„Sayonara Nukes Düsseldorf“ Japanische Aktivistinnen aus Düsseldorf kämpfen gegen Atomkraft

Düsseldorf · Atomkraft? Nein, danke – höflichst. Kazuko Kanuma-Kölzer und ihre Mitstreiter kämpfen seit der Katastrophe von Fukushima gegen die Politik der japanischen Regierung. Und das unermüdlich - auch wenn gerade Düsseldorfer Japaner ihren Protest ignorieren.

Kazuko Kanuma-Kölzer (in der Mitte mit gelbem Stirnband) bei einer „Sayonara Nukes“-Demonstration im März.

Kazuko Kanuma-Kölzer (in der Mitte mit gelbem Stirnband) bei einer „Sayonara Nukes“-Demonstration im März.

Foto: Kazuko Kanuma-Kölzer

Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Wer also einen wahnsinnig schweren Körper sehr, sehr langsam in Bewegung versetzt, beweist viel Kraft. Man sieht es nur nicht.

Freitagnachmittag. Vier Frauen sitzen im Gerhard-Hauptmann-Haus. Kazuko Kanuma-Kölzer, 63, Übersetzerin. Toyo Washio, 68 Jahre alt, früher Bankangestellte, dann lange Hausfrau und Mutter. Hiroko Fujii, 74. Und Petra Alt, 50 Jahre alt, Sonografin am Evangelischen Krankenhaus.

Die Bewegung, die sie angestoßen haben, vollzieht sich – wenn überhaupt – sehr, sehr langsam. Aber der Körper, den sie zu bewegen versuchen, ist auch wahnsinnig träge. Sie und die anderen Mitglieder der Gruppe „Sayonara Nukes Düsseldorf“ wollen nicht weniger als das Ende der Atomkraft, und zwar nicht nur in Japan, sondern auf der ganzen Welt. „Hände weg von der Atomkraft“, sagt Toyo Washio mit Nachdruck. Seit acht Jahren kämpfen sie für dieses Ziel. Seit der Atomkatastrophe von Fukushima. Sie kämpfen langsam – aber sehr geduldig.

Als Petra Alt am Morgen des 11. März 2011 das Radio einschaltete, beeindruckte sie die Nachricht vom Erdbeben vor der japanischen Küste nicht besonders. „Die gibt’s dort ja häufiger“, sagt sie. In den 1990ern hatte sie anderthalb Jahre in Japan gearbeitet und war seitdem jedes Jahr dort. „Japan ist für mich eine zweite Heimat.“

Abends habe sie dann in der Tagesschau gehört, dass auch das Atomkraftwerk Fukushima betroffen sei. „Ich habe gedacht, das haben die morgen wieder im Griff“, sagt sie. „Ich war fest davon überzeugt.“

„Wirklich? Ich nicht“, sagt Toyo Washio, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt. Sie stammt aus der Präfektur Kumamoto auf der südlichsten japanische Insel Kyushu. In jungen Jahren kam sie nach dem Germanistik-Studium ins Rheinland, um ihre Deutschkenntnisse auszubauen, arbeitete dann lange bei einer japanischen Bank. Einer ihrer Kunden dort war der Vater von Kazuko Kanuma-Kölzer. Er war im Import-/Export-Geschäft und hatte seine Familie 1966 nach Düsseldorf gebracht, Kazuko war noch sehr klein. Später studierte sie Naturwissenschaften und arbeitete bei Henkel im Labor, „aber Forschen war nicht so mein Ding“, sagt sie und lacht. Inzwischen ist sie Dolmetscherin und Übersetzerin.

Das Erdbeben vom 11. März 2011 und der darauf folgende Tsunami lösten in Fukushima drei Kernschmelzen und mehrere Explosionen aus. Radioaktives Material verstrahlte die Gegend, zehntausende Menschen mussten evakuiert werden. Sie verloren ihre Heimat, fast ihren gesamten Besitz, ihr soziales Umfeld und ihre Arbeit. Eine Katastrophe, die nach Ansicht der Frauen von „Sayonara Nukes“ nicht hätte passieren müssen. „Pfusch am Bau“, sagt Kazuko Kanuma-Kölzer. „Als die Atomkraftwerke errichtet wurden, wurde am falschen Ende gespart. Die Chefs bei Tepco wussten, wie groß die Gefahr ist – haben das aber verschwiegen.“ Sie klingt nicht wütend, nicht bitter – nur traurig. „Zum Beispiel waren die Wasserpumpen aus Kostengründen viel zu niedrig angebracht“, erzählt Petra Alt. „Als der Meeresspiegel stieg, kam man nicht mehr dran. So konnte man den Reaktorkern nicht kühlen.“

Gefunden hat sich die Gruppe zufällig, eine kannte die andere, schließlich vernetzte man sich und bildete einen kleinen Düsseldorfer Ableger der japanischen Bewegung „Sayonara Nukes“. Etwa 15 Mitglieder hat die Gruppe. Sie eint ihre Überzeugung, dass Atomkraft eine gefährliche Technologie ist, dass die japanische Regierung die Folgen von Fukushima herunterspielt – und dass die Opfer nach wie vor die ehemaligen Bewohner der Region sind, die inzwischen keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten und deshalb gezwungenermaßen in ein Gebiet zurückkehren, das nach Überzeugung vieler Wissenschaftler noch nicht wieder bewohnbar ist. „Man hat dort in den Siedlungen oberflächlich das verstrahlte Material abgetragen“, erklärt Kanuma-Kölzer. „Aber im Wald ist die Strahlung weiter hoch – und wenn es regnet, wird alles in die Städte und Dörfer gespült.“

Bei ihrer ersten Demo liefen die Mitglieder von „Sayonara Nukes“ über die Immermannstraße und verteilten Flugblätter. „Auch meine Mutter hat mitgemacht“, sagt Kazuko Kanuma-Kölzer. „Sie ist 88. Unglaublich, wie abweisend und unhöflich manche Menschen zu ihr waren.“ Die Japaner in Düsseldorf wollten nichts mit Politik zu tun haben, sagt sie. „Selbst die besten Freunde interessieren sich nicht.“

Aber die „Sayonara Nukes“-Aktivisten geben nicht auf: Aktuell zeigen sie Bilder des renommierten Fotografen Kenji Higuchi, der kurz nach der Katastrophe am Unfallort Bilder machte, im Gerhard-Hauptmann-Haus. Anfang März demonstrierten sie in Düsseldorf gegen die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio – für die Japan Geld ausgibt, das besser den Katastrophen-Opfern zugute kommen sollte, finden sie. Unlängst war „Sayonara Nukes Düsseldorf“ in Tihange und reihte sich in eine Menschenkette gegen Atomkraft ein. Und am Wochenende ging es nach Aachen, wo zwei Mütter, die mit ihren Kindern aus Fukushima flüchten mussten, einen Vortrag halten.

Woher nehmen sie die Kraft, trotz des Desinteresses ihrer Landsleute weiterzumachen? „Wir lieben Japan“, sagt Kazuko Kanuma-Kölzer. „Aber dort kann man sich über das Thema nicht aus objektiven Quellen informieren. So versuchen wir von hier aus, das Thema im Bewusstsein der Menschen zu halten.“ Sie seufzt. „Man kann es ihnen nur immer wieder erzählen. Immer wieder.“

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