Prozess um Wehrhahn-Attentat „Schwerster Fehler der Geschichte“

Am Freitag vor 18 Jahren explodierte der Sprengsatz am Wehrhahn. Im Landgericht wurden am Donnerstag die Plädoyers gehalten. Beobachter erwarten einen Freispruch für den Angeklagten.

 Im Januar begann der Prozess gegen Ralf S. Das öffentliche Interesse hat seitdem nachgelassen.

Im Januar begann der Prozess gegen Ralf S. Das öffentliche Interesse hat seitdem nachgelassen.

Foto: Endermann, Andreas/Endermann, Andreas (end)

Alles an diesem Prozess ist außergewöhnlich. Die Grausamkeit des Verbrechens, um das es hier geht, ist es bereits gewesen, und dass gegen einen Mann wegen zwölffachen Mordversuchs verhandelt wird, der einige Wochen nach Prozessbeginn mangels dringenden Tatverdachts aus der Haft entlassen wird, ist es auch. In ihren Schlussvorträgen widmeten sich am Donnerstag, nach 32 Verhandlungstagen, Staatsanwalt und Nebenkläger nicht nur den Beweisen und Indizien gegen Ralf S., sondern gingen auch mit der 1. Großen Strafkammer ins Gericht. „Wenn der Wehrhahn-Anschlag das schwerste Verbrechen in der Düsseldorfer Nachkriegsgeschichte war, dann ist diese Kammer dabei, den schwersten Fehler der Nachkriegsgeschichte zu begehen“, sagte Nebenklage-Vertreter Juri Rogner.

Das Schwurgericht hatte im Mai unter anderem erklärt, den widersprüchlichen Aussagen des Ex-Soldaten Ralf S. keine Bedeutung beizumessen, da sie entweder Prahlereien seien oder dem Bemühen entsprängen, die Tat zu bestreiten, in jedem Fall von geringem Wahrheitsgehalt seien. Nun dürfen Angeklagte im deutschen Strafprozess zwar lügen. Doch dass die Lügen des Ralf S. in der Beweiswürdigung nicht einmal etwas ausmachen sollten, dafür hat auch Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück kein Verständnis. Die Lügen dieses Angeklagten begännen, als er im Juli 2000 zum ersten Mal in den Ermittlungen auftauchte. In seiner ersten Vernehmung hat er angegeben, seine Mutter sei tot – wohl um zu vermeiden, dass sie ihre Kritik an seinem rechtsextremen Gedankengut aktenkundig machen könnte.

Er hat aus Sicht der Anklage gelogen, als er behauptete, nicht schweißen zu können, bei allen Varianten seines Alibis, als er angab, die Sprachschüler, die täglich ins Haus gegenüber seines ­Militarialadens gingen, nie zur Kenntnis genommen zu haben, als er behauptete, Jugoslawen hätten ihm Handgranaten zum Kauf angeboten, und auch, als er versicherte, mit dem Mitgefangenen, der ihn Anfang der Woche schwer belastet hat, nie gesprochen zu haben. „Dieser Zeuge wusste Details aus dem Prozess, über die nie berichtet wurde – nur der Angeklagte kann sie ihm gesagt haben“, erklärte der Staatsanwalt.

Es gibt viele Äußerungen des Ralf S., die nicht einfach als Geschwätz eines „Dampfplauderers“ abzutun sind, als den Verteidiger Ingo Schmitz S. charakterisiert. Seine frühere Frau erinnert sich, wie er einmal über die gemeinsamen Kinder sprach. „Drei Mal habe ich großes Glück gehabt, und wenn du die Wehrhahn-Sache dazunimmst sogar vier“, soll er gesagt haben. Das Gericht hält für möglich, dass er damit die ersten Ermittlungen meinte, die gegen ihn eingestellt worden waren. 15 Jahre danach? Das halten Staatsanwalt und Nebenkläger für lebensfremd.

Oder das Gespräch mit einem Bekannten, dem er von seiner Vernehmung bei der Polizei berichtet. Er sei „hart ausgebildet, aus mir kriegen sie auch unter Folter nichts raus“, hat er da gesagt. Was wäre denn herauszukriegen? Ein Unschuldiger, selbst wenn er so irrational ist wie S., würde einen solchen Satz nicht sagen. Gefragt, warum er kurz nach der Explosion zum Tatort eilte, hatte S. erklärt, er hätte sich sonst verdächtig gemacht. Warum sollte es Verdacht erregen, wenn einer nicht da ist, der nichts damit zu tun hat? Nebenklage-Anwalt Michael Rellmann brachte es in seinem Plädoyer auf den Punkt: „Wie vieler Versprecher, unbedachter Äußerungen, Geständnisse und Nebelkerzen des Angeklagten bedarf es, um den Zweifelgrundsatz außer Kraft zu setzen? – Theoretische Zweifel reichen für einen Freispruch nicht.“

Die Verteidigung gibt sich mit Zweifeln gar nicht erst ab. „Die Beweisaufnahme hat den Nachweis für die Täterschaft unseres Mandanten nicht erbracht“, sagt Schmitz. S. habe das Expertenwissen nicht, das für den Bau der Bombe nötig wäre, er habe niemals TNT gekauft und auch nicht zwei Mal Mitgefangenen erzählt, er habe in seinem Viertel aufgeräumt und „Kanaken weggesprengt“.

Tatsächlich hatten die Ausbilder bei der Bundeswehr, der S. vor 20 Jahren gedient hatte, berichtet, er habe keine Ausbildung mit Sprengstoff. Sie seien dabei so herumgeeiert, sagte Nebenklage-Anwältin Anne Mayer, dass sie den Eindruck gewann, die Zeugen hätten vor allem das Image der Bundeswehr schützen wollen. Wer will schon einem Attentäter beigebracht haben, wie man Bomben baut? Vor 18 Jahren hatte einer der beiden Zeugen aber noch ganz klar davon gesprochen, dass S. in Sachen Sprengstoff sehr versiert sei.

Und die Bundeswehr braucht zum Bau von Sprengfallen auch gar nicht, wer den Major von Dach kennt. Der hat das einzige schweizerische Buch geschrieben, dass in Deutschland verboten ist. Eine siebenbändige Anleitung für den totalen Guerilla-Krieg. Der Mitgefangene, dem S. Anfang des Jahres den Anschlag gestanden haben soll, hatte ihn auf den Major angesprochen. S. habe nicht den Eindruck gemacht, als kenne er die Werke nicht.

Die Verteidigung müht sich unterdessen um das Image eines „Dummschwätzers“ (Anwalt Schmitz) für ihren Mandanten, dessen Fremdenfeindlichkeit bestenfalls „Stammtischniveau“ habe, der aber harmlos sei und den rachsüchtige Ex-Freundinnen belasten wollten.

Die zahlreichen Verflossenen, die sich von S. teils mit Hilfe von Gewaltschutzverfügungen trenten, und deren Aussagen sich im Zeugenstand als wenig belastbar erwiesen, spielen für die Anklage längst keine Rolle mehr. Auch ohne dass jemand beteuert, S. habe die Tat schon im Vorfeld angekündigt, hält die Staatsanwaltschaft den Angeklagten für überführt.

In einem nämlich sind sich Kammer und Ankläger einig. Der Mann, der mit weinrotem Käppi heute vor 18 Jahren um 15.03 Uhr auf dem Stromkasten an der Gerresheimer Straße saß, der hat die Bombe gezündet. Es gab sogar schon damals eine Zeichnung von ihm. Eine Zeugin hat sie damals gesehen und gesagt: „Ach, das ist ja der Ralf.“ Der hat bestritten, so ein Käppi zu haben. Auch das war eine Lüge, hat sich herausgestellt. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger sind sicher: Der Mann auf dem Stromkasten war Ralf S.. „Soll ein Doppelgänger des Angeklagten der Täter gewesen sein?“ Zuviele „Zufälle“ in diesem Fall für den Staatsanwalt. Die Kammer hatte Zweifel geäußert.

Ralf S., dessen Anwältin Hülya Karaman gestern beantragt hat, ihn freizusprechen und „für alle Nachteile, die ihm durch die Ermittlungen entstanden sind, zu entschädigen“, will sich nach dem Urteil eine Zigarre gönnen.

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