Interview "Offene Sonntage nur mit Anlass"

Düsseldorf · Ulrich Biedendorf, Geschäftsführer der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer, sieht die liberalisierten Öffnungszeiten differenziert: Die Sonntagsruhe soll nur aufgehoben werden, wenn es einen Grund gibt – etwa große Messen. An Werktagen warnt er vor einer neuen Regulierung.

 „Politik muss entscheiden, ob eine Sonntagsöffnung tatsächlich gerechtfertigtist“, sagt IHK-Geschäftsführer Ulrich Biedendorf.

„Politik muss entscheiden, ob eine Sonntagsöffnung tatsächlich gerechtfertigtist“, sagt IHK-Geschäftsführer Ulrich Biedendorf.

Foto: RP, Thomas Bußkamp

Ulrich Biedendorf, Geschäftsführer der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer, sieht die liberalisierten Öffnungszeiten differenziert: Die Sonntagsruhe soll nur aufgehoben werden, wenn es einen Grund gibt — etwa große Messen. An Werktagen warnt er vor einer neuen Regulierung.

Herr Biedendorf, kaufen Sie gerne sonntags ein?

Biedendorf Nein, ich habe sonntags dafür gar nicht die Zeit. Ich unternehme lieber etwas mit meiner Familie, zum Beispiel Fahrradtouren.

Finden Sie verkaufsoffene Sonntage familiengefährdend?

Biedendorf Ich bin doch ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht so ist. Es gibt aber auch viele Familien, die das Einkaufen am Sonntag als gemeinsames Erlebnis sehen. Das macht zum Beispiel bei großen Anschaffungen Sinn: Bevor ich alleine entscheide, was ich mir ins Wohnzimmer stelle, wähle ich das doch gemeinsam mit meiner Familie aus. Sonntags ist dafür Zeit. Das alles ist aber gar nicht der Punkt.

Sondern?

Biedendorf Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, dass weder das Interesse der Einzelhändler noch das der Kunden ausschlaggebend sein darf, sondern dass es eines übergeordneten Anlasses bedarf, damit der gesetzlich garantierte Sonntagsschutz aufgehoben werden darf. Die schwarz-gelbe Landesregierung hatte das aus dem Gesetz gestrichen.

Sind Sie dafür, das wieder zu ändern?

Biedendorf Ich halte einen übergeordneten Anlass, große Messen oder Märkte, bei Sonntagsöffnungen für sinnvoll und rechtlich notwendig. Es geht nicht, beispielsweise Halloween heranzuziehen. Es muss schon ein Ereignis sein, das eigene Kundschaft generiert.

Reicht denn ein Bauernmarkt oder ein Frühlingsfest als Grund für einen verkaufsoffenen Sonntag im Stadtteil aus?

Biedendorf Warum nicht? Man kann an einen Stadtteil nicht die gleichen Anforderungen stellen wie an die Innenstadt, sondern muss es auf die Anlässe herunter zoomen. Ein Frühlingsfest, das viele Bewohner aus dem Viertel anzieht, kann dort ein guter Grund für Sonntagsöffnung sein. Das muss aber nicht in jedem Stadtteil so sein. Meiner Ansicht nach ist das die Herausforderung für die Politik, sich nämlich damit auseinanderzusetzen, ob eine Begründung tatsächlich ein Anlass für Sonntagsöffnungen oder nur vorgeschoben ist.

Gestritten wird aber vor allem über die Zahl der offenen Sonntage...

Biedendorf Die Diskussion wird verdreht geführt, unabhängig von welcher Partei. Ob es in diesem Jahr 16 und im nächsten Jahr zwölf sind, ist der falsche Denkansatz. Was zählt, ist einzig die Frage, ob es einen Anlass gibt. Das ist auch ein Signal an die Werbegemeinschaften, sich zu überlegen, was beantragt und wie es begründet wird. Wird nicht stringent argumentiert, muss man mal auf einen verkaufsoffenen Sonntag verzichten. Es gibt keinen Zwang, vier pro Jahr — gesamtstädtisch oder in einzelnen Stadtteilen — zu genehmigen.

Fühlt sich nicht besonders in Stadtteilen mancher Einzelhändler mit verkaufsoffenen Sonntagen sogar überfordert?

Biedendorf Natürlich. Denn es ist mit Organisationsaufwand und Kosten verbunden. Der Einzelhandel fragt sich sehr wohl, ob es Sinn macht. Wie in Gerresheim 2010: Da mussten die wenigen Händler, die den verkaufsoffenen Sonntag nutzten, den Ärger der Kunden ausbaden, weil so wenige Läden offen waren.

Wie groß ist der Druck auf den Handel, offene Sonntage zu veranstalten?

Biedendorf Enorm wegen des Wettbewerbs. Etwa zwischen Köln und Düsseldorf. Wenn einer vorlegt, müssen andere folgen. Auch die Niederlande sind eine Konkurrenz. Die haben eine viel höhere Zahl an offenen Sonntagen. Wer sich sonntags ins Auto setzt, steht auf der A 52 Richtung Roermond im Stau. Hinzu kommen die Ausnahmen wie Kioske, Blumenläden, Bäckereien und Tankstellen. Supermärkte in Flughäfen und Bahnhöfen, die rund um die Uhr öffnen dürfen. Wallfahrts- und Ausflugsorte, in denen der Handel an 40 Sonntagen bis zu acht Stunden öffnen darf. In der Skihalle Neuss kann man sonntags Wintersportkleidung kaufen. Da brauchen Sie gar nicht über die Grenze zu fahren.

Was fordert die IHK?

Biedendorf Werktags darf es weiterhin keine Begrenzung der Ladenöffnungszeiten geben. Bei den Sonntagen ist eine Präzisierung notwendig, es muss wieder einen Anlassbezug geben. Das muss aber nicht auf Landesebene geregelt werden, vielmehr können die Räte und Stadtverwaltungen das vor Ort viel besser entscheiden.

Apropos liberalisierte Öffnungszeiten an Werktagen. Die Landesregierung plant eine Rücknahme...

Biedendorf Im Gespräch ist ein Ladenschluss um 22, 20 oder sogar schon um 18.30 Uhr. Ich halte das für falsch. Um 18.30 Uhr sind heute noch viele Bürger im Büro. Warum sollte sich der Einzelhandel zurückentwickeln und gesellschaftliche Veränderungen negieren? Es hat sich bewährt, dem Handel und den Kunden zu überlassen, wann geöffnet wird. Niemand macht auf, wenn es sich nicht lohnt.

Sind Kernöffnungszeiten nötig, auf die sich der Kunde verlassen kann?

Biedendorf Nicht per Gesetz verordnet. Das ist Aufgabe der Werbe- und Standortgemeinschaften. In der Anfangseuphorie der Liberalisierung hatten viele Einzelhändler mit Öffnungszeiten experimentiert. Das hat sich inzwischen aber gut eingependelt.

OB Elbers sagt, in einer internationalen Einkaufsstadt wie Düsseldorf könnten die Läden nicht einfach früher schließen. Sehen Sie das auch so?

Biedendorf Natürlich, es ist ein wichtiges Signal. Kunden von außerhalb kommen in die Großstadt, verbinden etwa den Kinobesuch mit einer Einkaufstour. Und die sind zumeist längere Öffnungszeiten gewöhnt. Düsseldorf ist zudem ein internationaler Messe-Standort. Diesen Besuchern aus aller Welt müssen wir etwas bieten.

Uwe Reimann und Denisa Richters führten das Interview.

(RP)
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