Laienrichter in NRW Warum Schöffen immer öfter Ärger mit ihren Chefs bekommen

Düsseldorf · Fast 16.000 Menschen in NRW sind ehrenamtlich als Schöffe vor Gericht aktiv. Manch Laienrichter fehlt seinem Arbeitgeber wegen langer Verfahren über Wochen. Das sorgt für Ärger.

 Eine wichtige, aber zeitlich aufwendige Aufgabe: Schöffe. (Symbolfoto)

Eine wichtige, aber zeitlich aufwendige Aufgabe: Schöffe. (Symbolfoto)

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Fast 16.000 Menschen in NRW sind ehrenamtlich als Schöffe vor Gericht aktiv. Manch ein Laienrichter fehlt seinem Arbeitgeber wegen langer Verfahren über Wochen. Das sorgt für Ärger.

Die gesetzlichen Vorschriften sind klar - eigentlich: "Niemand darf bei der Übernahme oder der Ausübung des Amtes als Schöffe beschränkt oder benachteiligt werden." So steht es im deutschen Richtergesetz. Doch im Alltag sieht das oft anders aus: "In den letzten Jahren gab es zunehmend Unternehmen, und auch öffentliche Verwaltungen, die ihren Mitarbeitern große Schwierigkeiten bereiten", sagt Ulla Sens, NRW-Vorsitzende des "Bund ehrenamtlicher Richter". Streitpunkt ist vor allem die Zeit vor Gericht, für die Schöffen vom Arbeitgeber freigestellt werden müssen.

Denn Urteile des Bundesarbeits- und Bundesverwaltungsgerichts haben in den vergangenen Jahren Ausnahmen geschaffen, die Berufstätigen in Gleitzeit Probleme bereiten. "Arbeitgeber müssen nur noch die Zeit vor Gericht gutschreiben, die in die Kernarbeitszeit fällt. Wenn diese Zeiten aber gar nicht festgelegt sind, wird häufig überhaupt keine Gerichtszeit anerkannt. Das kann sich für Schöffen dann existenzbedrohend auswirken", sagt Sens. Konflikte sind hier unvermeidbar.

AOK-Mitarbeiter ringen um Kompromiss

So wie im Fall von Christian Müller* (Name geändert), einem Angestellten der AOK Rheinland in Düsseldorf. Seinen richtigen Namen möchte er nicht veröffentlicht sehen, weil er neuen Ärger mit seinem Arbeitgeber fürchtet. Seit 2013 ist er als Schöffe vor einem Landgericht aktiv, seit diesem Jahr wollte sein Arbeitgeber die Zeit vor Gericht plötzlich nicht mehr anerkennen. "Ich sitze aktuell in einem besonders intensiven Fall, wir hatten seit März 2017 fast 30 Verhandlungstermine", sagt Müller. Die Zeit vor Gericht sollte er nun mehr als Freizeit betrachten, seine Arbeitsstunden außerhalb der Verhandlungen einplanen. Etwa 20 Stunden seien es im Jahr 2018 bislang, die sein Arbeitgeber zunächst nicht anerkennen wollte. "Da sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden", sagt Müller. Er wendete sich an den Personalrat, andere Betroffene meldeten sich ebenfalls, am Ende gab es einen Kompromiss: "Der Vorstand hat entschieden, dass die Zeit vor Gericht weiterhin gut geschrieben wird, nur die Fahrzeit nicht mehr", sagt Müller.

Das Unternehmen bestätigt die Regelung auf Nachfrage und teilt mit: "Diese Regelung betrachten wir als sehr kulant." Neun Mitarbeiter seien aktuell als Schöffe tätig, für jeden von ihnen seien im vergangenen Jahr 70 Arbeitsstunden gutgeschrieben worden. "Damit unterstützen wir die Schöffentätigkeit insgesamt und erkennen diese wertschätzend an", sagt eine Sprecherin. Für Müller ist diese Regelung letztlich ein Erfolg: "Andernfalls wäre der gesamte Jahresurlaub in Gefahr gewesen. Man stelle sich vor, ich hätte den Loveparade-Prozess begleiten müssen – da hätte ich dann wohl kündigen müssen."

Oppenheim-Prozess sorgte für 130 Ausfalltage

Ein Schöffe am Landgericht Köln berichtet vom ersten Verfahren im Fall um die Privatbank "Sal Oppenheim" aus dem Jahr 2013. Das Verfahren dauerte letztlich über zwei Jahre. "Angesetzt waren zunächst 70 Termine. Bei einem Schöffen hat der Arbeitgeber sofort gesagt, dass das nicht geht. Der wurde dann vom Gericht ersetzt", so der Schöffe, der ebenfalls anonym bleiben möchte. In Verfahren wie dem Oppenheim-Prozess werden zwei Haupt- und zwei Ersatzschöffen benötigt, alle Beteiligten müssen an allen Prozesstagen anwesend sein - im Fall Oppenheim waren es am Ende über 130 Tage. "Eine Schöffin wurde während des Verfahrens krank, für die war die Verhandlung damit erledigt", erinnert sich der Schöffe. Er selbst war zum Zeitpunkt des Prozessbeginns bereits im Ruhestand. "Das war mein Glück, im Job hätte ich wohl einen Weg finden müssen, aus dem Verfahren raus zu kommen."

Genau dieses Problem haben laut Verband viele Schöffen, die in einen der längeren Prozesse berufen werden. "In diesen Fällen werden Schöffen angehalten, das Amt niederzulegen oder gar nicht erst anzunehmen", sagt Ulla Sens. Sowohl private Arbeitgeber als auch Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes seien bereits negativ aufgefallen. Und: Wer als Schöffe in einem Bewerbungsprozess sei, habe schlechtere Chancen, genommen zu werden. "Schöffen berichten davon, dass sie bei der Einstellung gefragt wurden, ob sie ein Ehrenamt ausüben, das sie in ihrer Präsenz am Arbeitsplatz beeinträchtigen könnte", sagt Sens. Sie fordert von der Politik eine Anpassung des Richtergesetzes: "Es muss deutlich gemacht werden, dass ehrenamtlichen Richter ohne Ausnahme für die gesamte Zeit ihres Dienstes freigestellt und bezahlt werden müssen." Sie sorgt sich um die Attraktivität des Amtes.

Und tatsächlich suchen zahlreiche Städte in NRW weiterhin nach Bewerbern. In diesen Tagen endet vielerorts die Bewerbungsphase um die neue Amtszeit, die am 1. Januar 2019 beginnt. In Düsseldorf liegen bislang rund 1400 Bewerbungen vor, 1848 werden benötigt. In Bonn fehlten zuletzt noch rund 200 Bewerber, in Wuppertal läuft die Bewerbungsphase noch bis Mitte Juni, hier werden noch rund 300 Bewerber gesucht. Insgesamt steigt die Zahl der benötigten Schöffen von 15.800 auf über 17.100 an.

Christian Müller wird sich trotz der Einigung mit der AOK nicht mehr als Laienrichter bewerben. "Ich habe das Amt sehr gerne ausgeübt, aber die zeitliche Belastung, der Streit mit dem Arbeitgeber und private Gründe haben dafür gesorgt, dass ich mich nicht mehr bewerbe."

(cbo)
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