Bilk Ein Stadtteil für 40.000 Individualisten

Knapp 40.000 Menschen wohnen in Bilk - kaum einer ist nicht gerne dort Zuhause. Großstadt-Anonymität ist dort schwer zu finden. Ein bisschen Dorf, ein bisschen Stadt, ein bisschen Szeneviertel. Der Charme des Stadtteils liegt in seiner Mischung. Und in seinen Bewohnern, die sich für Bilk gerne engagieren.

 Nicht immer haben Radfahrer auf der Aachener Straße so viel Platz: Viele kleine Läden und ein großes Möbelhaus sorgen für Betrieb.

Nicht immer haben Radfahrer auf der Aachener Straße so viel Platz: Viele kleine Läden und ein großes Möbelhaus sorgen für Betrieb.

Foto: RP, Andreas Bretz

Der Bilker an sich hat ein einnehmendes Wesen. Das merkt man daran, dass er, nach seinem Stadtteil befragt, gern von Lorettostraße (Unterbilk) und Medienhafen (Hafen) schwärmt, den Kirchplatz (Friedrichstadt) beschreibt, das Leben auf dem Lande (Hamm) schildert, oder gar vom Rheinufer erzählt, das der Bilker nur erreicht, wenn er seinen Stadtteil verlässt. Was er, nebenbei bemerkt, nicht häufig tut.

Wir wollen dem Bilker keineswegs anlasten, er schmücke sich mit fremden Federn. Damals, im Ur-Bilk sozusagen, das auf den Gutshof Villa Bilici zurückgeht, hat es weder Ober- noch Unterbilk gegeben, und an einen Hafen hat anno 799 schon gar niemand gedacht. Es ist außerdem auch eher umgekehrt: In Flehe heißt die Autobahnausfahrt Bilk, in Friedrichstadt steht das neue Bilker Schwimmbad. Und dann sind da die 24 Düsseldorfer Planeten, die in astronomischen Fachbüchern eigentlich Bilker Asteroiden heißen sollten, weil Robert Luther sie im 19. Jahrhundert an der Martinstraße entdeckt hat.

Das Sympathischste am Bilker an sich ist wahrscheinlich ohnehin, dass es ihn gar nicht gibt. Bilk ist zwar kaum so international wie die Kö, nicht so hip wie der Hafen und auch nicht so multikulti wie Oberbilk. Aber der zweitgrößte Stadtteil Düsseldorfs beheimatet knapp 40 000 Menschen, die in keine Schublade passen. Die Bundestagswahl hat das mal wieder bestätigt. Je ein gutes Viertel der Wähler stimmte für CDU und SPD, um die 16 Prozent für FDP und Grüne, die Linke kam auf knapp zehn Prozent. Von allem etwas also, und da aus Bilk keine Bürgerkriege gemeldet werden, scheint man ganz gut miteinander auszukommen.

Die Wahlbeteiligung war übrigens gar nicht so schlecht. Politik ist den Bilkern bei aller Unterschiedlichkeit durchaus wichtig. Die Bezirksvertreter, durchaus nicht immer einer Meinung, erwecken so oft den Eindruck, zuerst an den Stadtteil und dann erst an die Partei zu denken, dass man ihnen das fast schon glauben mag.

"Stadtteil und Bezirksvertretung sind sich sehr nah", bestätigt René Krombholz, der die unlängst von RP ONLINE ausgezeichnete Website "Go Bilk" als Plattform für den Stadtteil betreibt. Jüngstes Beispiel: Da stellt die Stadt einen Entwurf für die Erweiterung des Martinuskrankenhauses vor, dem 40 ausgewachsene Bäume zum Opfer fallen müssten.

Und noch bevor die Bezirksvertreter offiziell Bedenken anmelden können, haben die Nachbarn des Krankenhauses sich untereinander verständigt, und einer hat einen neuen Plan gemacht. Den gaben die Bezirkspolitiker dem Vertreter des städtischen Planungsamts mit — zum Nachbessern. So läuft das in Bilk. Und dass die voraussichtlich geretteten Bäume ihre Wurzeln tief in Unterbilk geschlagen haben, spielt für keinen Bilker eine Rolle.

Längst nennt kein Makler mehr die City-Nähe oder die Autobahn nach Köln als Bilks größte Vorzüge. Viel mehr fallen bezahlbare Mieten in prächtigen Altbauten an der Düssel ins Gewicht, oder in den von kreativen Stadtplanern entworfenen Siedlungen an Sternwartstraße und im Färberviertel. Man kann auch wunderschön im Grünen wohnen, etwa am Rand des Südfriedhofs oder am Volksgarten.

Überhaupt hat der Stadtteil mit den vielen Vierteln alles, was man braucht. Die bodenständige Aachener Straße etwa, an der sich das Angebot nach den Wünschen der Kundschaft richtet. Ein bisschen bürgerlich, ein bisschen traditionell und trotzdem frisch und modern. Oder die Brunnenstraße, an der sich eine neue Szene entwickelt. Künstler und Designer haben sich dort niedergelassen, ein paar Kneipen sind in der ganzen Stadt angesagt. Manche schwärmen schon vom neuen Flingern, was aber nicht alle gerne hören.

Skeptiker fürchten die Gentrifizierung, die der kreativen Entwicklung erst die Schickeria und dann höhere Mieten folgen lassen könnte. Was in Flingern ansatzweise schon zu beobachten ist, würde in Bilk aber nicht funktionieren, glaubt René Krombholz. "Wir nehmen neue Entwicklungen gerne auf, aber wir werfen dafür nicht alles Althergebrachte über Bord." Das gelte für Handel und Kultur genauso wie für die Menschen: "Bei uns stimmt die Mischung." Dass Bilk trotz Universität und Uni-Klinikum in all den Jahren nie ein typisches Studentenviertel geworden ist, spricht dafür. Und Krombholz weiß als Sprecher des größten Vereins im Stadtteil einen weiteren Beweis: Wenn die Bilker Schützen Kirmes feiern, ist immer volles Haus — bei der Rocknacht genauso wie zum Konzert des Blasorchesters.

Apropos Schützen: Es kann kein Zufall sein, dass es die St. Sebastianer in Bilk waren, die als einziger Düsseldorfer Verein einer Gruppe blinder Sportschützen das Training ermöglichte. Heute sind die Wettkämpfe zwischen Sehenden und Blinden am Schießstand fester Bestandteil des Vereinslebens.

Voriges Jahr hat Bilk eine neue Mitte bekommen. So hieß es zumindest, als es um die Planung der Arcaden ging. Viele Händler hatten sich davor gefürchtet. Doch von Mitte kann nach einem Jahr keine Rede sein. Auch die Aufregung hat sich gelegt. Während sich in den Arcaden vor allem auswärtige Kunden tummeln, sind die Bilker ihren angestammten Läden treu geblieben. Die Arcaden, sagen die Händler heute, "sind nicht schön, aber sie stören uns auch nicht." Bloß den riesigen Vorplatz, der leer und wenig attraktiv ist, finden alle ärgerlich. Obwohl's den Bilkern egal sein könnte. Ihre neue Mitte hinterm S-Bahnhof liegt nämlich streng genommen — in Friedrichstadt.

(RP)
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