Ljiljana Joksimovic Psychotherapie hilft Flüchtlingen

Düsseldorf · Die leitende Oberärztin am LVR-Klinikum über die Behandlung Traumatisierter - und den eigenen Werdegang als Flüchtling in Deutschland.

 Ljiljana Joksimovic arbeitet seit 2001 am LVR-Klinikum.

Ljiljana Joksimovic arbeitet seit 2001 am LVR-Klinikum.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Am LVR-Klinikum gibt es ein in der Region einmaliges Angebot für "Transkulturelle Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik", ein ambulantes Netzwerk von Sprechstunden in der Institutsambulanz, das speziell auf die Behandlung von Migranten und traumatisierten Flüchtlingen eingestellt ist. Ljiljana Joksimovic (50) ist seit sechs Jahren leitende Oberärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und hat das Angebot maßgeblich mit aufgebaut.

Wie ist das Angebot entstanden und wieso braucht man es überhaupt?

Joksimovic Die Psychotherapie für Flüchtlinge in unserer Ambulanz ist entstanden aus einem Forschungsprojekt vor mehr als zehn Jahren. Wir konnten nachweisen, dass eine muttersprachliche traumaspezifische und kultursensible Psychotherapie zu einer signifikanten Besserung sowohl der Traumasymptomatik als auch psychosomatischer Beschwerden führt. In der Studie ging es vor allem um schwer traumatisierte und komplex psychisch erkrankte Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina. Viele Flüchtlinge sind traumatisiert, und die Behandlung stellt herkömmliche Ambulanzen vor Probleme, unter anderem wegen der Sprachbarriere. Wir haben gemerkt, dass wir als Ärzte und Psychotherapeuten uns dem Problem stellen müssen. Inzwischen haben wir viel mehr für diesen Bereich qualifizierte Kollegen, als das vor zehn Jahren der Fall war.

Warum sind denn viele Flüchtlinge traumatisiert?

Joksimovic Das kommt natürlich auf den Einzelfall an. Viele sind Zeugen von Gewalt, Verletzungen, Verhaftungen oder Verschleppungen geworden oder haben so etwas selbst erlebt. Es geht auch oft um den Verlust von Angehörigen, Freunden und Hab und Gut, auch um das Leben im Krieg. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fluchtgeschichte mit Erfahrungen von Ungewissheit und großer körperlicher und seelischer Erschöpfung einhergeht. Traumatisierung kumuliert sich. Und auf solche Erlebnisse bereitet einen keine Sozialisation vor. Das kann unsere Bewältigungskräfte überfordern.

Sie befassen sich mit psychosomatischen Störungen.

Joksimovic Ja. Wir behandeln oft Menschen, die körperliche Beschwerden und Schmerzen haben, ohne dass sich ein auffälliger körperlicher Befund findet. Das können zum Beispiel Herz-Rhythmus-Störungen, Schwindel, Rücken- oder Bauchschmerzen, aber auch eine Verschlechterung einer bestehenden Krankheit wie Diabetes sein. Das kann alles Folge einer Traumatisierung sein.

Behandeln Sie mehr Patienten, seit mehr Flüchtlinge nach Düsseldorf gekommen sind?

Joksimovic Wir merken bislang nur einen geringen Anstieg. Das heißt aber nicht, dass es solche Probleme nicht gäbe. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit psychischen Problemen nach der Ankunft nicht sofort zum Psychotherapeut oder zum Psychiater gehen. Dazu kommt, dass Ärzte den traumatischen Ursprung dieser Beschwerden nicht erkennen, wenn sie dafür nicht geschult sind. Aber auch die Prägung im Heimatland spielt bei Inanspruchnahme der Psychotherapie eine Rolle.

Wie meinen Sie das?

Joksimovic Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen psychosomatische Krankheiten unbekannt sind und können die Beschwerden deshalb nicht einordnen. Der Umgang mit gesundheitlichen Beschwerden ist auch ein kulturelles Phänomen. Wir denken manchmal: Wo wir sind, ist der Mittelpunkt der Welt. Da müssen wir auch im Gesundheitswesen Aufklärung leisten, um besser Patienten zu verstehen.

Warum ist eine Traumatherapie für Flüchtlinge denn wichtig?

Joksimovic Eine Psychotherapie befördert in vieler Hinsicht die Integration. Eine posttraumatische Störung ist zum Beispiel auch eine Lernstörung: Die Menschen leiden unter innerer Unruhe, Konzentrationsstörungen und Ängstlichkeit. Sie lernen dadurch langsamer Deutsch.

Was macht die Ambulanz besonders? Geht es vor allem um Fremdsprachen?

Joksimovic Nicht nur. Wir arbeiten mit qualifizierten Sprach- und Kulturmittlern, die bei der Übersetzung helfen. Einiges läuft in einer Therapie aber auch nonverbal. Wenn eine Bereitschaft da ist, sich zu verständigen, können auch schlichte Mittel reichen. Wichtig für die Behandlung von Flüchtlingen ist Kultursensibilität und Verständnis für diese besondere Lebenslage.

Sie informieren sich also über fremde Kulturen?

Joksimovic Man kann sich nicht in 190 anderen Kulturen auskennen. Das würde auch zu kurz greifen: Menschen kommen natürlich auch aus völlig unterschiedlichen Milieus in ihren Heimatländern. Der kulturelle Hintergrund interessiert uns so lange, wie er krankheitsrelevant ist. Es ist aber wichtig, dass sich Flüchtlinge nicht in eine Schublade gesteckt fühlen. Das spüren Menschen sehr schnell. In der Therapie verfolgen wir einen Diversity-Ansatz.

Was heißt das?

Joksimovic Es gibt zwischen allen Menschen Unterschiede, aber eben auch Gemeinsamkeiten. So unterschiedlich sind wir nicht, auch wenn wir aus verschiedenen Ländern kommen. Diese gemeinsamen Erfahrungen zu finden, ist wichtig für eine gute therapeutische Beziehung. Das können Gemeinsamkeiten durch alters- oder geschlechtstypische Rollen sein, oder, dass beide mal studiert haben.

Befassen Sie sich mit dem Thema, weil Sie selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen sind?

Joksimovic Ja, auch, das war der Auslöser. Ich habe im Alter von 28 Jahren als studierte Ärztin aus Bosnien nach Deutschland flüchten müssen. Ich habe selbst beobachtet und miterlebt, welche seelischen, körperlichen und sozialen Folgen Krieg und Vertreibung auf Menschen haben. Deshalb habe ich mich später mit Psychosomatik befasst.

Sie haben damals in Deutschland aber nicht sofort als Ärztin gearbeitet.

Joksimovic Nein, ich bekam keine Erlaubnis. Erst als nach acht Jahren meine Einbürgerung möglich wurde, erhielt ich die Möglichkeit durch eine Prüfung den gleichwertigen Kenntnisstand nachzuweisen und die deutsche Approbation zu erlangen. Ich finde, das ist einer der Punkte, der sich im Umgang mit Flüchtlingen ändern muss.

Wieso?

Joksimovic Ich kam damals direkt von der Universität und war trotz den kriegs- und fluchtbedingten Strapazen hoch motiviert. Ich habe mich damals gefühlt wie ein Leistungssportler, der nicht an Wettkämpfen teilnehmen kann. Ich würde heute sagen: Ich habe die entscheidenden Jahre meines Arbeitslebens verloren. Menschen brauchen die Möglichkeit, sich beruflich zu entwickeln. Auch wenn es offen ist, ob jemand am Ende in Deutschland bleibt. Man verliert sonst auch den Anschluss im Heimatland.

Wie haben Sie diese Zeit damals überbrückt?

Joksimovic Ich habe intensiv Deutsch gelernt, habe zwei Jahre als Altenpflegerin gearbeitet. Dann wurde meine Arbeitserlaubnis nicht verlängert. Das war schlimm. Später fand ich die Möglichkeit eines Aufbau-Studiums zum Medizinstudium. Das war mein Sprungbrett.

Sie halten auch Vorträge, um über den Umgang mit Flüchtlingen zu informieren. Warum?

Joksimovic Ich finde, die Menschen müssen Fragen stellen dürfen und Antworten bekommen, übrigens auch von der Politik. Je mehr Bedenken und Unsicherheiten man ausräumen kann, um so besser für alle Beteiligten. Man kann Flüchtlinge niemandem aufdrücken. Sie sind Menschen und keine Gepäckstücke.

ARNE LIEB FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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