Düsseldorf Rotlicht-Prozess: Wackelt die Anklage?

Düsseldorf · Wieder hat die Verteidigung einen Zeugen demontiert, der in einem der Bordelle an der Rethelstraße betäubt und beraubt wurde. Der Mann schrieb der Prostituierten am Tag nach der angeblichen Tat eindeutige Textnachrichten.

 Der Hauptangeklagte Thomas M. bei Prozessbeginn im Juli 2013 zwischen seinen Verteidigern Benedikt Pauka (r.) und Johannes Daners

Der Hauptangeklagte Thomas M. bei Prozessbeginn im Juli 2013 zwischen seinen Verteidigern Benedikt Pauka (r.) und Johannes Daners

Foto: Schaller

Gleich nach der Vernehmung eines Gutachters, der Auskunft über die Wechselwirkung von Drogen und Alkohol gab, ließ Strafverteidiger Benedikt Pauka seine Bombe platzen: die Auswertung von Mobilfunkdaten eines der Rethelstraßen-Opfer durch das Landeskriminalamt. Ob man wenige Stunden nach Einnahme der in Rede stehenden Betäubungsmittel wohl in der Lage sein könne, fehlerfreie Textnachrichten ins Handy zu tippen, fragte er den Experten — und dann las er die Nachrichten vor.

"Schwingt eure Luxuskörper zur mir ins Hotel" hatte ein Augenarzt an die Prostituierte Leyla geschrieben, in offensichtlicher Begeisterung über seinen Besuch im Bordell, und die junge Frau samt Freundinnen zu sich eingeladen. Schlecht für die Anklage: Der SMS-Schreiber, ein Augenarzt aus Südhessen, der einen Kongress in Düsseldorf zum Abstecher ins Rotlicht genutzt hatte, soll eines jener Opfer sein, die in den drei Bordellen systematisch mit Drogen außer Gefecht gesetzt und dann per Kreditkarte ausgeplündert wurden.

"Schreibt man solche Nachrichten, wenn man gerade betäubt und beraubt worden ist?", fragt Anwalt Pauka mit kaum verhohlener Schadenfreude. Die Antwort gilt unter Prozessbeobachtern als offensichtlich: Leyla, der die Anklage ausschließlich den Fall des Augenarztes vorwirft, darf wohl in den nächsten Tagen mit einem vorzeitigen Freispruch rechnen.

Dabei ist der Coup, der die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen schwer erschütterte, nicht einmal ihrem Verteidiger gelungen, sondern dem des Hauptangeklagten Thomas M., früher gemeinsam mit dem TV-Promi Bert Wollersheim Betreiber der Bordelle. War Wollersheim nach mehreren Wochen Untersuchungshaft noch auf freien Fuß gesetzt und gar nicht erst angeklagt worden, wirft die Staatsanwaltschaft M. vor, den Plan für die Ausplünderung von Gästen seiner Etablissements ausgetüftelt zu haben. Acht weitere Angeklagte hätten den Plan der Anklage zufolge ausgeführt. Die Opfer seien mit K.O.-Tropfen oder Kokain betäubt worden, danach seien ihre Kreditkarten bis zum Limit belastet worden, heißt es. Von mehr als 17 Fällen gingen die Ermittler anfangs aus.

Der Augenarzt, dem die SMS an die Frau, die ihn angeblich bestohlen hatte, wohl in seinen Vernehmungen bei der Polizei entfallen waren — auch die Angeklagte Leyla hatte sich offenbar erst anderthalb Jahre nach ihrer Festnahme daran erinnert — ist nicht der einzige Zeuge, der die Anklage erschüttert. So hatte ein anderer Freier beteuert, er habe vor seinem Bordellbesuch bloß drei Gläser Wein getrunken. Doch die Verteidigung präsentierte eine zweite Rechnung seines Hotels, die deutlich mehr Drinks bescheinigte. Ein anderer erschien mit 3,6 Promille vor Gericht, entpuppte sich als Alkoholiker, will aber vor der angeblichen Tat stocknüchtern gewesen sein. Und bei einem dritten Zeugen wies die Verteidigung per Haaranalyse nach, dass er regelmäßig ganz bewusst Kokain nimmt.

Einer der Angeklagten, dem in erster Linie vorgeworfen wird, die übrigen Bordell-Mitarbeiter mit Kokain versorgt zu haben, hatte bereits am vergangenen Freitag ein Geständnis angekündigt — doch mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des Mammutprozesses hatte die Strafkammer dafür keine Zeit und den Verhandlungstag nach einer Zeugenvernehmung beendet. Nach dem Wochenende dann hatte Anwalt Pauka die Textnachrichten in den Prozess eingeführt. Und auch gestern kam es nicht zum angekündigten Geständnis: Diesmal fehlte eine der Angeklagten. Die lebt bei ihrem Freund in Holland. Als die Polizei gestern früh überraschend dessen Wohnung nach Rauschgift durchsuchte, hatte man sie dort festgehalten. Sämtliche anderen Prozessbeteiligten mussten deshalb unverrichteter Dinge wieder gehen.

Was Anwalt Pauka derzeit freilich die Laune nicht verderben kann. Vier von fünf so genannten Opferzeugen hat er vor der Strafkammer demontiert und sieht bestätigt, was er seit Beginn der Ermittlungen sagt: Die Anklage sei nicht haltbar. Doch die Staatsanwaltschaft hat noch eine Menge Zeit, ihre Vorwürfe zu beweisen — der Prozess ist bis Ende des Jahres terminiert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort