Foto aus Düsseldorfer Stadtarchiv Wer ist der Mann mit dem Gepard?

Düsseldorf · Das Düsseldorfer Stadtarchiv veröffentlichte ein Foto aus dem Jahr 1958, das einen Mann zeigt, der mit einem Gepard auf der Königsallee spazieren geht. Doch wer ist der Mann? Und warum führt er ein Wildtier spazieren? Eine Spurensuche.

Bildband des Stadtarchivs: So sah es in Düsseldorf in den 50er Jahren aus
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So sah es in Düsseldorf in den 50er Jahren aus

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Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich im Januar 2021 auf RP ONLINE veröffentlicht. Da er weiter aktuell ist, bieten wir ihn noch einmal zum Lesen an.

Ein Mann überquert die Kostenpflichtiger Inhalt Königsallee, er trägt einen Hut und einen langen Mantel. Festgehalten ist diese Alltagsszene aus dem Jahr 1958 auf einem Schwarz-Weiß-Foto, das zum Bestand des Düsseldorfer Stadtarchivs gehört. Erst 2020 wurde es zum ersten Mal veröffentlicht. Doch das Foto bleibt in Erinnerung: An einer Leine führt der Mann nämlich wie selbstverständlich einen Gepard spazieren, mitten durch Düsseldorf. Sein Gesicht ist von der Kamera abgewendet – schon kurz nach Veröffentlichung des Fotos auf der Facebook-Seite des Stadtarchivs wurde deshalb spekuliert, um wen es sich bei dem Unbekannten handeln könnte.

Die These eines Facebook-Nutzers: Es könnte sich um Helmut Mattner handeln, den sogenannten Altstadtkönig der 60er bis 80er Jahre. Mehrere Lokale, darunter das russische Restaurant „Datscha“, gehörten dem schillernden Gastronomen. Dort gab es laut einem „Spiegel“-Bericht von 1961 unter anderem Champagner aus einer imitierten goldenen Zarenkrone zu trinken, die mit sibirischen Smaragden besetzt war – Herstellungskosten: 48.000 Mark. Zudem werden Mattner beste Kontakte in hohe politische Kreise nachgesagt. Und er holte die Welt nach Düsseldorf: Josephine Baker und Louis Armstrong – aber auch den russischen Staatszirkus und das Bolschoi Ballett.

Mattner stand wegen seiner Beziehungen in die Sowjetunion auch im Visier des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes. Der BND setzte sogar einen Agenten auf den Multimillionär an, im Juni 1961 heißt es in seiner Akte: „Mattner hat Interesse für Wein, Wodka und Kaviar.“ Und für wilde Tiere: Der Gastronom soll auch einen Gepard besessen haben. Fragen kann man ihn danach aber nicht mehr: Mattner gilt seit den 80er Jahren als verschollen, zuletzt hatte er sich in der Karibik aufgehalten.

Ein weiterer Hinweis auf den möglichen Gepardenhalter kommt aus der Leserschaft: Vielleicht war es Carl Krone, Gründer und langjähriger Direktor des legendären Circus Krone? Dieser trat schon als kleiner Junge in der berühmten „Menagerie Continental“ auf, der wandernden Tiersammlung der Familie. Mit Tierdressuren wurde er schließlich noch bekannter und benannte das Unternehmen nach dem Tod des Vaters 1900 in Circus Krone um. Er zeigte sich auf den Tourneen des Zirkus immer wieder mit exotischen Tieren, auch mit Geparden. Doch diese Spur erkaltet schnell: Carl Krone starb 1943, also 15 Jahre, bevor das Foto aufgenommen wurde.

Vielversprechender scheint der Anruf von Monika Gottlieb zu sein: Ihre Eltern hatten jahrzehntelang ein Geschäft für Luxusmode und -accessoires auf der Königsallee, die Familie wohnte über dem Geschäft. „Wir führten schon 1949 als eins der ersten Geschäfte in Deutschland Kosmetik von Coco Chanel“, sagt Gottlieb, „entsprechend hatten wir auch sehr wohlhabende Kunden.“ Einer davon, ein Fabrikant, habe im Garten seiner Villa in Stockum zwei Geparden gehalten. „Und mit denen ist er auch spazieren gegangen, wir haben sie immer Fleckenhunde genannt.“ Als sie das Foto gesehen habe, habe sie sofort daran gedacht. In der Kundenkartei des Geschäfts, die Gottlieb bis heute aufbewahrt, ist der Mann als Herr Gebhard verzeichnet, mit Adresse, aber ohne Vornamen.

Damit lässt sich nach kurzer Recherche im Stadtarchiv zwar herausfinden, dass es sich um Hans Gebhard gehandelt haben müsste, Miteigentümer einer Seidenweberei in Wuppertal. Auf dem einzigen Foto des Archivs, das ihn zeigt, ist er jedoch zu jung, um es mit der Aufnahme von 1958 vergleichen zu können. Archivleiter Benedikt Mauer gibt den Tipp, es beim Stadtarchiv Wuppertal und dem Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Köln zu versuchen. Doch auch hier bleibt die Suche ohne Erfolg: Beide Archive haben zwar Akten zur Seidenweberei vorliegen, aber kein Foto der Eigentümer. Es scheint so, als ließe sich das Rätsel um den Mann mit dem Gepard nicht lösen.

Doch dann hilft der Zufall: Als Mauers Kollegin Andrea Trudewind zu einer ganz anderen Sache in den Fotobeständen des Archivs recherchiert, stößt sie auf Negative, die den Zauberkünstler Helmut Ewald Schreiber alias Kalanag zeigen – mit Ehefrau und Partnerin Gloria und Gepard Simba, wie sich einem Zeitungsartikel aus den Düsseldorfer Nachrichten vom 1. Mai 1958 entnehmen lässt. „Rendezvous in Rio“ hieß die Show, mit der er im Apollo-Theater am Südende der Königsallee das Düsseldorfer Publikum begeisterte. „Mit einer Ausrüstung im Gewicht von 80 bis 90 Tonnen, 200 exotischen Kostümen und 50 verschiedenen Bühnenausstattungen garantiert er während der zweieinhalbstündigen Schau eine pausenlos wechselnde Szenerie“, heißt es in dem Bericht, „der Kaiser der Zauberer“ wird er genannt.

Dabei war Schreiber nicht unumstritten. 1906 geboren machte er zunächst in der Filmindustrie des NS-Regimes Karriere, fungierte etwa als Direktor der Bavaria Film in München. Zudem pflegte er auch persönliche Kontakte zu den Nationalsozialisten, zauberte zum Beispiel vor öffentlichen Reden von Adolf Hitler und war 1939 auf dem Obersalzberg zu Gast. Nach Kriegsende versuchte er, SS-Leute an die Alliierten zu vermitteln, die gegen freies Geleit Zugang zum legendären Raubgold der Nationalsozialisten anboten – das bis heute größtenteils als verschollen gilt. Zudem wurde ihm von den Alliierten verboten, weiter in der Filmindustrie zu arbeiten, später wurde er wegen Diamantenschmuggels verurteilt.

So machte er sein Hobby, das Zaubern, zum Beruf und rief 1947 die „Kalanag-Revue“ ins Leben. Mit seiner Varieté-Show tourte er durch die Welt, bis in die USA und nach Südafrika. Ende der 50er Jahre dann zog er sich zunehmend aus dem Showgeschäft zurück und starb an Heiligabend 1963 an Herzversagen. Seine Frau Gloria sollte die Suche nach dem Raubgold zeitlebens nicht aufgeben – weil sie annahm, dass ihr Mann es irgendwo versteckt hatte. Doch ist der legendäre Zauberkünstler der Mann auf dem Bild?

 Ein Mann geht mit seinem Gepard über die Düsseldorfer Königsallee: Das Foto stammt von 1958 und wurde vom Stadtarchiv vor Kurzem zum ersten Mal veröffentlicht.

Ein Mann geht mit seinem Gepard über die Düsseldorfer Königsallee: Das Foto stammt von 1958 und wurde vom Stadtarchiv vor Kurzem zum ersten Mal veröffentlicht.

Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Zwar passen Ort und Zeitraum des Auftritts gut zum Aufnahmedatum des Fotos, und auch die Statur scheint ähnlich. Kalanag könnte mit dem Spaziergang zum Beispiel Werbung für seine Revue gemacht haben. Weil der Mann aber nur von hinten zu sehen ist, wird sich das Rätsel wohl nie endgültig klären lassen. „Aber vielleicht macht ja auch genau dieses Mysteriöse den Reiz des Fotos aus“, sagt Benedikt Mauer, „so bleibt die Szene in Erinnerung – und der Gepard der Star des Bilds.“

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