Interview mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde „Juden haben wieder mehr Angst“

Düsseldorf · Obwohl der Antisemitismus zunimmt, lobt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde die Offenheit der Düsseldorfer Stadtgesellschaft.

 Oded Horowitz (58) wurde in Tel Aviv geboren, 1993 kam er nach Düsseldorf. Der Augenarzt ist verheiratet und hat drei Kinder.

Oded Horowitz (58) wurde in Tel Aviv geboren, 1993 kam er nach Düsseldorf. Der Augenarzt ist verheiratet und hat drei Kinder.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Herr Horowitz, ein Spaziergang mit der Kippa durch das weltoffene Düsseldorf, ist das inzwischen ein Problem?

Horowitz Wenn man den falschen Leuten begegnet, kann es eins werden. Seit etwa 2014 spüren wir, dass sich für Juden etwas verändert hat. Es gibt mehr offen ausgelebten Antisemitismus. Tendenz steigend.

Auch in Düsseldorf?

Horowitz Ja. Vor allem Jungen und Mädchen, die auf öffentliche Schulen gehen, berichten immer wieder über Beschimpfungen und Ausgrenzung. Und in allen Generationen hören wir immer öfter die bange Frage, wann es Zeit wird, dieses Land zu verlassen. Denken Sie an den jüngsten Vorfall in Ratingen-Lintorf, wo Schaufenster mit dem Wort „Jude“ und Hakenkreuzen beschmiert wurden.

Ein Schock?

Horowitz Schon. Allerdings hat dieser Vorfall auch gezeigt, dass das Rheinland in der Breite seiner Bevölkerung doch etwas anders tickt als eine Reihe anderer Regionen. Nach dem Vorfall gingen 1500 Menschen für ein gutes Miteinander auf die Straße. Das ist ein Aufschrei der Anständigen, ein Signal, das unserer Gemeinde gut tut. Und noch ein Beispiel will ich nennen: Eine Frau ist mit ihrem Sohn aus dem nördlichen Ruhrgebiet nach Düsseldorf gezogen, weil sie sich hier weniger angefeindet fühlt. Ihr Mann ist aus beruflichen Gründen da geblieben. Dass nun eine Familie getrennt lebt, ist aber in jedem Fall ein Trauerspiel, das wir uns so vor zehn Jahren noch nicht hätten vorstellen können.

Einer ihrer Söhne ist mit 14 Jahren für vier Jahre nach Israel gegangen. Seit kurzem ist er wieder in Düsseldorf. Spielte das Jüdisch-Sein dabei eine Rolle?

Horowitz Die ehrliche Antwort muss lauten: Ja. Das Gefühl, das etwas nicht ganz passt, hat den Weggang seinerzeit befördert, obwohl das in diesem jungen Alter wirklich keine einfache Situation war.

Offenbar gehören seit kurzem auch Juden zur Alternative für Deutschland, ein entsprechender AfD-Arbeitskreis wurde ins Leben gerufen. Sind Düsseldorfer darunter?

Horowitz Genau kann ich es nicht sagen, angeblich sollen einer oder zwei aus dieser Region dabei sein. Tatsächlich ist das Ganze ein Vorgang, der an Absurdität, Kurzsichtigkeit und abgrundtiefer Dummheit nicht zu überbieten ist. Gerade so, als ob Biber sich entschließen würden, in den Haushalt von Würgeschlangen einzuziehen, nur weil eine Würgeschlange gesagt haben soll, dass sie ab sofort keine Biber mehr frisst.

Die AfD ist eine Würgeschlange?

Horowitz Mit ihr sitzt jedenfalls –  genau 80 Jahre nach der Reichspogromnacht – eine rechte Partei in den Parlamenten. Vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei vom Holocaust mit sechs Millionen ermordeten Juden als „Vogelschiss“ der Geschichte spricht.

Mit Blick auf die Zuwanderung aus arabischen Ländern wird viel von einem importierten Antisemitismus gesprochen.

Horowitz Tatsache ist, dass einige Flüchtlinge aus Ländern kommen, in denen Anti-Judaismus, Anti-Israelismus und Antisemitismus Teil der Erziehung oder gar der Staatsräson sind. Und das bleibt nicht ohne Wirkung.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Horowitz Im Umfeld unseres Sportvereins Maccabi Düsseldorf kommt es immer wieder mal zu unschönen Zwischenfällen. Vor allem, wenn in den anderen Vereinen viele Sportler mit Wurzeln in bestimmten muslimischen Ländern spielen. Diese Einzelfälle ändern aber nichts daran, dass wir mit den Düsseldorfer Muslimen ein wirklich gutes Verhältnis haben. Denken Sie an die gemeinsame Anzeige in der Rheinischen Post, in der wir uns gemeinsam gegen jede Form von Ressentiments wenden – egal, ob sie sich gegen Juden, Muslime oder Christen richten. Das sagt auch etwas aus über die Offenheit der Düsseldorfer Stadtgesellschaft.

Sie wurden am Sonntag als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde bestätigt, ihre Liste erhielt bei den Wahlen 14 von 15 Sitzen. Froh über diese Bestätigung?

Horowitz Ja. Das Beispiel Berlin zeigt, wie schwierig es ist, wenn eine Gemeinde stark gespalten ist.

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