demenzkranken Angehörigen zu Hause pflegen und mit der Situation überfordert sind. Jetzt möchte sie auch Betroffenen in Benrath helfen.

Sabine Blinik-Clauß hat schon viele Menschen begleitet, die ihre demenzkranken Angehörigen zu Hause pflegen und mit der Situation überfordert sind. Jetzt möchte sie auch Betroffenen in Benrath helfen.

Foto: Anne Orthen (ort)

Sabine Bilnik-Clauß (58) ist Diplom-Sozialarbeiterin und professionelle Pflegeberaterin. Seit über 30 Jahren unterstützt sie Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Ab dem 29. August leitet sie einen Gesprächskreis für pflegende Angehörige demenzkranker Menschen in Benrath. Im Interview spricht sie mit uns über die Herausforderungen in der Pflege von Angehörigen und darüber, wie sehr Gespräche helfen können.

Frau Bilnik-Clauß, was sind Herausforderungen, die pflegende Angehörige bewältigen müssen?

Bilnik-Clauß Zunächst ist es eine Herausforderung, überhaupt einen pflegebedürftigen Menschen zu betreuen und sich damit auseinanderzusetzen, dass sich ein Angehöriger verändert. Oft werden dann die Rollen vertauscht. Kinder haben plötzlich einen Pflegeauftrag und sorgen zum Beispiel für ihre Eltern.

Und dieser Rollentausch ist problematisch?

Bilnik-Clauß Ja. Er bringt oft große Schwierigkeiten mit sich, vor allem, weil vielen Angehörigen ihr Verhalten gar nicht bewusst ist. Der Elternteil, der Erkrankte, ist trotzdem erwachsen. Er übernimmt die Rolle des Kindes also natürlich überhaupt nicht gerne. Er zeigt abwehrendes Verhalten und das Pflegeverhältnis und die Versorgung im Alltag leiden darunter.

Eine schwierige Situation. Haben Sie Tipps, wie damit umzugehen ist?

Bilnik-Clauß Darüber sprechen und sich miteinander austauschen. Nur dann wird einem bewusst, was da gerade passiert. Viele Angehörige kommen zu mir und sagen: Ich verstehe das gar nicht, ich meine es ja nur gut. Ich möchte doch nur, dass meine Eltern gut versorgt sind, ich tue doch alles. Aber oft kommt das eben nicht beim Erkrankten an. Angehörige brauchen in einer solchen Situation immer auch Wertschätzung. Die spüren sie oft nicht von der erkrankten Person. Diese versteht ja gar nicht, warum mit ihr jetzt so verfahren wird und warum andere plötzlich sagen, was sie machen soll und was nicht. Die Betroffenen sehen die Welt ganz anders als wir.

Über die Probleme und Erfahrungen sprechen kann man zum Beispiel im Angehörigen-Gesprächskreis der Diakonie in Benrath, den Sie leiten. Warum ist es so wichtig, mit Gleichgesinnten und nicht nur mit Freunden darüber zu sprechen?

Bilnik-Clauß Häufig ist der Freundeskreis ohne eigene Erfahrungen. Es gibt wenige, die wirklich praktische Hilfe anbieten können. Oft ziehen sich die Betroffenen dann zurück. Termine können nicht mehr eingehalten werden, weil man die an Demenz erkrankte Person nicht mehr alleine lassen kann. Kann ich abends zum Beispiel nicht mehr zum Kegeln, bin ich raus aus dem Kegelclub. Wir haben oft Angehörige, die sich teilweise bereits jahrelang zurückgezogen haben.

Was hilft dann überhaupt?

Bilnik-Clauß Wenn die Betroffenen ihre Situation mal erzählen konnten und merken, dass es auch andere Menschen in derselben Situation gibt, fühlen sie sich viel besser, sie werden angenommen mit ihrer Situation und unterstützt. In Gesprächskreisen können sie ein Kopfnicken ernten oder sich Tipps abholen, und zwar nicht nur von einer Fachfrau, bei der man vielleicht denkt: Naja, die hat ein paar gute Bücher gelesen, sondern von Menschen, die dasselbe erleben.

Die Menschen fürchten sich also vielleicht davor, ihre Sorgen mit anderen zu teilen?

Bilnik-Clauß Ja, sehr oft. Häufig wird gesagt: Das brauche ich nicht, das hilft mir nicht weiter, oder: Da habe ich keine Zeit zu. Es gibt immer Wichtigeres und vor allem die Angst, dass irgendetwas an der Situation verändert werden muss. Denn wenn ich mir bewusst bin, wie etwas abläuft, dann muss ich auch Entscheidungen treffen. Also: Wie lange kann ich das noch machen? Wann muss ich ein Versprechen, das ich gegeben habe, vielleicht brechen? Das sind alles Ängste, die Betroffene dann umtreiben.

Für die „Ausrede“, man habe für den Gesprächskreis keine Zeit, gibt es aber bei Ihnen eine Lösung?

Bilnik-Clauß Genau. Wir haben hier in Benrath die Situation, dass wir gleichzeitig zum Gesprächskreis eine Betreuung für die Erkrankten anbieten können. Diese werden dann von geschulten Ehrenamtlichen aus unserem „Café Pause“ betreut.

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