„Sechs Gramm Caratillo“ Schauspiel Düsseldorf zeigt Sterben in Echtzeit

Düsseldorf · Als das Stück beginnt, hat der Hauptdarsteller noch genau eine Stunde zu leben. Der junge Medizinstudent schluckt sechs Gramm des tödlichen Giftes Caratillo und weiß, dass in den damit anbrechenden finalen 60 Minuten seines Lebens zunächst Lähmungserscheinungen eintreten, dann der Tod. Unweigerlich.

Es ist ein Selbstversuch mit gewissem Ausgang. Der Student will die Auswirkungen des Giftes dokumentieren - und festhalten, was in einem Menschen vor sich geht, wenn er bewusst die letzten Minuten seines Lebens erlebt. Ein Selbstmord mit Verzögerung, ein grausiges Experiment.

Die Erzählung "Sechs Gramm Caratillo" von Horst Bienek hat Jean-Luc Bubert, Mitglied des Ensembles am Düsseldorfer Schauspielhaus, jetzt im Unter Haus, der Experimentierbühne des Theaters, als Ein-Mann-Stück auf die Bühne gebracht. Er schluckt das Gift, stellt den Wecker, schaltet eine Kamera ein: Der düstere Countdown beginnt. Die Zuschauer erleben das Sterben eines Menschen in Echtzeit, eins zu eins, als Tatzeugen.

Bubert gelingt es schnell, sein Publikum in diese düstere Versuchsanordnung zu ziehen, sie von der Ernsthaftigkeit zu überzeugen, mit der der junge Student sein Leben hingibt, "um nicht umsonst zu sterben". Bubert zeigt einen selbstironischen Selbstmordkandidaten, der seine Tat nicht zum heroischen Martyrium stilisiert, sondern neugierig und melancholisch auf sein Ende wartet. Bubert gelingen sogar komische Momente, als der Student probt, wie der letzte Atemzug zu nehmen sei. Auch hat Bubert das nötige Rhythmusgefühl für einen solchen Abend, führt in diverse Stimmungslagen, lässt Dramatik entstehen und letzte Momente - ganz menschlich - einfach vergehen.

Wenig überzeugend ist dagegen das Stück selbst. Eigentlich ist die Idee ja spannend, die Gedanken eines Menschen zu protokollieren, der auf den sicheren Tod zugeht. Doch erweisen sich diese Gedanken als überaus banal. Der Student wird von Vater-Krieg-Verlustträumen gebeutelt, ohne dass dies vertieft würde. Dann ziehen Lebensszenen an ihm vorüber, von einer Liebe zu einer älteren Frau ist zu erfahren, von einem väterlichen Professor. Originell ist das nicht.

Außerdem tritt Bubert an entscheidender Stelle aus seiner Rolle, gerade als die Zuschauer gebannt sind von ersten Panikwellen des Studenten (Inszenierung: Alexander Cröngen). Eine Brechung ohne Erkenntnisgewinn. Und sich auf demselben Weg aus dem Stück zu schleichen, wird der Spannung auch nicht gerecht. Aber das Unter Haus ist eine Experimentierbühne und die darstellerische Leistung von Bubert allemal sehenswert.

Info Wieder zu sehen am 5. und 19. Juni. Kartentel.: 0211/36 99 11

(RP)
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