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Prozess um Anschlagspläne für Düsseldorfer Altstadt „Saleh A. hat immer nur zum eigenen Vorteil gehandelt“

Düsseldorf · Die Pläne für ein Selbstmordattentat in der Düsseldorfer Altstadt hat sich der syrische IS-Kämpfer nur ausgedacht - davon sind die Richter überzeugt. Ins Gefängnis muss er trotzdem.

Prozess wegen geplantem IS-Attentat in Düsseldorf beginnt
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Foto: dpa, mku axs

Der Schreck und die Aufregung waren groß, als im Juni 2016 die ersten Meldungen über angebliche Pläne für ein IS-Attentat in der Düsseldorfer Altstadt an die Öffentlichkeit gelangten. Die Bundesanwaltschaft hatte eine Terrorzelle ausgehoben, drei Verdächtige waren festgenommen worden. Der mutmaßliche Kopf der Terrorzelle saß zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Monaten in Untersuchungshaft in Paris. Er hatte sich am 1. Februar 2016 den Behörden gestellt und die Anschlagspläne offenbart. „Terroristen wollten Bolkerstraße in die Luft sprengen“ - lauteten deutschlandweit die Schlagzeilen.

Seit Mittwoch ist klar - diese Anschlagspläne hat es nie gegeben. Der Hauptangeklagte im Terrorprozess, Saleh A., ist am Mittwoch von den Richtern in den Hauptanklagepunkten freigesprochen worden. A. hat sie nur erfunden, weil er sich durch seine Kooperation mit den Behörden eine Belohnung versprach. Er hoffte, dauerhaft in Deutschland bleiben und auch seine Frau und seine kleine Tochter nachholen zu dürfen.

Zwei Mitangeklagte, die zum Prozessbeginn im Juli 2017 neben ihm auf der Anklagebank Platz nahmen, hatte er zu Unrecht belastet. Sie wurden mittlerweile beide freigesprochen. Einer von ihnen, der Algerier Hamza C., wurde bereits abgeschoben.

Saleh A. kein religiöser Eiferer

Saleh A. wirkte nie wie ein ideologisch indoktrinierter Terrorkämpfer. Im Gerichtssaal trug er stets legere Kleidung, Jeans, Turnschuhe, Kurzhaarfrisur. Auch am Mittwoch erscheint er in einem adretten Hemd und Khaki-Hose. Er rauchte, trank und kiffte. Auch während der Prozesstage benötigte er regelmäßig Zigarettenpausen. In einem IS-Ausbildungslager in Syrien scheiterte er einmal, weil er beim Rauchen erwischt wurde.

„Ich bin kein religiöser Fanatiker“, hat Saleh A. zu Beginn des Prozess einmal zur damaligen Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza gesagt. Und die konnte nicht verstehen, dass einer, der angeblich für den IS ein Selbstmordattentat in der Düsseldorfer Altstadt plant, ideologisch nicht „voll auf Linie“ ist.

Man muss kein überzeugter Dschihadist sein, um für den IS in Syrien zu kämpfen, meint nun das Gericht. Saleh A., der inzwischen 30 Jahre alt ist, habe es dort sogar zum Anführer einer kleineren Kampfeinheit gebracht, ohne je einen Treueeid auf den IS abgelegt zu haben. Für ihn habe der Kampf gegen das Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad im Vordergrund gestanden, urteilten die Richter. Sieben Jahre muss Saleh A. nun ins Gefängnis. Der Bundesanwalt hatte achteinhalb Jahre Haft gefordert, die Verteidigung fünf. Der Gesetzgeber hat für die Verurteilung die rechtlichen Rahmenbedingen geschaffen. Seit 2014 können in Deutschland auch Straftaten verfolgt werden, die in Syrien und im Irak im Zusammenhang mit terroristischen Vereinigungen geschehen.

Verurteilung wegen IS-Mitgliedschaft

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass A. einen Schützen der syrischen Armee erschossen hat, weil dieser seinen Bruder zuvor getötet hatte. Außerdem habe er unerlaubt eine Kalaschnikow und andere Kriegswaffen besessen. Er hat zwischen 2012 und 2014 in mehreren fundamental-islamistischen Kampfgruppen gekämpft, zuletzt in der Terrororganisation IS. Der Angeklagte wirkt während der langwierigen, mehr als drei Stunden dauernden Urteilsverkündung teilweise abwesend, sitzt mit verschränkten Armen da. Als es um die Tötung des syrischen Soldaten geht, hört er jedoch aufmerksam zu, bittet den Richter, einen Satz wegen eines Übersetzungsproblems zu wiederholen.

Dass A. in den Hauptanklagepunkten freigesprochen werden würde, hatte sich bereits vor einigen Monaten abgezeichnet. Der 30-Jährige hatte nacheinander seine beiden Mitangeklagten entlastet und schließlich die Anschlagspläne widerrufen. „Saleh A. hat aktiv am Bürgerkrieg in Syrien teilgenommen“, sagte der Vorsitzende Richter Winfried van der Grinten. „Saleh A. hat stets zu seinem eigenen Vorteil gehandelt.“ Und so hätten ihn die Richter auch im Gerichtsverfahren erlebt. Als Opportunisten, der sich je nach Lage für oder gegen die Wahrheit entschied, der wahre Details aus seiner Biografie mit erfundenen Ideen verknüpfte. „Er hat versucht, seine Kenntnisse gewinnbringend zu verwerten“, sagte der Richter.

A. sagt als Zeuge in anderen Prozessen aus

Doch für die Behörden scheinen As. Angaben teilweise hilfreich gewesen zu sein. Das hat in der Argumentation der Richter letztlich dazu geführt, dass er nur für sieben statt für achteinhalb Jahre in Haft muss, wie vom Bundesanwalt gefordert. Denn A.s Hinweise hätten in mindestens vier Fällen zu weiteren Anklagen geführt. Er habe als Zeuge in weiteren Verfahren ausgesagt und den Ermittlern und Sicherheitsbehörden zudem geholfen, die Hierarchien und Strukturen des IS und anderer terroristischer Vereinigungen im Ausland zu verstehen. Wie belastbar diese Informationen sind, bleibt angesichts A.s Verhältnis zur Wahrheit fraglich.

Für Saleh A. nahm das Verfahren dennoch eine fast tragische Wendung: Sein Plan wendete sich gegen ihn. Er muss ins Gefängnis, in seiner Heimat gilt er als Verräter, seit Februar 2016 hat er keinen direkten Kontakt zu seiner Familie. Seine Frau starb in der Zwischenzeit bei einem Luftangriff, seine Tochter lebt bei A.s Eltern und seiner Schwester.

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