Lesung in Düsseldorf Wladimir Kaminer findet die Düsseldorfer „fruchtig"

Düsseldorf · Bei einer Lesung in der Volkshochschule plauderte der russisch-deutsche Autor Wladimir Kaminer über sein Leben und seine Beobachtungen in Düsseldorf.

 Der Autor Wladimir Kaminer hielt eine Lesung in der Volkshochschule. Anlass war das 100-jährige Bestehen der Institution.

Der Autor Wladimir Kaminer hielt eine Lesung in der Volkshochschule. Anlass war das 100-jährige Bestehen der Institution.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Völlig entspannt saß Wladimir Kaminer an seinem Tisch und schien darauf zu warten, was gleich passiert. Er plauderte mit seinen Lesern, gerne auch auf Russisch, signierte Bücher und trank etwas Wein. Als krönender Abschluss des 100-jährigen Bestehens der Volkshochschule (VHS) war er zum Bertha-von-Suttner-Platz gekommen, um Texte zum Thema Bildung zum Besten zu geben. „Ich habe lange in meinen Texten gesucht, was ich zu dem Thema geschrieben habe, und mehr gefunden als ich dachte“, sagte er.

Das liegt wohl auch an seiner Mutter, von der er gerne erzählt. Diese besucht nun schon seit 23 Jahren die VHS und macht immer den gleichen Englischkursus. Das bietet natürlich Erzählstoff. Ihre Enkeltochter habe mittlerweile große Zweifel, dass ihre Oma überhaupt Englisch könne, aber immerhin habe die VHS-Besucherin viele neue Kontakte geknüpft. „Heute Abend ist sie mit ihrer Englisch-Gruppe in einem Konzert in Berlin“, plauderte der Autor, für den Bildung ein wichtiges Thema ist. „Bildung verlängert das Leben und macht glücklich. Das zerbröselte Deutschland und die Fremdenangst sind Folgen fehlender Bildung.“

Auch Kaminers Fremdsprachenerwerb schien nicht ohne Tücken gewesen zu sein, wie er mit seinem sympathischen russischen Akzent lebhaft erzählt. „Ich bin vor fast 30 Jahren ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland gekommen, hatte aber einen Sprachführer dabei. Das war aber das falsche Buch, denn es stammte aus den 50ern. Da standen Sätze drin wie ‚ich muss sofort zur sowjetischen Botschaft‘. Das war echt der letzte Ort, wo ich hin wollte.“ In der Schule in Moskau durfte er Englisch lernen. „Die Hooligans wurden zu Deutsch verdonnert.“ Als Kaminer seine Kenntnisse in den USA anwenden wollte, begann er jedoch, an Verschwörungstheorien zu glauben. „Meine Landsleute verstanden mich alle, die Amerikaner aber nicht. Die haben uns bestimmt etwas anderes beigebracht.“

Kaminer erzählte amüsante Geschichten über das Lernen. „Man lernt am besten etwas Neues, indem man es anderen beibringt.“ So wie Kaminers Freund Frank, der versuchte, seinem Hund beizubringen, wie man das Stöckchen holt. Inzwischen ist der Hund etwas verwundert, aber Frank kann schon richtig gut apportieren. Der Autor berichtete mit einer wunderbaren Beobachtungsgabe und viel Ironie über den Umgang mit syrischen Flüchtlingen in einem brandenburgischen Dorf und ließ die Zuhörer am Familienleben der Familie Kaminer teilhaben. Seine Mutter habe ihm schon damit gedroht, ihn zu verklagen, falls er etwas über sie veröffentliche, scherzte er. Galant verbeugte sich der Autor nach jeder Geschichte vor seinem Publikum.

Zurzeit schreibt Kaminer an einem Buch über erwachsene Kinder und Erwachsene, die immer kindischer werden. „Als Rosine auf dem Kuchen werde ich gleich eine Geschichte vorlesen, die ich erst diese Woche dafür geschrieben habe“, kündigte er vor der Pause an. Eigentlich wisse er aber immer noch nicht, wie das Schreiben überhaupt gehe, gab der Autor zu. Sein Vater sei der Meinung gewesen, das Talent käme von ihm. „Mein Vater hat aber schreckliche Gedichte geschrieben. Das waren erotische Gedichte mit obszönem Inhalt. Seine Liebeserklärungen an unbekannte Frauen in unserer Küche brachten ihm nur Ärger.“ Und nachdem Kaminer nach kurzem Überlegen ein Gedicht seines Vaters wiedergegeben hatte, verstanden die Zuhörer auch warum.

Bevor Kaminer zur seiner Lesung kam, hatte er in der Stadt die Sonne genossen, wie er berichtete. „Das unterscheidet Düsseldorf von Berlin. Hier gibt es mehr Sonne. Oder bin ich einfach zu selten hier?“ Vom Weihnachtsmarkt zeigte er sich ganz begeistert. „Ich bin dafür, dass er das ganze Jahr über geöffnet ist. Die Polen machen das schon. Sie nennen es nur anders“, sagte er mit einem Zwinkern. Im Grunde gehe es ja auch nur darum, draußen zusammenzustehen und etwas zu trinken, so die Beobachtung des Autors. Früher habe er immer gedacht, Düsseldorf sei das Japan Deutschlands und ein wenig exotisch. Jetzt hat er einen anderen Eindruck. „Es gibt so eine Mischung aus innerer Zurückhaltung und äußerer Extrovertiertheit. Und die Düsseldorfer sind immer besser angezogen als andere und haben mehr Zeit beim Friseur verbracht. Ein Berliner würde sagen, die Düsseldorfer sind fruchtige Menschen. Das bedeutet sie sind ein wenig wie Weihnachtsschmuck.“ Nicole Esch

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort