Serie Die Reformation In Düsseldorf (1) So fromm war die Stadt zu Zeiten Luthers

Düsseldorf · Am Vorabend der Reformation beherrschte der Glaube in Düsseldorf das gesamte städtische Leben. Bis heute erhalten sind die Ablassbriefe.

 Noch im Jahr 1629 trennte ein so genannter Lettner den Altarbereich vom Kirchenraum, in dem sich die Gläubigen befanden.

Noch im Jahr 1629 trennte ein so genannter Lettner den Altarbereich vom Kirchenraum, in dem sich die Gläubigen befanden.

Foto: Pfarrarchiv St. Lambertus

Das deutsche Halbwissen kennt viele Weisheiten. Eine lautet: Das Mittelalter war finster, und die Kirche jener Zeit befand sich in einem fortwährenden Verfallsprozess. Beim Faktencheck gerät man indes in Beweisnot. Denn zeitgenössische Quellen zur Erhärtung der Behauptungen sind nicht leicht zu finden. Gerade wenn der Blick nicht auf das große Reich, sondern auf Regionen oder Städte gerichtet ist - beispielsweise auf Düsseldorf - merkt man, dass so manche Einschätzung mehr die heutige Sichtweise als die Selbstwahrnehmung der Menschen vor 500 Jahren widerspiegelt.

Ob der Düsseldorfer im ausgehenden Mittelalter sein Leben als Joch und die Kirche als Bedrückung empfand, kann niemand sagen. Hierzu fehlt es schlicht an der Überlieferung. Soweit man überhaupt etwas über das Verhältnis von Bürger und Kirche in Düsseldorf zurzeit von Martin Luther sagen kann, dann dies: Die Jahrzehnte um 1500 zählen in Düsseldorf zu den kirchenfrömmsten Zeiten der Stadtgeschichte. Mit Blick auf die Intensität des kirchlichen Lebens waren die Düsseldorfer wohl nie wieder so fromm gewesen.

Die Stifts- und Pfarrkirche in der Altestadt dominierte die Silhouette der Stadt und prägte das Alltagsleben der Bürger. Die Kirchenglocken von Lambertus zeigten in der noch uhrenlosen Zeit den Anfang, die Mitte und das Ende des Tages an. Der Kirchenkalender bestimmte den Jahreslauf und gab vor, wann in Düsseldorf gearbeitet, gefeiert, gefastet oder Markt gehalten wurde. Im ausgehenden Mittelalter war es für einen Düsseldorfer unvorstellbar, ein Leben ohne Bezug zu Gott und seiner Kirche zu führen. Die tief verwurzelte Frömmigkeit entsprach weitgehend dem Lebensgefühl.

In St. Lambertus wurden die kirchlichen Heilsangebote von der Taufe bis zur Krankensalbung bereitgehalten. Alle Bewohner der noch kleinen Stadt Düsseldorf waren getauft, die hier Geborenen hatten die Taufe über dem noch heute in Lambertus aufgestellten Taufstein empfangen. An allen Sonn- und Festtagen kamen die Düsseldorfer in der Pfarrkirche zur Feier der heiligen Messe.

Doch die Gottesdienste unterschieden sich deutlich von den heutigen. In der Lambertus-Kirche gab es - über viele Jahrhunderte - einen so genannten Lettner, also eine Wand, die den Altarbereich vom Kirchenraum trennte. Damit waren die Gläubigen vom eigentlichen gottesdienstlichen Geschehen getrennt und ausgeschlossen.

Trotzdem war die Messe die begehrteste kirchliche Handlung, weil sie nach damaliger Anschauung mehr bewirkte als alle privaten Gebete. Für jedes denkbare Anliegen wurden Messen bestellt. Da Beichtstühle und somit die Ohrenbeichte noch unbekannt waren, wurde in der Kirche öffentlich gebeichtet. Der Beichtvater saß auf einem Stuhl, der Gläubige kniete davor und bereute - für alle hörbar - seine Sünden. Im Gegensatz zu heute hatte der sündige Düsseldorfer damals keine Scheu zur Beichte zu gehen und sich mit Gott und Kirche wieder zu versöhnen.

Dagegen spielte das Sakrament der Firmung eher eine Nebenrolle. Wohl die wenigsten Christen waren gefirmt. Da die Firmung nicht Voraussetzung zur Erlangung des Heils war, blieb die "Nachfrage" am Vorabend der Reformation gering.

Ein Zusammenleben von Mann und Frau ohne Empfang des Ehesakraments war nicht denkbar, ebenso einen Menschen ohne die letzte Ölung sterben zu lassen. Zur Trauung kamen die Brautleute nach Lambertus, beim so genannten Versehgang ging der Pfarrer zu jeder Tages- oder Nachtzeit zu den Sterbenden.

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Düsseldorfers liegt um 1500 nur bei etwa 35 Jahren. Sein Leben schwankt zwischen Jenseitshoffnung und Höllenangst. Und vor der Auferstehung nach dem Jüngsten Gericht steht das Individualgericht, den meisten Menschen besser bekannt als "Fegefeuer". Hier müssen, so die damalige Auffassung der römischen Kirche, die armen Seelen nach dem Maß ihrer irdischen Sünden leiden.

Die Angst vor diesem Fegefeuer brachte es mit sich, dass auch an St. Lambertus das Ablasswesen einen regen Aufschwung nahm. Da Ablässe als Garant galten, die Leidenszeit im Fegefeuer zu verkürzen, setzten auch die Düsseldorfer alles daran, zu ihren Lebzeiten möglichst viele Ablässe durch frommes oder caritatives Handeln zu erwerben. Möglichkeiten hierzu gab es viele, wie die heute noch erhaltenen und speziell für Düsseldorf ausgestellten Ablassbriefe belegen. Wer Geld hatte, stiftete der Lambertuskirche kleine oder größere Kapitalien, um für das eigene Seelenheil vorzusorgen. Die Stiftungsfreude der Düsseldorfer reichte von Mess-Stipendien, Altarbenefizien, Kunstwerken, liturgischen Geräten bis hin zur Einrichtung geistlicher Stellen. Ausfluss des Stiftungswesens ist auch das der Pfarrkirche seit 1288 angeschlossene Kanonikerstift, das wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung die damalige Stadtwerdung von Düsseldorf maßgeblich beeinflusste. Die Kanonikate am Stift waren gut dotiert und boten den Stelleninhabern, die keine Pfarrseelsorge ausübten, sondern allein für das Seelenheil der Stifter zu beten hatten, ein sicheres Auskommen.

Ein wesentliches Merkmal für die Düsseldorfer Frömmigkeit war die Heiligenverehrung. Hierzu waren in Lambertus eine Vielzahl von Figuren, Bildern und Reliquien aufgestellt. Für alle Krankheiten und jeden nur erdenklichen Notfall gab es einen Heiligen, ebenso für jede in der Stadt vertretene Berufsgruppe. Die über das Jahr verteilten Prozessionen und Wallfahrten galten den Gläubigen als Symbol für ihren eigenen Lebensweg. Wie andernorts schlossen sich auch in Düsseldorf die Laien in Bruderschaften zusammen, um das Seelenheil der Mitglieder zu fördern. Vor der Reformation gab es hier drei Bruderschaften, unter ihnen die erstmals 1435 erwähnte und heute noch bestehende Sebastianusbruderschaft. Die Mitglieder verpflichteten sich zur Teilnahme an Gottesdiensten und Andachten, zum täglichen Gebet und zum Leichenkondukt. Auch Spenden und Almosen an Bedürftige gehörten zum Pflichtenkatalog.

Der Düsseldorfer um 1500 war, soweit wir das heute nachvollziehen können, fromm. Als Martin Luther 1517 in Wittenberg seine Thesen postete, dauerte es etwa ein Jahrzehnt, bis die Botschaft Düsseldorf erreichte, und über ein halbes Jahrhundert, bis die Anhänger der Lehre eine Gemeinde bildeten. Bis zu Beginn der preußischen Herrschaft blieben Protestanten eine Minderheit. 1817 gab es hier 19.909 Katholiken und 2440 Protestanten. Noch heute leben in der Stadt mehr Katholiken als Protestanten.

UNSER AUTOR IST HISTORIKER UND BESCHÄFTIGT SICH VORRANGIG MIT THEMEN DER STADTGESCHICHTE.

(RP)
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