Rathaus-Kolumne Staatsmänner und stille Orte

Düsseldorf · Der Bundespräsident ist die Nummer eins im Staate. Abzulesen ist das unter anderem an seinem Autokennzeichen. Macht hat er trotzdem kaum. Außer der des Wortes. Richtig eingesetzt kann es viel bewegen.

Juli 2011: Christian Wulff zu Besuch in NRW
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Ob Christian Wulff in seinem inzwischen aufgegebenen Amt dieses Instrument virtuos zu nutzen wusste, darüber gehen die Meinungen auseinander. Auch an der katholischen Grundschule Unter den Eichen in Gerresheim. Denn dort steht der ehemalige Bundespräsident im Wort. Ein Wort - gegeben vor hunderten von Zeugen auf dem Markt mitten in der Altstadt.

Rückblende: Zum ersten Mal seit 1994 besucht im Oktober 2011 ein amtierendes Staatsoberhaupt das Düsseldorfer Rathaus. Oberbürgermeister Dirk Elbers lässt den Roten Teppich ausrollen. Grundschüler, darunter die Gerresheimer, singen das Kinderlied "Der Kuckuck und der Esel", dessen Text Hoffmann von Fallersleben aufschrieb.

Wulff versucht, bei den Kindern zu punkten. Fragt, ob sie sich längere Ferien wünschen. Und wo der Schuh drückt. Johanna wagt sich vor. Längere Ferien will sie nicht, weniger Hausaufgaben auch nicht. "Wir brauchen dringend neue Schultoiletten, die alten kann niemand mehr benutzen", bringt die Viertklässlerin ganz ungeniert auf den Punkt, wo es in ihrer Schule am meisten drückt.

Der erste Mann im Staate reagiert prompt. Er gibt den Auftrag an den gleich neben ihm stehenden ersten Mann in der Stadt weiter. "Das spreche ich beim OB an", sagt er. Die Hoffnungen in Gerresheim sind groß, dass der Macht des Wortes bald Taten folgen."Bis heute ist nichts passiert", gibt sich Nicole Liebe, Vize-Vorsitzende des Fördervereins der Grundschule, zerknirscht.

Ein knappes halbes Jahr ist seit der menschelnden Anekdote vor dem Rathaus vergangen. Um die Toilettenanlage machen die meisten Schüler nach wie vor einen weiten Bogen. Während sie sich die Vereidigung des neuen Bundespräsidenten im Radio anhört, muss Nicole Liebe kräftig schmunzeln. "Ich glaube nicht, dass Wulff den Gerresheimer Vorgang an seinen Nachfolger Joachim Gauck übergeben hat." - "Es gab eine Begehung, aber ob am Ende Geld fließt, ist noch offen", sagt auch Konrektorin Silke Rosengardt schulterzuckend.

Doch gemeinsam mit Schülern und Eltern darf sie nun hoffen. Die große Politik hat die kleine Grundschule nicht vergessen. "Die Toiletten in Gerresheim sind eine von mehreren denkbaren Schulunterhaltungsmaßnahmen", sagt ein Rathaussprecher. Ein Satz, der glatt aus dem Lehrbuch für angehende Diplomaten stammen könnte.

So unkonkret muss es freilich nicht bleiben. Am kommenden Dienstag werden die Politiker der Bezirksvertretung 7 entscheiden, ob sie 103.000 Euro für die neue Toilettenanlage in Gerresheim bewilligen oder anderen Sanierungsprojekten den Vorzug geben. "Das darf nicht schief gehen, die Kinder wären zu enttäuscht" - so setzt Nicole Liebe auf das damals gegebene Wort.

Jetzt heißt es abwarten. Sollten die Schüler kommende Woche Grund haben, Christian Wulff zu danken, werden sie ihren Gruß statt nach Berlin nach Burgwedel in Niedersachsen schicken müssen. Ob es die einstige Nummer eins im Staat aufmuntert, werden sie wohl nicht erfahren...

(anch/top)
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