Interview zur Pflege an der Uniklinik „Oft sind es die Angehörigen, die aggressiv reagieren“

Düsseldorf · Uniklinik-Pflegedirektor Torsten Ranzsch und der pflegerische Leiter der Notaufnahme, Bernd von Contzen, sprechen über die Lage in dem Krankenhaus im Jahr nach den großen Streiks und die Fälle von Gewalt gegen Pflegepersonal.

 Interview mit v.l. Pflegedirektor Torsten Rantzsch (UKD) und x. Foto: Anne Orthen

Interview mit v.l. Pflegedirektor Torsten Rantzsch (UKD) und x. Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (ort)

Wie ist aktuell die Stimmung in Ihren Abteilungen?

Von Contzen Angespannt, weil bei uns viel los ist. Das liegt daran, dass wir in der Notaufnahme wie immer im Winter steigende Patientenzahlen verzeichnen, und es sind auch viele tatsächlich sehr kranke Menschen darunter. Wir stehen auch immer wieder vor der Frage, wie wir die Menschen dann weiter versorgt bekommen. Das gilt über unser eigenes Unternehmen hinaus, in ganz Düsseldorf ist die Lage in den Kliniken zwischendurch angespannt.

Rantzsch Für das Gesamtunternehmen kann man sagen, dass wir seit den großen Streikzeiten eine spürbar bessere Stimmung im Haus haben, weil die eingeleiteten Maßnahmen nach und nach Früchte tragen. Natürlich kann man noch nicht an jedes Thema einen Haken machen, aber vieles ist bereits umgesetzt.  Auch die letzte Personalversammlung, die sehr gut besucht war, hat das gezeigt.

Es ist ja auch nicht leicht, angesichts der angespannten Situation auf dem Personalmarkt neue Pflegekräfte zu gewinnen…

Von Contzen Mein Arbeitsbereich ist glücklicherweise sehr attraktiv, viele externe Bewerber interessieren sich für eine Beschäftigung in der Zentralen Notaufnahme eines Universitätsklinikums und bewerben sich gezielt auch hier am UKD, das als guter Arbeitgeber gilt. Das ist ein Ergebnis der guten Arbeit im vergangenen Jahr; und es hilft natürlich auch dabei, neue Kräfte für uns zu gewinnen.

Rantzsch Das gilt auch für das Klinikum insgesamt, denn als einziger Maximalversorger der Stadt bieten wir natürlich ein breites Spektrum von Leistungen an – den gesamten Fächerkanon der Medizin. Ein Beispiel ist unsere Sonder-Isolierstation mit einer einzigartigen technischen Ausstattung, um bspw. auch Ebola oder Lassa-Fieber behandeln zu können – eine spannende Sache, die es nicht in Aachen oder Köln gibt.

Was tun Sie sonst, um die noch fehlenden Pflegekräfte zu gewinnen und die anderen zu halten?

Rantzsch Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, teils ganz kleine Dinge, die aus der Mitarbeiterschaft an den Vorstand herangetragen und dann umgesetzt wurden. Dazu gehört, dass die Mitarbeiter sich einen Rabatt in den Caféterien gewünscht haben. Oder dass früher die Zufahrtsberechtigungen für das Gelände nicht gut mit den Dienstzeiten verknüpft waren. Das haben wir geändert. Nicht zuletzt können wir aktuell durch eine Kooperation mit der Städtischen Wohnungsgesellschaft SWD auch 159 Mietwohnungen in Laufweite der Uniklinik an der Witzelstraße anbieten, sogar Neubauwohnungen. Das ist natürlich attraktiv, und wir machen damit auch Werbung.

Ist Düsseldorf mit seinem angespannten Wohnungsmarkt denn überhaupt im Vergleich attraktiv für neue Mitarbeiter?

Rantzsch Das urbane Leben in dieser Stadt und dieses Wachstum machen sie auf jeden Fall attraktiv, die Multi-Kulti-Ausrichtung und das Freizeitangebot beispielsweise. Aber der Wohnungsmarkt ist schwierig, deswegen weichen viele letztlich auf Orte im Speckgürtel wie Neuss, Hilden oder Ratingen aus. Am liebsten würden sie natürlich in Düsseldorf selbst leben, können es sich aber leider nicht leisten. Das war ein Grund für die Maßnahme, diese neuen Wohnungen anzubieten.

Von Contzen Vieles hat aber auch mit der Infrastruktur zu tun, die man bietet, beispielsweise bei der Kita auf unserem Gelände. Es gibt ja nicht viele, die morgens bereits um 6 Uhr öffnen, was im Schichtdienst aber wichtig ist. Außerdem sind wir bei den Arbeitszeiten in solchen Phasen flexibel. Damit können wir auch Mitarbeiter gewinnen, die anfangs wegen der kleinen Kinder vielleicht nur ein paar Stunden arbeiten – die aber so langfristig bei uns bleiben. Irgendwann arbeiten sie dann auch wieder mehr Stunden, was für uns als Leitung dann positiv ist.

Sie scheinen mit den Bemühungen um neue Arbeitskräfte weitgehend zufrieden – hakt es denn noch irgendwo?

Rantzsch Nach wie vor fehlen Leute, was für Vorstand und Mitarbeiter gleichermaßen unbefriedigend ist. Wir unternehmen vieles in der Akquise, große Autobahnplakate, Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Aktionen, Direktansprache – dennoch reicht es noch nicht. Das ist dem Mangel an Pflegekräften geschuldet, den wir alle mehr oder weniger spüren, von Kiel bis München. In der schuldrechtlichen Vereinbarung haben wir uns ja auf 180 neue Leute geeinigt. Natürlich sind wir stolz, dass wir inzwischen bei rund 160 angekommen sind, aber eine Lücke gibt es noch. Und bei den Pflegekräften sind auch noch 50 Zeitarbeiter dabei, die leider nur für neun Monate hier sind – wir wissen nicht, ob wir es schaffen, sie ganz für unser Haus zu rekrutieren.

Viele politische Debatten drehen sich um Ihre Situation – etwa um den Krankenhausbedarfsplan. Wie sehen Sie insgesamt die Bemühungen der Politik?

Rantzsch Vieles ist in die richtige Richtung gedacht – etwa bei der Überlegung, ob es wirklich so viele Krankenhäuser und so viele Betten geben muss. Aber wir erleben einfach nicht, dass das wirklich mal durchgezogen wird, dass ein Krankenhaus geschlossen wird - das verstehen die Pflegekräfte einfach nicht.

Und was ist mit den Überlegungen zu einer Neuordnung der Notfallversorgung? Es ist ja offenbar so, dass viele Probleme auch dadurch entstehen, dass zu viele Leute zu Ihnen kommen die keine echten Notfälle sind…

Von Contzen Es gibt gefühlt jede Woche eine neue Idee, wie wir das aller besser organisieren können. Ich warne aber auch vor einer Stigmatisierung der Patienten, indem man immer sagt, die seien bei uns alle falsch. Wenn jemand zu uns kommt, gehe ich davon aus, dass er krank ist und für sich keine andere Versorgungsstufe gefunden hat. Wir werden aber sicher mehr Personal brauchen, um künftige Aufgaben zu stemmen wie einen gemeinsamen Tresen (Anm. der Red.: mit einem Versorgungsangebot niedergelassener Ärzte) und insgesamt eine Reduzierung der Notaufnahmen in Deutschland. Wie sie vom Ministerium im vorgesehen ist. Da wird vieles auf uns zukommen, auch in der baulichen Planung.

Am Samstag vor einer Woche kam es zu Tumulten in der Notaufnahme, als zwei Verletzte, die offenbar zu einem Clan gehörten, behandelt werden wollten. Allgemein hört man immer wieder von Attacken auf Mitarbeiter. Ist das auch den hohen Patientenzahlen und dem resultierenden Stress geschuldet?

Von Contzen Ich denke, das muss man trennen. Einerseits hört man ja in allen Bereichen des öffentlichen Lebens – Rettungsdienst, Polizei oder bei Aldi an der Kasse -, dass die Hemmschwelle sinkt, sich zu beklagen und normale Kommunikationsregeln zu vergessen. Menschen in der Notaufnahme befinden sich zudem in einer Ausnahmesituation, haben Angst, wissen nicht, was mit ihnen oder den Angehörigen passiert. Es ist laut, es ist voll, was zu Stress führt und dann ggf. eben zu nicht angepasster Kommunikation.

Rantzsch Auch auf den Stationen gibt es solche Situationen, sicherlich nicht in solchem Ausmaß wie in der betreffenden Nacht und eher mit vereinzelten Patienten. Und es sind oft auch die Angehörigen, die in manchen Situationen aggressiv reagieren. Ganz häufig geht es da um die Arbeitsprozesse – beispielsweise den geringen Grad der Digitalisierung bei uns. Wir arbeiten viel noch mit Papier, Stift und Fax, entsprechend sind die internen Prozesse teilweise zurück. Das kann in der Patientenkommunikation belastend sein, und das wünschen sich auch die Mitarbeiter ganz anders. Aber es fehlen die notwendigen Investitionsmittel für eine echte Digitalisierung.

Von Contzen  Es ist oft so, dass uns Angehörige etwas fragen und sagen: „Das haben Sie doch alles im Computer.“ Und wir ziehen dann eine dicke Akte hervor, und das heißt auch leider nicht, dass wir uns einmal umdrehen und sie direkt aus dem Schrank ziehen.

Rantzsch Ein anderes Thema ist, dass unsere Ärzte nicht 24 Stunden am Tag auf der Station für Patienten präsent sind, weil im Hintergrund Behandlungen laufen. Oft werden die Angehörigen ungeduldig, wenn dringend einen Arzt sprechen wollen. Erfreulich ist aber übrigens, dass wir in einem Pilotprojekt Mediziner und Pflegepersonal wieder neu zusammengebracht haben. Dadurch ist klarer geworden, dass wir alle die gleichen Ziele verfolgen. Und es hat dazu geführt, dass wieder mehr miteinander geredet wird, dass es gemeinsame Visiten gibt und gemeinsame Zeit bei dem Patienten – also eine gute Verzahnung der beiden Berufsgruppen..

Dieses Verhältnis ist also auch besser geworden als in der Zeit vor den Streiks?

Rantzsch Absolut! Natürlich kann man die Uhr nicht zurückdrehen und es ist nicht wie in den Zeiten, als man hier morgens zusammen gefrühstückt hat auf jeder Station. Aber man besinnt sich wieder darauf, wie wichtig die Abstimmung ist. Meetings müssen keine halbe Stunde gehen, aber es ist gut, wenn man sich alle paar Stunden miteinander abspricht. Und es ist auch ein Wunsch junger Mediziner, weil sie sagen, dass sie im Austausch viel von der Pflege lernen können.

Von Contzen Wir haben in der Notaufnahme inzwischen für das Ärzte- und Pflegeteam gemeinsame Fortbildungen, auch abends, und mit unseren Schnittstellen wie etwa den Rettungsdiensten um gemeinsam zu lernen. Noch nicht alles läuft rund, denn es muss wieder zusammenwachsen, nachdem es sich eine Zeitlang auseinanderentwickelt hatte. Aber der Wille und das Interesse sind da.

Zurück zu der schwierigen Lage in der Notaufnahme: Was wird denn getan, um die Mitarbeiter da besser zu schützen?

Von Contzen Wir haben bereits seit 2014 einen 24 Stunden anwesenden Sicherheitsdienst in der Notaufnahme, was nicht selbstverständlich ist.  Das wirkt schon präventiv, weil die Sicherheitsleute sichtbar sind. Dazu kommen die baulichen Maßnahmen, beispielsweise Sicherheitsscheiben am Tresen, um Übergriffe zu verhindern. Und Weiterbildungen für die Mitarbeiter, Deeskalationstrainings, Gesprächstrainings für Kommunikation in besonderen Situationen. Dieses Programm läuft teils auch in Schloss Mickeln in Himmelgeist, wo es auch noch in einer anderen Atmosphäre stattfindet und eine gewisse Wertschätzung zeigt. Wir haben auch eine enge Kooperation mit der Polizei.

Rantzsch Und wir können auf kurzen Wegen dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter Hilfe beim Verarbeiten solcher Erlebnisse bekommen. Das kann auf der einen Seite über die Psychosomatik unseres Hauses passieren, aber auch über die Seelsorge bei uns im Haus. Die ist nämlich nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Mitarbeiter gedacht.

Wurde das nach dem jüngsten Vorfall genutzt?

Von Contzen Man muss fairerweise schon sagen, dass das zwar ein unschöner Vorfall war, aber leider ja auch nichts komplett Neues für uns.

Aber das bedeutet umgekehrt ja auch, dass so etwas keine Ausnahme ist. Muss die Polizei denn oft kommen?

Von Contzen Täglich kommt sie nicht, aber einmal die Woche sicherlich schon. Gerade eben war sie auch noch da. Einem Patienten ging es nicht schnell genug, er wollte eine Mitarbeiterin fotografieren und in den sozialen Medien anprangern. Das ist auch eine Form der Gewalt - da geht es gar nicht unbedingt ums Schlagen und um körperliche Attacken, sondern ums Anschreien und Anpöbeln, um das Drohen mit der Veröffentlichung von Fotos der Kollegen. Es fehlt einfach manchmal an einem respektvollen Umgang. Gerade wenn wir Menschen helfen wollen, rechnen wir doch nicht damit, dass wir plötzlich angegriffen werden – das belastet unsere Mitarbeiter häufig.

Sorgen solche Dinge nicht auch für Angst bei denjenigen, die damit schon konfrontiert waren? Sie können danach ja nicht den Patienten und den Bedrohungen aus dem Weg gehen.

Von Contzen Natürlich haben sie teilweise Angst, denn auf so einer Anzeige steht ja auch die Adresse desjenigen, der sie gestellt hat. Und Mitarbeiter werden ohnehin auch außerhalb der Notaufnahme erkannt. Eine Kollegin ist neulich an der Supermarktkasse angesprochen worden, und das war nicht freundlich gemeint.

Rantzsch Allerdings erleben wir auch das Gegenteil. Wir haben auf jeder Station ordnerweise Danksagungen von den Patienten – und das ist auch etwas, dass die Mitarbeiter gegen die Ausraster anderer Patienten abwägen. Dieses Thema hat zwei Seiten, und die eine wiegt noch immer stärker.

Von Contzen Man muss auch die vollen Notaufnahmen von einer positiven Seite sehen. Es zeigt nämlich auch, dass die Menschen uns vertrauen und glauben, dass ihnen hier geholfen wird. Sonst würden sie ja nicht hierher kommen und sich nicht oftmals noch bedanken. Erst kürzlich wurde einer Kollegin ein großes Schokoladenherz als Dank gebracht. Positive Rückmeldungen von Patienten und Angehörigen motivieren die Mitarbeiter noch mehr als das ebenfalls wichtige interne Lob vom Unternehmen – das ist die Wertschätzung, die wir uns wünschen.

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