Interview: Norbert Woehlke "Ohne Abschluss keine Ausbildung"

Düsseldorf · Heute startet das neue Ausbildungsjahr. Norbert Woehlke ist Berufsbildungs-Chef bei der Industrie- und Handelskammer und weiß, welche Berufe im Trend liegen und in welchen Branchen es schwierig ist, Lehrlinge zu finden.

 Norbert Woehlke von der IHK berät auch Schulabgänger auf der Suche nach einem passenden Ausbildungsberuf.

Norbert Woehlke von der IHK berät auch Schulabgänger auf der Suche nach einem passenden Ausbildungsberuf.

Foto: hans-jürgen bauer

Herr Woehlke, heute beginnt das neue Ausbildungsjahr. Und es gibt noch viele offene Stellen.

Woehlke Die gibt es tatsächlich. Besonders zahlreich werden Verkäufer gesucht, Kaufleute im Einzelhandel und Fachinformatiker, und in der Gastronomie haben wir auch noch freie Stellen.

Woran liegt das?

Woehlke Bei den Kaufleuten im Einzelhandel ist die Situation paradox. Viele Stellen werden angeboten, viele junge Menschen wollen diesen Beruf lernen, und trotzdem hat diese Branche am Ende der Bewerbungsphase immer die meisten offenen Stellen. Junge Frauen sind interessiert an Mode, Männer an Technik. Aber im Supermarkt wollen zu wenige lernen. Dabei kann ein guter Lebensmittelverkäufer nach der Ausbildung auch prima Elektroartikel verkaufen.

Apropos Elektroartikel. Sie sagen, dass Fachinformatiker gesucht sind. Dabei sollte doch gerade dieser Sektor bei Schulabgängern beliebt sein, oder?

Woehlke Viele Unternehmen setzen ein Abitur für diese Ausbildung voraus. Und viele Abiturienten, die sich für die Informatik interessieren, gehen nach der Schule lieber studieren.

Ist denn ein Abitur Voraussetzung für angehende Fachinformatiker?

Woehlke Nein. Diesen Beruf können auch Jugendliche mit Mittlerer Reife lernen. Die Voraussetzung dafür ist Interesse. Wer nur weiß, wo er einen Computer anschaltet, der wird als Fachinformatiker scheitern. Ähnlich sieht das mit Köchen aus. Wer sich zuhause nur an den gedeckten Tisch gesetzt hat, der sollte sich etwas anderes suchen.

Sind die Unternehmen also zu anspruchsvoll?

Woehlke Zum Teil ja. Aber oft liegt es auch an den Bewerbern selbst. Wer die Schule abgebrochen hat und auf den letzten Zeugnissen nur Vieren und Fünfen hatte, der sollte sich keinesfalls eine kaufmännische Ausbildung suchen.

Haben Schulabbrecher denn überhaupt eine Chance auf dem Ausbildungsmarkt?

Woehlke Vielleicht im ein oder anderen Handwerksberuf. Aber eigentlich gilt: ohne Abschluss keine Ausbildung. Dann hilft nur noch ein gut organisiertes Praktikum, um an eine Ausbildung zu kommen.

Worauf sollten die Bewerber sonst noch achten, wenn sie auf der Suche nach ihrem Traumberuf sind?

Woehlke Wer noch in diesem Jahr eine Lehre finden will, der sollte jetzt nicht in den Urlaub fahren, sondern Gas geben, viele Bewerbungen schreiben und Kompromisse eingehen.

Aber die Berufswahl ist eine Entscheidung fürs Leben. Da kann man doch nicht einfach Kompromisse machen?

Woehlke Lieber ein Kompromiss als eine Lücke im Lebenslauf. Man entwickelt sich nach der Ausbildung ja weiter und kann auch über Umwege zum Traumberuf gelangen. Heutzutage ist unsere Gesellschaft gar nicht mehr so festgelegt.

Und was raten Sie Schulabgängern, die völlig orientierungslos sind?

Woehlke Weiter zur Schule zu gehen ist nicht immer die beste Lösung - viele scheitern. Aus diesem Grund ist auch der Anteil an ganz jungen Bewerbern so niedrig. Ich kann aber verstehen, dass der Schritt für einen 16-Jährigen ins Berufsleben nicht so einfach ist. Dabei gibt es auch viele Vorteile.

Nämlich?

Woehlke Man verdient sein eigenes Geld und kann oft während der Ausbildung einen höheren Schulabschluss machen.

DAS INTERVIEW FÜHRTE NICOLE SCHARFETTER.

(RP)
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