So wohnt Düsseldorf Zuhause im Blätterwald

Düsseldorf · Die Häuser an der Viersener Straße in Düsseldorf-Heerdt sind hinter dem wilden Wein, der hier seit 70 Jahren wächst, kaum noch auszumachen. Die Bewohner freut's. "Eine grüne Fassade ist eine lebendige Fassade", sagen sie.

Düsseldorf: Leben hinter begrünter Fassade
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So wohnt Düsseldorf: Leben hinter begrünter Fassade

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Foto: Andreas Bretz

Dieses Haus verschwindet im Grünen. Vom Stein der Fassade sind nur ein paar Zentimeter zu erkennen, von den Fenstern nur winzige gläserner Ausschnitte. Wilder Wein wuchert vom Straßenpflaster bis zum Dach, dort setzt der Herbst dem Blätterwald am Giebel schon rote Lichter auf. "Wir leben mit den Jahreszeiten", meinen die Besitzer des Gebäudeensembles an der Viersener Straße in Heerdt. Diese Weinranken sind älter als jedes städtische Grünkonzept, schon seit mehr als 70 Jahren gedeihen sie von allen Umwelteinflüssen unbeeinträchtigt. Eine Wachstumsgeschichte.

Seine Mutter hat als junge Frau die Weinstöcke in den 1940er Jahren in die Erde gepflanzt. Da war dieses Haus von 1911 längst im Besitz der Familie von Bernd Arand, auch er hat mit kurzen Unterbrechungen sein ganzes Leben hier verbracht. Das mag nicht nur an seiner Familiengeschichte liegen, sondern auch an der intakten Nachbarschaft dieser Straße, an der dörflichen Atmosphäre unmittelbar im Schatten des Vodafone-Campus. Alle kennen sich, aber noch wichtiger ist: "Wir achten hier aufeinander", sagt Bernd Arand.

Wie aufs Stichwort kommt seine Nachbarin Zita Götte gerade aus dem Haus nebenan, das sich mit derselben wuchernden Üppigkeit der Straße präsentiert. "Ich habe vor über 20 Jahren dieses Haus gekauft, gerade weil es eine bewachsene Fassade hatte", lautet ihr grünes Bekenntnis. Ökologische Gründe waren dabei ausschlaggebend, "außerdem ist eine grüne Fassade eine lebendige Fassade". Jetzt im Herbst naschen die Vögel von den Trauben, im Sommer fliegen tausende Hummeln und Bienen auf das Weinlaub.

"Aber selbst bei geöffneten Fenstern kommen sie nicht in die Wohnung", so Bernd Arand. Und räumt gleich noch mit ein paar anderen Vorurteilen auf: "Dass Laub vorm Haus Ungeziefer anzieht, halte ich für ein Gerücht." Auch würde das Mauerwerk nicht angegriffen, "das mag bei Efeu zutreffen, mit Weinranken passiert das nicht", so sein Fazit. Und überhaupt: Kein Anstrich hätte solange gehalten wie diese Pflanzen — zähe Emporkömmlinge.

Die Erfahrung der Hausbesitzer wird vom Experten-Urteil bekräftigt. Das städtische Umweltamt fördert sprießende Fassaden (und Dächer), auch weil die Rankepflanzen gut fürs Stadtklima sind. Denn das Blattwerk schluckt Schall und bindet Staub und Schadstoffe aus der Luft. Eine grüne Gebäudehülle dient zudem im Winter als Wärmedämmung und im Sommer als Hitzeschild, denn bepflanzte Flächen befeuchten die Luft und sorgen durch die Verdunstung für Abkühlung.

Diesen Effekt genießen die Hausbesitzer von der Viersener Straße an jedem heißen Sommertag. Und wer in ihren Wohnungen durch die Fenster schaut, die der wilde Wein wie Rahmen umgibt, glaubt in einem Ferienhaus zu sein - wegen der mediterranen Stimmung.

Ortswechsel nach Unterbilk: In einer ruhigen Seitenstraße lebt Familie Nolte seit fast 30 Jahren in einem alten Siedlungshaus. Für 11.000 Goldmark wurde dieses Haus 1914 von einer Genossenschaft verkauft, als Alternative zu den Mietskasernen. "Damals haben auf drei Etagen von jeweils 30 Quadratmetern drei Familien gelebt, die im Garten hinterm Haus Kaninchenställe hatten und Gemüse anbauten", weiß Wolfgang Nolte.

Heute ist dieses Stück Stadtgrün eine gepflegte Wildnis, wo auch Igel einen Platz zum Überwintern finden und Fledermäuse willkommen sind. "Die einzige Lust, die im Alter zunimmt, ist die Gartenlust", zitiert der Hausherr den legendären Fürst Pückler. Ob das einer der Gründe war, warum er sich vor einigen Jahren dazu entschied, seine Fassade zu bepflanzen?

Damals beantragte Wolfgang Nolte einen städtischen Zuschuss und investierte die bewilligten 250 Euro in wetterbeständige Edelstahlseile, Kletterhilfe für ein aufstrebendes Trio: wilde Rose, die jetzt im Herbst rote Früchte trägt, Glycinie (Blauregen) und Klettertrompete, die im Sommer mit ihren Blüten in leuchtendem Orange häufig von Spaziergängern fotografiert wird. Auf der Bank davor döst Katze Luna in der Sonne, hier wird so mancher milde Abend mit Nachbarn verplaudert — die Früchte eines roten Boskop und eines Feigenbaums zum Greifen nah.

Möglicherweise wurde an einem dieser Abende ein Geheimnis der Häuser gelüftet, denn direkt neben den Eingangstüren lassen sich zugemauerte Rechtecke erkennen. "Das sind Verbindungen zwischen allen Häusern, sie dienten während des Krieges als Fluchtmöglichkeit vor den Bomben", so Wolfgang Nolte. Auch haben er und seine Frau im Eingangsbereich hinter alten Tapeten perfekt erhaltene, weiße Metrokacheln freigelegt. Und einen original Jugendstil-Fries, auf dem weiße Blumen auf tiefblauem Grund blühen — so wird die Blütenpracht vor dem Haus auch in seinem Inneren fortgesetzt.

(RP)
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